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Politik

Der General spricht wieder: Kein gutes Zeichen für die türkische Demokratie

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Als eines der Errungenschaften der AKP-Regierung galt lange die Unterordnung der einst mächtigen Militärs unter das Primat der Politik. Nun hat sich der Generalstabschef Özel zu tagespolitischen Themen geäußert: Klar und kritisch. (Foto: reuters)

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ANALYSE Allgemein gilt der August als „Monat der Siege“ und ist ein wichtiger Monat im Geschichtskalender der Türkei. Und in diesem wichtigen Monat spielt wiederum der 30. August eine besondere Rolle. Denn am 30. August 1922 hat „Gazi und Marschall“ Mustafa Kemal Atatürk den entscheidenden Sieg gegen die Griechen errungen.

An diesem Tag finden viele offizielle Veranstaltungen statt. Auch Militärparaden. Oder gerade Militärparaden. Eines der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Veranstaltung, ist der Empfang des Staatspräsidenten. Wer vom Präsident zum Empfang eingeladen wird, fühlt sich besonders geehrt und gewürdigt. Diese Ehre kam in diesem Jahr einigen Journalisten und Medienvertretern nicht zugute. Der neue Herrscher im Çankaya-Köşk, so heißt der Sitz des türkischen Präsidenten seit dem Gründungsvater und dem ersten Präsidenten auf Lebenszeit, Atatürk, mag Kritiker nicht. Er heißt seit dem 28. August Recep Tayyip Erdoğan und ist weder „Gazi“ noch „Marschall“. Weder ist er ein General noch hat er einen Krieg gegen die „Feinde des Vaterlandes“ gewonnen, auch wenn er diese Begriffe gegen seine politischen Gegner oft einsetzt. Wenigstens in einem Punk hat er jedoch Atatürk überholt. Atatürk wurde nie direkt vom Volk zum Präsidenten gewählt. Erdoğan hingegen schon. Am 10. August 2014.

Auch wenn der alte Präsident, Abdullah Gül, die Einladung verschickt hat, so war doch der diesjährige Empfang zum 30. August für den neuen, direkt vom Volk gewählten Präsidenten Erdoğan und seine Gattin Emine die erste offizielle Veranstaltung in der Öffentlichkeit. Sie mit Kopftuch, er ohne ein Glas Champagner in der Hand.

Der neue Präsident hat an diesem Tag keine wichtige Rede gehalten, alles was er dem Volk zu sagen hatte, hat er es als Ministerpräsident in den vergangenen zwölf Jahren gesagt. Jetzt ist er an seinem Ziel angekommen. Die Aufmerksamkeit galt an diesem Tag also nicht dem neuen starken Mann der Türkei, sondern dem Generalstabschef Necdet Özel. Eigentlich, so jedenfalls die allgemeine Lesart der politischen Entwicklung der vergangenen Jahre, hat das Militär an politischer Bedeutung verloren und fügt sich dem Primat der Politik. Das ist gut so und gehört sich auch für eine richtige Demokratie. Was sollte der Generalstabschef schon in politischen Fragen zu sagen haben? Er soll sich gefälligst auf seine Arbeit konzentrieren und für die Verteidigung des Vaterlandes gegen äußere Feinde Konzepte entwickeln. Und das im Auftrag und Absprache mit dem Verteidigungsminister. Seit den Ergenekon-Prozessen scheint es ja auch so zu sein. Die Militärs fügen sich dem alten Ministerpräsidenten und dem neuen Oberkommandeur der Streitkräfte und Staatspräsidenten Erdoğan.

PKK-Friedensprozess: „Wir sind nicht beteiligt“

Umso mehr war man verwundert und hörte zugleich aufmerksam zu, als der Generalstabschef sich, nicht nur deutlich, sondern auch kritisch zu tagespolitischen Themen äußerte. Es waren zwei Themen, über die Özel in die Mikrofone sprach. Erstens zum Dauerthema „Kampf gegen den Terror“. In den letzten Jahren spricht man zwar nicht mehr vom „Kampf gegen den Terror“, sondern von der „Kurdenfrage“, die jahrzehntelang geleugnet wurde oder einfach nur von der „Öffnung“. Und zuletzt vom „Lösungsprozess“. Die Zuschreibungen ändern sich je nach aktueller politischer Lage, das eigentliche Problem bleibt jedoch gleich: Es geht darum, wie man die terroristische PKK in einen politischen Prozess einbindet und eine Verfassungsordnung aufbaut, in der sich auch die Kurden mit ihrer Sprache und Kultur als Bürger erster Klasse sehen. „Die Regierung verfolgt eine Politik, die von ihr auch umgesetzt wird. Der Fahrplan des Lösungsprozesses ist uns nicht bekannt. Wir sind daran nicht beteiligt. Der stellvertretende Ministerpräsident Beşir Atalay sagte, dass der Fahrplan allen Behörden vorgelegt werden würde. Wir haben bis jetzt nichts erhalten.“ Der General sprach weiterhin davon, dass man „das Nötige tun würde, wenn die roten Linien überschritten werden sollten“ und von der „Unteilbarkeit des Landes“.

Die AKP-Regierung arbeitet also an dem wichtigsten gesellschafts- und sicherheitspolitischen Problem der Türkei und der Generalstabschef weiß von nichts? Nicht nur das, sie ist von der Politik der AKP nicht überzeugt. Kann ein „Lösungsprozess“, welches von den Militärs nicht mitgetragen wird, überhaupt Erfolg haben? Natürlich ist es falsch, das anstelle des Primats der Politik das Primat der Militärs gilt. Ist es aber nicht genauso problematisch, wenn ein wichtiger sicherheitspolitischer Akteur ganz ausgeschlossen wird oder sich ausgeschlossen fühlt?

Falls diese Stellungnahme auf dem Portal des Generalstabschefs veröffentlicht worden wäre, hätte die Türkei eine neue Debatte über die „Vormundschaft der Militärs“.

Erdoğan und sein einflussreicher bürokratischer Beraterstab führen mit der terroristischen PKK „Friedensverhandlungen“. Auch mit dem ultranationalistischen Ergenekon-Netzwerk, das noch vor einigen Jahren wegen Putschversuchen sich vor der Justiz verantworten musste, führt Erdoğan keinen Kampf mehr. Es ist nicht einfach, der Öffentlichkeit zu erklären, wieso aus dem ehemaligen „Kopf des Terrors“ Abdullah Öcalan ein politischer Verhandlungspartner und aus ehemaligen Putschisten auf einmal Freunde geworden sind. Also braucht man einen Sündenbock, den Erdoğan in der Nacht vom 17. auf den 18. Dezember 2013 entdeckt hat: Den „Parallelstaat“.

Der Parallelstaat ist die heimliche Macht, die der, seit über 12 Jahren allein regierenden AKP die Mündigkeit aus der Hand nimmt. Nicht nur das; sie ist auch die neue „Terrorgruppe“, die „die Einheit und den Zusammenhalt der Nation und des Staates“ bedroht. Sie arbeitet mit ausländischen Mächten zusammen und täuscht Massen unter dem Vorwand, ganz friedlich für Bildung und Dialog zu arbeiten. Sie ist für Erdoğan die Inkarnation des Bösen schlechthin. Es gibt weder Bestechung noch Korruption in der Türkei. Alles ist eine Erfindung des Parallelstaates, der die staatlichen Institutionen unterwandert und sich überall eingeschlichen hat.

Was ist der „Parallelstaat“?

Was sie ist, ist weder per Gesetz definiert, noch sind Belege und Beweise gefragt. Wer aber damit gemeint ist, ist unmissverständlich. Gemeint ist die Hizmet-Bewegung, die das heuchlerische Spiel des „Führers der Welt“ und „Hoffnungsträgers der muslimischen Umma“ nicht mitmachen wollte und sich von Erdoğan und seiner autoritären Politik abgewandt hat. Seitdem ist der Prediger Fethullah Gülen, auf den die Bewegung zurückgeht, Staatsfeind Nummer 1.

Auch zu diesem Thema haben die Journalisten den General befragt. Die AKP-nahen Medien hatten vor einigen Monaten die Behauptung aufgestellt, der Parallelstaat habe auch das Militär unterwandert.

General Özel: „Die türkischen Streitkräfte arbeiten auf der Grundlage von verlässlichen Informationen und Belegen. Wir haben Informationen und Belege vom MIT und dem Polizeipräsidium angefordert. Bis jetzt haben wir aber keine erhalten. Wir können kein Verfahren auf Grundlage von anonymen Anzeigen, die uns auf dem Postweg erreichen, einleiten. Die türkischen Streitkräfte sind von Rechtsstaatlichkeit überzeugt und handeln dementsprechend.“

Wie bitte? Gehört der Mann auch zum „Parallelstaat“? Handelt etwa die demokratisch gewählte AKP-Regierung nicht auf Grundlage von Recht und Gesetz? Haben der Geheimdienst MIT und die Polizei keine Belege, die sie dem Generalstabschef zur Verfügung stellen können? Malt Erdoğan erst ein Gespenst unter dem Namen „Parallelstaat“ an die Wand und sucht erst später nach Belegen und tragbaren Beweisen?

In den zwei wichtigsten innenpolitischen Themen hat sich das Militär seit dem 17. Dezember 2013 zum ersten Mal klar geäußert und die Öffentlichkeit wissen lassen, dass sie die Haltung ihres neuen Oberkommandeurs und der AKP, die Erdoğan auch nach seiner Wahl zum Präsidenten lenken will, nicht übernimmt. Und das am 30. August, dem „Tag des Sieges“.