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Bildung & Forschung

Nicht der Staat verbietet, sondern der Markt regelt

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Mit der Begründung, Arme vor den hohen Kosten der Dershanes zu schützen, will Ankara im kommenden Jahr deren Trägern die Lizenzen verweigern. Der klassische Versuch, ein schwächelndes Monopol durch Konkurrenzverbot zu schützen. (Foto: zaman)

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Unterricht in einer privaten Bildungseinrichtung in der Türkei.
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Die türkische Regierung hält scheinbar an ihrem Plan fest, private Bildungseinrichtungen (Dershane), die Schüler oder Studenten auf besondere Prüfungen vorbereiten, zu schließen. Der gestern in der Tageszeitung Zaman in Auszügen veröffentlichte Gesetzesentwurf wurde zwar zunächst vom Bildungsministerium dementiert, doch nun räumte es ein, dass der Entwurf existiere, es in der Zeitung aber nicht korrekt wiedergegeben wurde. Zaman veröffentlichte heute nun weitere Belege, die den gestrigen Bericht bestätigen.

Dem Bildungsministerium zufolge werden im kommenden Jahr privaten Bildungseinrichtungen keine Lizenzen mehr verliehen. Die bereits vorhandenen privaten Bildungseinrichtungen sollen in private Schulen umgewandelt werden. Außerhalb der Aufsicht und ohne Erlaubnis des Ministeriums soll von nun an kein Unterricht mehr in dieser Form in der Grundschule und Mittel- und Oberstufe stattfinden.

Die Entscheidung der Regierung beruht auf verschiedenen Begründungen. Man möchte nach eigenen Angaben damit die Verbesserung des Bildungsstandards und die Entlastung ärmerer Familien erreichen, damit auch diese ihre Kinder in eine adäquate Bildungseinrichtung schicken können. Egal auf welche Begründungen man sich stützt: Es lässt sich zweifellos sagen, dass die Regierung hier falsch liegt, ungerecht handelt und auf keinen Fall ihr angestrebtes Ziel auf diese Weise erreichen wird. Sie wird mit großer Wahrscheinlichkeit sogar das Gegenteil ihrer Absichten bewirken, da nicht weniger, sondern nur mehr Wettbewerb auch im Bildungswesen die Auswahlmöglichkeiten und das Leistungsniveau verbessert.

Die privaten Bildungseinrichtungen sind das Resultat des Bildungssystems. Überall, wo Wettbewerb herrscht, nutzen Menschen alle Quellen und Möglichkeiten, um sich auf diesen Wettbewerb vorzubereiten und ihre jeweiligen Ziele optimal zu erreichen. Private Bildungseinrichtungen üben innerhalb der Gesellschaft bezüglich der Schaffung von Möglichkeiten und Quellen der Bildung und damit der Steigerung von Chancen eine gleichberechtigende Funktion aus. Sie haben im gesellschaftlichen Leben einen Gegenwert und stellen die Antwort auf eine notwendige Nachfrage dar.

Künftig wird die Schwarzarbeit im Bildungsbereich boomen

Wenn dem nicht so wäre, hätten sie sich nicht so stark verbreitet und erfolgreich entwickelt. Wenn die offiziellen privaten Bildungseinrichtungen nun geschlossen werden, dann wird die Suche nach Unterstützung bei der Vorbereitung auf Prüfungen, Abschlüsse und berufliche Karrieren eben nicht in formellen, sondern nur noch in informellen und nicht mehr in öffentlichen, sondern geschlossenen Einrichtungen stattfinden. Sie werden also nicht verschwinden. Den größten Schaden hierdurch werden die Armen und die sozial schwächeren Gesellschaftsschichten erleiden.

Ein zentralisiertes und einseitig gestaltetes Bildungssystem schwächelt immer und überall. Die Schwäche beruht neben der mangelnden Realitätsnähe der dahinter stehenden Ideologie auch auf der Struktur des Systems selbst. Um Schwächen im Bildungssystem zu beseitigen, muss man das dieses von Grund auf von der Zentralisierung befreien. Nicht alle, aber viele private Bildungseinrichtungen in der Türkei verhindern eine Zentralisierung. Auch wenn sie nur im begrenzten Rahmen tätig sind, stellen sie für das Bildungssystem eine Bereicherung dar.

Die Schließung dieser privaten Bildungseinrichtungen macht diese Bereicherung zunichte. Auch ist die Bemerkung, dass bestehende Einrichtungen in Privatschulen transformiert werden, sinnfrei, denn es gibt keine richtigen Privatschulen in der Türkei. Eine Privatschule basiert nämlich auf der selbstständigen Finanzierung und der Unabhängigkeit bei der Gestaltung ihrer Lehrpläne. Gibt es in der Türkei eine solche Schule?

Die Schließung privater Bildungseinrichtungen durch den Staat widerspricht zudem der unternehmerischen Freiheit. Wo es eine solche gibt, dürfen Menschen alles, was einen wirtschaftlichen Wert verkörpert, produzieren, verteilen und für den nötigen Vertrieb der Leistung Firmen und wirtschaftlich arbeitende Initiativen gründen. Auch Bildung ist von den Gesetzen des Marktes nicht ausgeschlossen, denn auch sie ist ein Produkt, das gekauft und verkauft werden kann – sie ist eine Dienstleistung. Menschen dürfen, wenn sie dies wollen, ihr Wissen und die Weitergabe von Techniken, um dieses zu erwerben, zu einem vereinbarten Preis an Menschen, die zahlungsbereit sind, verkaufen. Privaten Bildungseinrichtungen keine Lizenz zu gewähren, erschwert diesen Vorgang und widerspricht somit der Unternehmerfreiheit – zumal es als solches schon einen willkürlichen, auf etatistischer Logik beruhenden Eingriff darstellt, wenn der Staat den freien Austausch des Dienstleistungsfaktors „Bildung“ überhaupt erst einer Lizenzierung unterwirft.

Bildung ist eine Dienstleistung, die dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterliegt

In Anbetracht wirtschaftlicher Theorien beschränkt die Schließung privater Bildungseinrichtungen auch das Recht auf Auswahl seitens des Verbrauchers. Das Individuum muss das Recht haben, sich Wissen, das es für notwendig hält, beliebig auf dem Markt zu besorgen. Die öffentliche Gewalt kann, um Qualitätsstandards zu gewährleisten, generelle Kriterien einführen, dies aber nicht gänzlich untersagen.

Die Regierung verbietet nicht einzelnen Individuen, private Bildungseinrichtungen zu besuchen oder einzelnen Familien, ihre Kinder in solche Einrichtungen zu schicken, aber indem sie die private Bildungseinrichtung selbst verbietet, greift sie auf nicht rechtmäßige und menschenrechtswidrige Weise in das Recht auf Auswahl der Menschen ein.

Zudem stellt der angesprochene Schritt eine extreme Abweichung von der sonst auch im Bildungssystem gepflegten Abkehr von Etatismus und Staatsdirigismus dar. Die Abschaffung des Eides an Atatürk und die Nation, die teilweise Abschaffung des Kopftuchverbotes und die Liberalisierung des Gebrauches von Minderheitensprachen im Unterricht sind Schritte in Richtung Anti-Etatismus. Nun aber geht die freiheitsfreundliche Regierung bei der Abschaffung privater Bildungseinrichtungen in die verkehrte Richtung. Sie verankert auf diese Weise den Etatismus aufs Neue. Fällt dieser Widerspruch im Umfeld der Regierung niemandem auf, oder stört er keinen?

Jedenfalls wird die Entscheidung der Regierung nicht zur Folge haben, dass künftig kein privater Nachhilfeunterricht mehr erteilt werden wird. Sie wird nur dazu führen, dass dieser Bereich in die Schattenwirtschaft abwandert.

Autoreninfo: Atilla Yayla (Jg. 1957) ist Politikwissenschaftler und Akademiker. Er war Mitbegründer der „Liberal Düşünce Topluluğu“(Gemeinschaft liberaler Gedanken) beteiligt und schreibt regelmäßig für „Yeni Şafak“.