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Corona

Türkei: Gefängnisse als Brutstätten für das Coronavirus

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Kommen Gefangene in der Türkei frei? Das ist ein Thema, das auch schon vor dem Ausbruch des Coronavirus im Land diskutiert wurde. Mit dem Virus ist das Thema aber im Eilverfahren auf die Agenda gekommen. Eine endgültige Lösung gibt es jedoch immer noch nicht. Das könnte fatale Folgen haben. Denn überfüllte Gefängnisse sind Brutstätten für ein Virus.

Tausende Menschen sitzen weltweit in überfüllten, schlecht belüfteten Gefängniszellen. Viele von ihnen können sich weder regelmäßig die Hände waschen noch genügend Abstand zu anderen Häftlingen einhalten. Es ist der perfekte Nährboden für das Coronavirus. Vor allem in der Türkei ist dieses Problem nach dem Putschversuch 2016 größer geworden. Die Sicherheitsbehörden verhafteten Hunderttausende unter dem Vorwurf der Terrorunterstützung. Aufgrund der Verhaftungswelle im Land sind viele Gefängnisse mit weit mehr Menschen besetzt, als die Kapazität es eigentlich zulässt.

Die Regierungspartei AKP hat deshalb ein Gesetz zur vorzeitigen Entlassung von bis zu 90.000 der insgesamt 300.000 Inhaftierten auf den Weg gebracht. Das dtj berichtete. Die türkische Regierung möchte Haftzeiten von Verurteilten im offenen Vollzug sowie die von Risikogruppen wegen des Coronavirus in Hausarrest umwandeln. Von der Maßnahme sollen etwa Inhaftierte ab 65 Jahren und Schwerkranke profitieren. Ausgenommen sind Gefangene, die etwa wegen Gewalt gegen Frauen, vorsätzlichen Mordes und Terrorverbrechen einsitzen. Wegen Terrorvorwürfen sitzen auch viele Journalisten und Regierungskritiker im Gefängnis und sind damit von der Regelung ausgenommen. Anwälte und Menschenrechtler kritisieren das scharf.

Human Rights Watch: „Terrorismus-Begriff wird für politische Zwecke missbraucht“

Die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ (HRW) gehört zu den Kritikern der Entscheidung, bestimmte Gruppen nicht aus türkischen Gefängnissen zu entlassen. Die Türkei-Direktorin der HRW, Emma Sinclair-Web, fordert in einem englischen Beitrag auf der Webseite der Organisation die Freilassung aller Inhaftierten und behauptet, dass die Regierung in der Türkei den Begriff „Terrorismus“ für politische Zwecke missbrauche. Mit diesem Vorwurf würden viele ohne Beweis hinter Gittern gebracht. Darunter zählt Sinclair-Web den Journalisten Ahmet Altan, die kurdischen Oppositionspolitiker Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ sowie den Menschenrechtler Osman Kavala. Außerdem seien Tausende Beamte, Lehrer und andere Menschen wegen angeblicher oder tatsächlicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung verhaftet worden.

Für die türkische Regierung ist die Gülen-Bewegung eine Terrororganisation. Sie macht die Bewegung um den islamischen Gelehrten Fethullah Gülen für den Putschversuch vom 15. Juli 2016 verantwortlich, obwohl es dafür auch knapp vier Jahre danach keine handfesten Belege gibt.

Amnesty International und andere Organisationen fordern Freilassung

Auch andere Experten und Menschenrechtsorganisationen sind für die Freilassung der politischen Gefangenen. Ein Aufruf der „Amnesty International“, der „Vereinigung europäischer Journalisten“, des „International Press Institute“ und weiterer Organisationen fordert die Freilassung der politisch Gefangenen. „Die unterzeichnenden Organisationen fordern die türkischen Autoritäten auf, dringend und bedingungslos Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und andere, die für die einfache Ausübung ihrer Rechte angeklagt oder verurteilt wurden, freizulassen“, heißt es in dem Aufruf.

„Es könnte zu einem schrecklichen Massaker in Gefängnissen kommen“

Der ehemalige türkische Richter Ramazan F. Güzel kennt die Situation in türkischen Gefängnissen. In einem Beitrag für das Exilmedium TR724 warnte Güzel kürzlich vor den Auswirkungen des Coronavirus in türkischen Gefängnissen. „Wenn man zu spät handelt und das Virus sich dort verbreitet, kann es zu einem schrecklichen Massaker kommen“, behauptet Güzel.

HDP-Politiker startet Unterschriftenkampagne

Der HDP-Abgeordnete und Menschenrechtsaktivist Ömer Faruk Gergerlioğlu hat am Montag (23.März) auf Chance.org eine Unterschriftenkampagne gestartet. Darin verweist der Politiker auf die weltweit schwierige Situation und tödliche Auswirkung des Coronavirus. Er appelliert an die AKP-Regierung und ihrer Verfassungspflicht, alle Bürger gleich zu behandeln und das Leben aller Menschen zu schützen: „In einer Situation, in der Gefangene freigelassen werden müssen, um das Grundrecht auf Leben zu wahren, wird eine Regelung, die Intellektuelle, Politiker, Künstler und andere, die wegen ‚Terrorismus‘, wegen Twitterns, Schreibens oder Musizierens inhaftiert waren, hinter Gittern hält, zu weiteren tiefen Wunden im Gewissen der Menschen führen.“ Bis jetzt hat die Petition knapp 75.700 Unterstützer (Stand: 04.04.20., 08:15 Uhr).

 

(dpa/dtj)

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