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Gesellschaft

Türkei: Offensive zur Erhaltung der Ehe

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Um Ehen, die andernfalls durch überstürzte und unüberlegte Entscheidungen beendet würden, zu retten, können Paare künftig an Berater verwiesen werden, von denen sie bis zu 360 Minuten Unterstützung erhalten sollen. (Foto: cihan)

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Türkische Ehepaare im neueröffneten Marmaray.
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Eine Ehe zu schließen, gehört wohl zu den größten und wichtigsten Entscheidungen im Leben eines Menschen. Doch was, wenn sich diese Entscheidung als falsch zu erweisen scheint? Fast jeder Mensch träumt davon, die große Liebe zu finden und mit ihr ein ganzes Leben in Glückseligkeit zu verbringen. Dennoch zerbrechen heutzutage so viele Ehen – nicht selten vermeidbar oder aus oberflächlichen und überflüssigen Motiven. Das größte Problem dabei liegt darin, dass nicht nur die Ehepaare selbst davon betroffen sind und darunter leiden, sondern eventuell auch deren Kinder. Die Betroffenen benötigen Hilfe, doch wie soll das angegangen werden?

In Deutschland wurden im Jahr 2012 rund 179 100 Ehen geschieden, das waren 4,5 % weniger als 2011. Ausgehend von den derzeitigen Scheidungsverhältnissen werden etwa 37 % aller 2012 geschlossenen Ehen in einem Zeitraum von 25 Jahren geschieden. Die durchschnittliche Ehedauer der im Jahr 2012 geschiedenen Ehen betrug 14 Jahre und 7 Monate. Vor 20 Jahren – also im Jahr 1992 – hatte die durchschnittliche Dauer der geschiedenen Ehen noch bei 11 Jahren und 6 Monaten gelegen.

Schaut man sich die Situation in der Türkei an, sieht diese auch nicht unbedingt so glänzend aus. Laut den Angaben des Familienministeriums finden in der Türkei im Jahresdurchschnitt 120 000 Scheidungen statt. Während 80% der geschiedenen Paare sich entscheiden, erneut zu heiraten, kehren 17% wieder zu ihrer Ex-Frau/ihrem Ex-Mann zurück. Dies betrifft etwa 20 000 Menschen. Ungefähr 40% der Scheidungen finden in den ersten fünf Ehejahren statt.

Für erstmalige Scheidungen wird künftig ein obligatorischer „Familienberater“ eingesetzt. Diese Maßnahme haben Familienministerium und Ministerium für Justiz ergriffen, um Ehen zu retten, die durch unüberlegte und plötzliche Entscheidungen beendet werden. Die Zahl der jährlich 120 000 Scheidungen soll auf diese Weise gesenkt werden. Künftig wird der Staat es möglich machen, Paare, welche sich scheiden lassen wollen, einem verpflichtenden Mediationsverfahren beim Familienberater zu unterziehen.

Ziel ist es, das Nest der Familie zu retten

Mit der Gesetzesänderung durch die beiden Ministerien werden die Familiengerichte künftig ermächtigt, Paare vor der Scheidung an Familienberater, von denen sie in mindestens vier Sitzungen (zu je 90 Minuten) und maximal insgesamt 360 Minuten Unterstützung erhalten können, zu verweisen. Die Gerichte werden demnächst auch das Scheidungsurteil auf der Basis des Berichts des Familienberaters fällen können.

Die vom Familienministerium geschaffene Institution, welche den Namen „Beratung während des Scheidungsprozesses“ trägt, wird versuchen, Ehen vor einer voreiligen Scheidung zu schützen. Gleichzeitig können mittels der Beratung auch Ehen, die an ernsthaften Problemen wie Gewalt oder Anfeindung in der Ehe leiden, auf eine saubere und professionelle Weise aufgelöst werden.

Mit der Verabschiedung des gemeinsamen Rechtsrahmens durch das Justiz- und Familienministerium wird den Paaren vor, während und nach der Scheidung eine Dienstleistung in drei Phasen angeboten. Im letzten Jahr wurde mit dem „Familien-Ombudsmann“ des Familienministeriums ein Pilotprojekt gestartet, wodurch von 450 Paaren immerhin 75 von einer Scheidung abgehalten werden konnten. Die nunmehrige Gesetzgebung wird diese Einrichtung nun auf eine systematische Weise in der gesamten Türkei verbreiten.

Auch Beratung auf Wunsch möglich

Die Gerichte können die Paare auf Grund der Neuregelung in jedem Stadium des Verfahrens einer Beratung zuleiten. Dabei werden Berichte, welche seitens der Familienberater über die Paare erstellt wurden, durch die Gerichte berücksichtigt. In 81 Provinzen werden in den Zivilabteilungen des Amtsgerichts Familienberater zur Wahrnehmung dieser Aufgabe abgestellt. Auch unabhängig von einer Scheidung kann man im eigenen Interesse diese Unterstützung in Anspruch nehmen.

Informationen zufolge hat Familienministerin Fatma Şahin während der Vorbereitungsphase des Gesetzes Sondersitzungen unter Beteiligung von Familienrichtern abgehalten. In einer der Sitzungen, welche vor ungefähr drei Monaten stattgefunden haben soll, sollen Richter bei Şahin Klagen darüber geäußert haben, dass es sehr viele Paare gäbe, die während des Scheidungsprozesses im letzten Moment auf eine Scheidung verzichteten, aber dennoch Unterstützung benötigten. Auf Grund dieser Darlegungen habe sich die Regierung zur Schaffung der institutionalisierten Familienberatung entschlossen.