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Politik

Gül widerspricht Erdoğan: „Kritiker zu Feinden zu erklären, ist ein Verhalten aus der Dritten Welt“

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Im Rahmen seines Staatsbesuches in Dänemark ging der türkische Präsident Gül auf Distanz zu Verschwörungstheorien und polarisierender Rhetorik, wie sie in letzter Zeit unter anderem durch den Premierminister an den Tag gelegt wurden. (Foto: cihan)

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Der türkische Staatspräsident in Dänemark.
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Der türkische Präsident Abdullah Gül hat während seines Besuches in Dänemark Stellung zu den aktuellen Ereignissen in der Türkei bezogen und betont, dass er großes Unbehagen und Trauer empfinde. Die scheinbare Schieflage sei aber auch nicht von Dauer: „Diese Phase wird auch vergehen. Die Türkei hat so vieles durchgemacht. Das Wichtigste ist nur, dass diese Zeit mit so wenigen Schäden wie möglich vorübergeht.“ Gül zufolge sei der Ursprung der derzeitigen Probleme die Unterschiedlichkeit der Vorstellungen über die Erfüllung der Normen der Europäischen Union.

Szenen aus der Vergangenheit der Türkei

Angesprochen auf den politischen Kampf und die aufgeheizte Stimmung entgegnete Gül: „Ich bin darüber sehr traurig. Das aktuelle politische Klima sollte niemanden glücklich machen. Ich bin überhaupt nicht glücklich darüber. Aufgrund all des Erlebten empfinde ich große Unruhe und Trauer. Ganz plötzlich tauchen ähnliche Szenen aus der Vergangenheit der Türkei auf. Bestattungen finden statt. Hunderttausende Menschen sind auf den Straßen. Sogar rund um Beerdigungen entsteht eine Wahrnehmung von Parteilichkeit. Doch die betroffenen Eltern sind sich zum Glück dieser Lage bewusst und handeln dementsprechend, ohne eine politische Instrumentalisierung der Todesfälle zuzulassen.“

Der politische Diskurs muss sich ändern

Darüber hinaus kritisierte Gül die Polarisierung innerhalb des politischen Diskurses: „Leider ist die politische Tradition der Türkei nicht ruhmreich. Wir konnten sie nicht ändern. Jedes Mal gibt es eine Polarisierung, einen Konflikt und unangebrachte Härte in der Rhetorik. Bezogen auf den aktuellen Diskurs möchte ich nichts sagen, da ich diesbezüglich meine Meinung auf deutliche Weise in der Nationalversammlung ausgedrückt habe. Ich habe betont, dass die Änderung des politischen Diskurses wichtig ist, erläutert, was für einen Einfluss die Rhetorik hat und auf welche Weise sie verletzen kann. Wenn man sich letztlich den Punkt, an dem wir angelangt sind, genauer ansieht, ist zu erkennen, was für eine Sprache verwendet wird. Das gehört sich nicht für die Türkei. Solange wir die Tradition der türkischen Politik nicht ändern, ist es für die Türkei schwer, an den erwünschten Punkt zu gelangen.“

Es besteht eine Parallelstruktur

Gül äußerte sich auch zu den Spekulationen, es gäbe im türkischen Staat eine Parallelstruktur: „Unter Angehörigen verschiedener Regierungsbehörden war und ist eine eigenartige Form der Solidarität zu erkennen. Jedermann mit jedwedem religiösem oder ideologischem Hintergrund kann an jede Stellung gelangen. Doch wenn man in einer Regierungsbehörde arbeitet, hat man die Verfassung, die Gesetze und den Vorgesetzten als Richtschnur. Wenn jemand davon abweichen will, ist dies nicht zu dulden. Eine Parallelstruktur, ja, die gab es, und die gibt es. Es gibt Beispiele für diese Art von Solidarität. Doch wird so etwas nicht erlaubt.“

Der Friedensprozess muss vervollständigt werden

Ein Journalist sprach den Präsidenten auch auf den Friedensprozess mit der PKK in der Türkei an. Zu diesem Thema meinte Gül: „Das eigentliche Anliegen der Türkei ist die Vervollständigung des Friedensprozesses. Jeder Politiker und Bürger, wirklich jeder muss sich darüber Gedanken machen, mit welcher Situation wir nach den Wahlen konfrontiert sein werden. Die Einheit und Integrität der Türkei darf auf keine Weise bedroht und in Gefahr gebracht werden. Allerdings macht die Türkei im Rahmen des demokratischen Verständnisses und der demokratischen Freiheiten wichtige Schritte. Neulich wurde diesbezüglich ein Paket verabschiedet. Doch wurde darüber weder viel berichtet, noch hat sich jemand dagegen oder dafür geäußert. Dabei ist dies eines der Hauptthemen in der Türkei. Das Problem ist, dass jeder sich stattdessen mit zyklisch auftretenden Themen beschäftigt.“

„Ich glaube nicht an Verschwörungstheorien“

Auf die Nachfrage, wer denn die „äußeren Mächte“ seien, die nach Meinung der Regierung in die derzeitigen Konflikte in der Türkei eingriffen, ging Gül auf Distanz zu Premierminister Erdoğan: „Ich akzeptiere dies nicht. Ehrlich gesagt, finde ich das nicht in Ordnung. Sicherlich hat die Türkei klare Vorstellungen und Feinde. Doch kommen diese immer aus bestimmten Kreisen, dessen sind wir uns jedes Mal aufs Neue bewusst. Wenn aber diejenigen, welche uns zehn Jahre lang uns gelobt, unsere Errungenschaften anerkannt und uns überall gerühmt haben, uns nun – gerechtfertigt oder ungerechtfertigt – kritisieren, gibt es immer noch keinen Grund, diese als Feinde der Türkei zu bezeichnen. Dies wäre ein Verhalten aus der Dritten Welt. Die Türkei hat sich aus so einer Lage befreit. Ich glaube nicht an Verschwörungstheorien, als gäbe es welche, die die Türkei zerstören wollten. Äußere Mächte können zwar Aussagen über die Türkei machen, doch sind wir nicht gezwungen, diese zu beachten.“