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Bildung & Forschung

Türkei: Werden Dershanes verboten?

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Zwar werden den bislang durchgesickerten Inhalten der großen Bildungsreform zufolge der muttersprachliche Unterricht durchgesetzt und die soziale Durchmischung verbessert. Doch angeblich stehen auch die privaten Nachhilfezentren vor dem Aus. (Foto: iha)

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Schüler bereiten sich in einer Dershane auf eine schriftliche Prüfung vor.
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Freies Unternehmertum und die Durchlässigkeit des Bildungswesens in der Türkei stehen vor einem schweren Rückschlag. Ein heute in der Tageszeitung Zaman veröffentlicher Gesetzesentwurf sieht die Schließung von Vorbereitungsschulen und privaten Nachhilfezentren (Dershane) mit Ende des Schuljahres 2013/14 vor und droht Betreibern derselben mit Geldbußen.

Behauptungen zufolge bereitet ein Ausschuss unter der Leitung des Staatssekretärs Yusuf Tekin (Kultusministerium) einen Gesetzesentwurf vor, welcher radikale Veränderungen am Bildungssystem vorsehe. Das Bildungsministerium wies den Bericht zurück.

Der Schulstoff könnte nach der Schließung sämtlicher Nachhilfezentren, welche der Gesetzesentwurf in erster Linie bezwecke, nicht mehr mittels außerschulischer Zusatzkurse vermittelt werden. Insbesondere Schüler im infrastrukturell benachteiligten Osten der Türkei hätten dadurch nicht mehr die Möglichkeit, auf ein gutes Gymnasium oder gar auf eine Universität zu gehen.

Dem Entwurf zufolge soll Vorbereitungsschulen ein Zeitraum von drei Jahren eingeräumt werden, in denen diese zu Privatschulen umgewandelt werden können. Sollten sie diese Umstrukturierung nicht bewerkstelligen, werden sie geschlossen. Zuwiderhandelnden drohen hohe Bußgelder zwischen 500 000 und 1 Mio. TL (ca. 364 000 Euro), und zwar sowohl bei Fortbetrieb, Nicht-Kooperation mit dem Ministerium oder bei Fälschung und Täuschung als auch im Falle von Reklame oder Verbreitung von Informationsmaterialien, die zur Täuschung des Ministeriums oder der Kunden dienen.

Es sieht auch vor, dass Lehrer geschlossener Vorbereitungsschulen die Möglichkeit haben werden, sich beim Erziehungsministerium für eine Tätigkeit als Lehrer an einer staatlichen Schule registrieren zu lassen, ohne die KPSS-Prüfung, eine Art Einstiegstest für angehende Staatsbeamte, absolvieren zu müssen. Es gibt jedoch auch Gerüchte, wonach dies nicht der Fall sein soll und sogar Privatunterricht zu Hause oder private Kurse gleichzeitig unterbunden werden sollen.

Staat bezahlt, aber führt die Aufsicht

Die Debatte über eine Schließung der Dershane ist in der Türkei nicht neu, aber noch nie wurden Überlegungen, die in Regierungskreisen laut geworden waren, tatsächlich ernsthaft weiterverfolgt. Für Eltern soll die Maßnahme Erleichterung bringen, da der Unterricht in den Dershanes vielen als kostspielig erscheint – dennoch bleiben auch in diesem Zusammenhang Fragen offen.

Der Entwurf soll auch Anreize zur Umwandlung in Privatschulen vorsehen. Die Einrichtungen sollen das Recht auf einen niedrigen Lokaltarif für Elektrizität, Gas und Wasser eingeräumt bekommen, sie sollen bei Infrastrukturmaßnahmen bevorzugt werden, der Staat soll drei Jahre lang 70% der Sozialbeiträge für das Schulpersonal bezahlen und die Schulen sollen einen 80%-Nachlass auf die Einkommenssteuer erhalten.

Derzeit nehmen Schüler in den Dershanes zusätzlichen Unterricht gegen zusätzliches Entgelt, ähnlich wie auch bei deutschen Nachhilfeinstituten. Meist umfasst der reguläre Schulunterricht 40 Wochenstunden, in den Dershanes werden im Schnitt zusätzlich zwischen 15 und 20 Stunden in Anspruch genommen, meist an Mittel- und Oberschulen zur Vorbereitung auf Aufnahmeprüfungen an höheren Schulen oder Universitäten. Für viele Familien bedeutet dies eine hohe finanzielle Belastung.

Kontrollorgan werden die Zähne gezogen

Eine weitere wichtige Änderung gemäß dem Gesetzesentwurf soll die Auflösung des Ausschusses „Erziehung und Bildung“ (TTK) sein, welcher als Herz des Kultusministeriums galt. Dem Ausschuss, der aus Erziehungswissenschaftlern und Akademikern besteht, würden sämtliche Entscheidungs- und Kontrollrechte genommen und er würde zu einem „wissenschaftlichen Untersuchungs- und Beratungsorgan“ umgewandelt. Durch diese Veränderung würde das Bildungssystem an Einrichtungen zur Qualitätskontrolle verlieren.

Die zusätzlichen Kosten, die dem Ministerium durch diese Umgestaltung entstehen, sollen aus Einnahmen auf den Wegen der Steuer, von Fonds und Anteilsgewinnen aus Glücksspielen finanziert. Laut Absatz 43 des Entwurfs steigt die Zahl der vorgeschriebenen Prüfungen für Lehramtsabsolventen auf insgesamt vier. Kandidaten, die im Ausland die Promotion anstreben, werden einem zusätzlichen Prüfungsverfahren unterworfen. Zuvor wurde ein derartiges Prüfungsverfahren bei Richteramts- und Staatsanwaltsanwärtern angewandt, was insbesondere seitens der CHP und MHP stets als Einfallstor für die Manipulation der Justizbelegschaft kritisiert wurde.

Arbeitslosen Lehrern wird laut neuem Gesetz eine Anstellung versprochen. Allerdings ist dieses Versprechen an eine Bewerbungsauflage gebunden. Was mit den tausenden Lehrern, die trotz bestandener Qualifikationsprüfung KPSS nicht versetzt werden konnten, geschehen wird, steht noch offen. Zumindest dürfen in Zukunft Lehrer für Zusatzunterrichtsstunden höher entlohnt werden.

Diese Erhöhung liegt für normale Lehrern bei 100%, für Fachlehrer bei 120% und für Oberlehrer bei 140%. Ausbezahlt werden dann statt zusätzlichen 468 Lira nun insgesamt 721 Lira. Mit dieser Regelung kommt die 2009 abgeschaffte Kategorisierung in Lehrkraft, Fach- und Oberlehrer erneut zur Anwendung.

Viel Schatten, wenig Licht

Immerhin bringt der Entwurf auf dem Gebiet der Zugänglichkeit und Wahlfreiheit im Schulwesen selbst Verbesserungen. Bisher sah das Gesetz vor, dass Minderheitenschulen auch lediglich von Nichtmuslimen und doppelten Staatsbürgern besucht werden konnten. Mit der neuen Regelung wird die Regelung, dass „in diesen Minderheitenschulen nur Mitglieder der Minderheit unterrichtet werden können“, aufgehoben. Somit kann jeder auf Wunsch die nächstgelegene Schule aussuchen. Auf diese Weise soll ein Mehr an gesellschaftlicher Verschmelzung erreicht werden.

Weiterhin können laut Gesetzesentwurf in Zukunft Beamte zwecks Fort- und Ausbildung im Ausland unbezahlten Urlaub beantragen. Bisher mussten Angestellte im Beamtenstatus ihren Status kündigen, um an finanzierten Förderprogrammen im Ausland teilnehmen zu können.

Im Zuge des Demokratiepakets wurde seitens des Premierministers auch das Thema der muttersprachlichen Bildung angesprochen. Der nunmehrige Entwurf sieht vor, dass „türkische Staatsangehörige zum Zwecke der Vermittlung ihrer Alltagssprachen und Dialekte Grund- und Mittelstufeneinrichtung öffnen können“. Wie im Wege der Umsetzung an den Schulen unterrichtet wird, wird durch das Kabinett bestimmt.