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Politik

Türkei: Geht die Ära demokratisch gewählter Ministerpräsidenten zu Ende?

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Der Ministerpräsident und AKP-Vorsitzende Ahmet Davutoğlu hat angekündigt, von seinen Ämtern zurückzutreten. Ist dies die Folge eines Machtkampfes oder will Erdoğan nur einen Ministerpräsidenten, der noch weniger zu melden hat?

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Es war nur eine Frage der Zeit: Der türkische Staatspräsident, der ja laut Gesetz parteipolitisch neutral bleiben muss, hat seinen Einfluss auf die regierende Partei AKP demonstriert. Am Donnerstag gab der türkische Ministerpräsident und AKP-Vorsitzende Ahmet Davutoğlu überraschend seinen Rücktritt vom Parteivorsitz bekannt. Es soll ein außerordentlicher Parteitag einberufen werden, auf dem Davutoğlu dann offiziell vom Amt des Parteivorsitzenden abgelöst wird. Der neue Parteivorsitzende soll dann auch den Ministerpräsidentenposten bekommen.

Ein echter Machtkampf zwischen Erdoğan und Davutoğlu, wie ihn viele Kommentatoren hierzulande gerne mal in den Raum werfen, ging diesem Schritt nicht voraus. Davutoğlu hatte nie das Zeug, für den machtgierigen Erdoğan ein Gegner zu sein. Das zeigte sich in seiner Abschiedspressekonferenz: „Erdoğans Familienehre ist meine Ehre, seine Familie ist meine Familie!“, ließ er dort verlauten. Der „Hoca“ (auf Türkisch: ehrwürdiger Lehrer), wie er in Anlehnung an seine akademische Karriere in Parteikreisen und der Wählerschaft gerne genannt wird, hat nicht hart um das Amt des Ministerpräsidenten gekämpft. Auch seine vorherigen Posten, unter anderem das Amt des Außenministers, waren keine Positionen, für die er viel arbeiten musste. Dies machte er auf seiner Abschluss-PK auch noch einmal deutlich.

Ahmet Davutoğlu war für Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan eine ideale Marionette. Er wollte seinen alten Status des Ministerpräsidenten, der laut türkischer Verfassung eigentlich mehr zu sagen hat, als der repräsentative Staatspräsident, nicht an jemanden übergeben, der die Macht an sich reißen könnte. Sein Nachfolger sollte also nicht der Ministerpräsident des Parlaments oder des Wahlvolkes werden, sondern direkt von Erdoğan abhängig sein. Sein früherer Weggefährte Abdullah Gül wäre dafür der falsche gewesen. Seine starke Haltung als Staatsmann und die ihn unterstützende, parteiinterne Flanke (seine von der Menge her nicht zu unterschätzende Anhängerschaft) hätte zur Gefahr für Erdoğan werden können. Namen wie Binali Yıldırım oder Bekir Bozdağ, die beide eigentlich immer nur nach Erdoğans Schema arbeiten und zu seinen vertrautesten Leuten gehören, hätten weniger Anhänger innerhalb der türkischen Bevölkerung generiert und somit bevorstehende Wahlkämpfe faktisch bedroht.

Davutoğlu, früher als Erdoğans enger Berater im Einsatz, galt als intellektuell und genoss hohes Ansehen in der türkischen Bevölkerung. Seine klugen Kommentare, insbesondere in Bezug auf internationale Beziehungen, wurden oft auch parteiübergreifend geschätzt. Zudem war er nicht in die Korruptionsaffäre verwickelt und somit bestens dafür geeignet, den durch die Korruptionsaffäre beschmutzen Namen der AKP wieder aufzupolieren. Ihn hätte er leichter kontrollieren können – so soll Erdoğan gedacht haben.

Schon bald aber machte sich Davutoğlu für abweichende Positionen stark: Er versuchte aus den Listen bestimmte Namen zu streichen, die ursprünglich von Erdoğan für die Wahlen fest eingeplant waren. Er wollte selber bestimmen, mit welchen Ministern er zusammenarbeitet. Durch diese Initiative hatte es Davutoğlu tatsächlich geschafft, einige Namen von der Liste zu verbannen. Schon damals machten sich Ungereimtheiten bemerkbar. Doch Erdoğan-nahe Politiker innerhalb der Partei hatten verhindert, dass Davutoğlu viel mehr zu sagen bekommt.

Erste Zeichen für seinen Rücktritt wurden bereits vergangenen Dienstag bei seiner Rede in der Fraktionssitzung deutlich. Dort hielt er eine ungewöhnlich kurze Rede, bei der er einen desillusionierten Eindruck hinterließ. Auf der Abschluss-PK zeigte er sich zwar immer noch enttäuscht, versuchte diese Enttäuschung aber durch seine Rhetorik zu verdecken. Seine Körperhaltung, Gestik und Mimik sprachen eine ganz andere Sprache als seine gut ausgewählten Worte. Schließlich ist es nicht einfach, solch ein Amt ohne besonderen Grund niederzulegen. Er verlässt sein Amt nicht wegen eines Skandals, nicht durch eine Vertrauensfrage und auch nicht durch eine demokratische Abstimmung auf einem Parteitag. Zur Begründung sagte er auch nicht vielmehr, als dass dieser Schritt einfach das „Ergebnis einer sich ergebenden Notwendigkeit“ gewesen wäre. Eine ziemlich lasche Begründung.

Seine Erfolge wollte er aber noch einmal mitteilen; Er habe der Partei ein Ergebnis von 49,5 % bei den letzten Wahlen eingebracht. Er versuchte deutlich zu machen: Es war mein Erfolg, nicht Erdoğans.

Doch, was genau war diese besagte und mysteriöse Situation der Notwendigkeit denn dann? Ein paar Tage zuvor hatte die Parteiführung schwerwiegende Einschnitte in die Zuständigkeiten Davutoğlus beschlossen. Er hatte damit nicht mal mehr in den untersten Parteiebenen etwas zu sagen. Dieser Schritt der Parteiführung kam nicht von ungefähr. Erdoğan wusste zwar, dass Davutoğlu, der auch nicht gerade offensiv für das von Erdoğan verlangte Präsidialsystem kämpfte, alleine keine Gefahr für ihn sein kann. Aber die Angst, dass sich Davutoğlu mit Abdullah Gül und dem früheren stellvertretenden Ministerpräsidenten Bülent Arınç verbündet, der in letzter Zeit öffentlich die junge Generation innerhalb der AKP und auch Erdoğan scharf kritisierte, war dem Staatspräsidenten ein zu großes Risiko. Abwarten, ob Davutoğlu sich doch noch auf Linie bringen lässt, wollte er nicht mehr.

Der ganze Schritt ist gleichzeitig ein Appell an den zukünftigen Ministerpräsidenten: Versuche ja nicht, dem „großen Sultan“ zu widersprechen. Damit ist nicht nur die Ära Davutoğlu zu Ende, sondern wohl auch die Ära der demokratischen Ministerpräsidenten insgesamt. Der nächste Ministerpräsident wird mehr denn je eine Marionette sein. Ideale Namen dafür sind wohl die anfangs genannten Bekir Bozdağ und Binali Yıldırım, sowie der Vorzeige-Schwiegersohn Erdoğans, Berat Albayrak, der gegenwärtig das Amt des Ministers für natürliche Energiequellen schmückt.