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Wirtschaft

Türkei: Fleisch nur noch für Reiche? Wie der Kurdenkonflikt die Nahrungsmittelpreise steigen lässt

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Während die Nahrungsmittelpreise weltweit sinken, steigen sie in der Türkei seit Jahren kontinuierlich. Schuld ist eine neoliberale Landwirtschaftspolitik – aber auch der Konflikt im Südosten des Landes lässt die Teller ärmerer Türken im ganzen Land immer leerer werden.

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Rinderzucht in der Türkei
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Die Türkei hat ein Problem mit steigenden Nahrungsmittelpreisen. Vor allem Fleisch ist mittlerweile so teuer, dass weniger wohlhabende Familien es sich kaum noch leisten können. Für ein Kilo Rindersteak legt man beispielsweise bei Carrefour, einer der größten Supermarktketten in der Türkei, mittlerweile 50 Türkische Lira auf den Tresen (knapp 15 Euro), für ein Kilo Rinderfilet gar 85 Lira (25 Euro). Und dabei sollte man nicht vergessen, dass das Durchschnittseinkommen pro Kopf in der Türkei laut IWF nur knapp einem Viertel des deutschen entspricht.

Dabei war die Türkei einst ein Land, das seinen Nahrungsmittelbedarf weitgehend selbst decken konnte und sogar einen beträchtlichen Teil seines Bruttosozialproduktes durch den Export von Agrarprodukten erwirtschaftet hat. Das hat sich grundlegend geändert. Einen  strukturellen Wandel brachte jedoch die – auch vom IWF forcierte – neoliberale Wirtschaftspolitik der 2000er Jahre mit sich: Staatlich geführte Vieh- und Milchbetriebe wurden privatisiert, Subventionen für Landwirte und Viehzüchter gestrichen. Die Produktion sank, die Preise stiegen.

Die Regierung reagierte darauf mit dem massenhaften Import von Fleisch und anderen landwirtschaftlichen Produkten. Laut Özden Güngör, Präsident der türkischen Agraringenieurskammer ZMO (Ziraat Mühendisleri Odası), hat der türkische Staat innerhalb der letzten zwölf Jahre gerade einmal 70 Milliarden Lira (knapp 21 Milliarden Euro) für Landwirtschaftssubventionen ausgegeben – während im selben Zeitraum landwirtschaftliche Produkte im Wert von 320 Milliarden Lira (über 95 Milliarden Euro) importiert wurden.

Kämpfe im Südosten legen die Landwirtschaft lahm

In den letzten Monaten hat die gebeutelte türkische Landwirtschaft nun einen weiteren Schlag in den Kontor erhalten: Der Krieg im Südosten des Landes. Wie Şemsi Bayraktar, Präsident der Union der Landwirtschaftskammern der Türkei TZOB (Türkiye Ziraat Odaları Birliği) erklärt, kommt fast die Hälfte der Schafe, über ein Drittel der Ziegen und 28 % der Rinder der türkischen Landwirtschaft aus den umkämpften Provinzen des Südostens. Und die Produktion leidet enorm unter den heftigen Kämpfen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKK: Allein in den zwei Monaten nach dem Ausbruch des Konflikts im Juli letzten Jahres haben 100.000 Bauern und Viehzüchter im Südosten ihre Felder und Betriebe verlassen, um sich vor den Kämpfen in Sicherheit zu bringen. In vielen ländlichen Regionen wurden sogenannte “Sicherheitszonen” eingerichtet, die eine Bewirtschaftung unmöglich machen, und die langanhaltenden Ausgangssperren haben nicht nur hunderttausenden Zivilisten in den Städten das Leben zur Hölle gemacht, sondern auch dafür gesorgt, dass Bauern und Viehzüchter ihrer Arbeit nicht nachkommen können. Tausende Bauern haben daraufhin ihren Besitz verkauft und die Landwirtschaft aufgegeben.

Ein weiterer Einbruch der Produktion und damit eine weitere Preissteigerung waren die Folge: Um 25% verteuerte sich Fleisch in den letzten Monaten. Bereits im August letzten Jahres beschloss Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu deshalb eine Preisdeckelung für Fleisch- und Milchprodukte – weitgehend erfolglos. Den Einbruch der Produktion versuchte die Regierung mit verstärkten Fleisch-Importen auszugleichen – ebenso erfolglos. Der Import und dadurch die Abhängigkeit der traditionell inflationsanfälligen Lira vom Wechselkurs ausländischer Währungen führte zu weiteren Preissteigerungen. „Während weltweit die Nahrungsmittelpreise fallen, verteuern sie sich in der Türkei wegen der steigenden ausländischen Wechselkurse“, bringt es Durmuş Yılmaz, ehemaliger Zentralbankchef und jetzt Parlamentsabgeordneter der nationalistischen MHP, auf den Punkt. Und die Zahlen geben ihm recht: Nicht nur die Fleisch-, sondern die Nahrungsmittelpreise allgemein bewegen sich in der Türkei entgegen des weltweiten Trends. Während sie von 2013 bis heute international um 20% gefallen sind, sind sie in der Türkei um 32,4% gestiegen.

Korrekturversuche der Regierung helfen den Falschen

Außerdem schadet der massenhafte Fleischimport kleinen und mittelständischen Betrieben, dem Rückgrat der türkischen Landwirtschaft. Importiert wird nämlich vom staatlichen Fleisch- und Milchunternehmen ETK (Et ve Süt Kurumu), das keine Zölle abführen muss, während private Unternehmer zu regulären Weltmarktpreisen kaufen und ihre Ware dann noch versteuern müssen. „Nur Industrielle und die ETK profitieren von alldem. Sie sagen, dass sie auch kleine Geschäftsleute unterstützen wollen, aber das tun sie nicht“, beschwert sich Fazlı Yalçındağ, Vorsitzender des türkischen Fleischerverbands TKF (Türkiye Kasaplar Federasyonu).

Also soll nicht mehr nur fertiges Fleisch importiert werden. Einer der letzten Kabinettsbeschlüsse, den Ministerpräsident Davutoğlu unterschrieben hat, bevor er letzten Donnerstag seinen Rücktritt bekanntgab, ist der zum Import von 570.000 lebenden Tieren bis Ende 2016. Staatseigene Betriebe sollen steuerfrei 400.000 Rinder zur Schlachtung, 150.000 zu Zuchtzwecken sowie 20.000 Schafe und Ziegen importieren. Landwirtschaftsminister Faruk Çelik jedenfalls gibt sich sicher, dass der Tierimport helfen wird, die Preise wieder sinken zu lassen. Wie lange sich diese staatliche Importpolitik halten lassen wird, ist jedoch fraglich: Nicht nur hat das Wirtschaftswachstum spürbar an Fahrt verloren, auch die türkischen Devisenreserven sind empfindlich zusammengeschrumpft. Laut IWF sind die türkischen Reserven an ausländischen Währungen bereits unter ein kritisches Level gefallen. Vielleicht geht es dem Staat schon in naher Zukunft so wie ärmeren Familien bereits jetzt: Er kann sich dann kein Fleisch mehr leisten.