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Politik

Erdoğan stellt Demokratiepaket vor

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Die Türkei hat eine historische Chance auf Frieden. Ministerpräsident Erdoğan stellte am Montag ein in der Türkei mit Spannung erwartetes Reformpaket vor. Lesen Sie hier die wichtigsten Punkte. (Foto: cihan)

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Der türkische Premierminister Erdogan spricht im Parlament. Heute wurde das Demokratiepaket vorgestellt.
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„Das Kurdenproblem“, „Der Krieg im Osten“, „Der PKK-Terror“ – der jahrzehntelange Konflikt zwischen der türkischen Regierung und der PKK hat viele Namen – und einen bitteren, hohen Preis: die Gewalt kostete 40.000 Menschen das Leben, hunderte Dörfer wurden zerstört, tausende Menschen verschwanden spurlos, Schulen wurden angegriffen, Bomben inmitten von Zivilisten gezündet, junge Leben für den Konflikt geopfert.

Die Türkei hat nun eine historische Chance auf Frieden und Gerechtigkeit. Der türkische Ministerpräsident Erdoğan stellte am Montag ein in der Türkei mit Spannung erwartetes Reformpaket vor, das zur Stärkung der Minderheitenrechte und damit zur Festigung der Demokratie beitragen soll. Das Demokratiepaket soll eine Fortsetzung des Friedensprozesses mit der PKK ermöglichen und somit den Weg ebnen für eine Türkei ohne Krieg, ohne Tote.

Die wichtigsten Punkte des Demokratiepakets sind die Aufhebung des Kopftuchverbots im öffentlichen Dienst, das Recht auf Bildung in der Muttersprache, das Recht für Dörfer, Städte und Provinzen auf die Wiederannahme von nicht-türkischen Namen, die Möglichkeit auf die Absenkung der 10-Prozent-Hürde bei den Parlamentswahlen, die Ausweitung der Versammlungsfreiheit und weitere Rechte für kleinere religiöse und ethnische Gruppen.

Parteien

Weitere Punkte betreffen die Rechtslage von politischen Parteien. Erdoğan sagte, dass neben der möglichen Absenkung der 10-Prozent-Hürde Parteien, die bei der Wahl mehr als 3% der Stimmen erhalten, durch staatliche Fördermittel unterstützt werden sollen. Bislang brauchten Parteien in der Türkei mindestens 7%, um staatliche Förderung zu erhalten. Außerdem soll es türkischen Staatsbürgern fortan erleichtert werden, Mitglied in einer politischen Partei zu werden. Eine weitere  im Demokratiepaket vorgesehene Neuerung ist, dass Parteien erlaubt sein soll, ihr Programm und ihren Wahlkampf in einer anderen Sprache als Türkisch zu führen, so Erdoğan.

Religionsfreiheit

Harte Strafen sollen dem Reformpaket nach fortan für aus Hass begangene Straftaten, sog. „hate crimes“, verhängt werden. Der Ministerpräsident kündigte an, dass härtere Strafen für Rassismus und diskriminierende Äußerungen und Attacken vorgesehen sind. Durch die Reformen werde es Gruppen und besonders Individuen erleichtert ihre Religion offen auszuleben und die Religionsfreiheit werde besser geschützt. So soll auch das in der Türkei umstrittene Kopftuchverbot für Staatsbedienstete aufgehoben werden. Die Aufhebung gilt jedoch nicht für Richterinnen, Staatsanwältinnen und Frauen im Militärdienst.

Minderheiten

Die bislang in der Türkei verbotenen Buchstaben Q, W und X, die nicht im türkischen, aber dafür im kurdischen Alphabet vorkommen, dürfen nun uneingeschränkt benutzt werden. Ein von der kurdischen Minderheit besonders ersehntes Recht ist die in dem Demokratiepaket vorgesehene Möglichkeit, Schulbildung auch in der jeweiligen Muttersprache durchzuführen. Bei Bedarf sollen Schulen Unterricht in einer anderen Sprache als Türkisch anbieten. Durch diese Maßnahmen wäre auch der Weg für die Gründung von kurdischen Privatschulen geebnet. Das Recht auf Bildung in der Muttersprache könnte aber auch weitere anderssprachige Volksgruppen in der Türkei begünstigen, wie etwa Araber, Aramäer oder Georgier.

Die in der Türkei lebenden Roma sollen dem Reformpaket zufolge ein eigenes Kultur- und Sprachinstitut bekommen. Das Reformpaket sieht auch vor, dass das syrisch-orthodoxe Kloster Mor Gabriel umstrittenes Land zurückerhält, das in einem jahrelangen Rechtsstreit von Enteignung bedroht war. Auch andere Grundstücke sollen verschiedenen religiösen Minderheiten zurückgeben werden.

Enthalten ist auch das Recht darauf Dorf- , Städte- und Provinznamen ihre türkischen namen durch ihre Originalnamen zu ersetzen, sofern diese bereits vor 1980 existierten. Diese Änderung soll dazu führen, dass die Provinz Tunceli, die 1934 diesen türkischen Namen erhielt, fortan wieder Dersim heißen darf. Tausende Dörfer und Distrikte bekamen seit der Gründung der modernen Türkei türkische Namen und ihre alten, ursprünglichen Namen wurden verboten.

Die Nevşehir-Universtät in der Provinz Nevşehir soll in Hacı Bektaşı Veli-Universität umbenannt werden. Der muslimische Mystiker Hacı Bektaşı Veli ist für die türkischen Aleviten eine wichtige religiöse Persönlichkeit.

Parlament stimmt am 1. Oktober ab

Dem Ministerpräsident zufolge ist das am Montag verkündete Demokratiepaket Teil eines langfristigen und tiefgreifenden Streben zur wirklichen Demokratisierung der Türkei. Das Demokratiepaket werde „die Unabhängigkeit des Landes stärken“ und die Freiheit fördern, so Erdoğan. Das Demokratiepaket sei außerdem nicht das „erste, aber auch nicht das letzte“ seiner Art auf dem Weg der Türkei hin zu einem modernen Staat.

Erdoğans Reformpaket war in der Türkei mit Spannung erwartet worden, nachdem die PKK zu Beginn des Monats verkündet hatte, den im Friedensprozess vereinbarten Rückzug ihrer Kampfeinheiten aus der Türkei zu stoppen, da sich die türkische Regierung den Angaben der Terrorgruppe nicht an ihre Vereinbarungen gehalten habe.

Das türkische Parlament wird am 1. Oktober über das Demokratiepaket abstimmen. Erdoğan erhält von verschiedenen Seiten in der Türkei Unterstützung für das von ihm initiierte Reformpaket. Doch die aktuelle Kurdenpolitik der Regierung ruft auch heftige Kritik hervor. Politiker aus dem nationalistischen Lager werfen der Regierung immer wieder vor, mit Terroristen zu verhandeln und ihnen sogar politische Zugeständnisse zu machen.

Kurdische Politiker forderten von der Regierung in der Vergangenheit wiederholt das Recht auf Bildung in Kurdischer Sprache, die Abmilderung von Anti-Terrorgesetzen, die Absenkung der 10-Prozent-Hürde und die Stärkung von Kommunalregierungen.

Die rechtliche Benachteiligung von Minderheiten, besonders der Kurden, der blutige Krieg im Osten Anatoliens gegen die PKK mit seinen ca. 40.000 Toten lähmten über Jahrzehnte hinweg große Teile der Türkei. Im Mai 2013 begann die PKK nach Friedensverhandlungen zwischen dem inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan und der türkischen Regierung den Abzug ihrer im Osten des Landes operierenden Einheiten.

EU begrüßt Reformpaket

Die EU-Kommission hat das angekündigte „Demokratiepaket“ begrüßt. „Die angekündigten Maßnahmen lassen Fortschritte in vielen wichtigen Bereichen erhoffen“, sagte ein Sprecher der Kommission am Montag in Brüssel. „Wir werden sehr genau die Umsetzung der Maßnahmen im richtigen Leben beobachten.“ Die Kommission werde die angekündigten Reformen bei ihrem nächsten Bericht über den Stand der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei am 16. Oktober berücksichtigen.

„Wir haben sehr aufmerksam zugehört“, sagte der Sprecher zu der Rede. Die Kommission hat in den vergangenen Jahren immer wieder mehr Demokratie als eine Voraussetzung für einen EU-Beitritt der Türkei gefordert. Erdoğan habe hinsichtlich des Gebrauchs anderer Sprachen, der Religionsfreiheit, der Versammlungsfreiheit, des Wahlrechts und der möglichen staatlichen Parteienfinanzierung Hoffnungen auf Veränderungen geweckt. „Wir hoffen auf Fortschritte in diesen Fragen und auch auf die Einbindung der Opposition bei der Umsetzung dieses Pakets“, sagte der Sprecher.