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Politik

Istanbul – das Zünglein an der Waage

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2014 wird das Jahr der Wahlen in der Türkei. Als erstes finden die Kommunalwahlen am 30. März statt. Im August dürfen die Türken zum ersten Mal an die Wahlurnen gehen, um ihren Präsidenten zu wählen. Umfragen versprechen Spannung. (Foto: Atilla Akgül)

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Im Vordergrund die zweite Brücke.
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Im Laufe der Geschichte der Republik war das Staatsoberhaupt stets vom Parlament gewählt worden, aber in Folge des erfolgreich verlaufenen Referendums zur Teiländerung der Verfassung wird der Präsident künftig direkt gewählt.

Da die Türkei eine parlamentarische Demokratie ist, gab es kontroverse Debatten über die Einführung der Direktwahl des Staatspräsidenten. In der akademischen Welt und den Printmedien wurde spekuliert, ob ein Regierungswechsel das Resultat sein würde. Ein Staatschef, der direkt gewählt wird, hat eine mindestens ebenso große Autorität wie ein Regierungschef, der die Legitimation des Parlaments genießt.

Gab es in der Vergangenheit Missverständnisse, hatte der Regierungschef immer den Vorteil und das Privileg, auf sein starkes Mandat durch die Bevölkerung verweisen zu können. Allerdings wird dies im August 2014 nicht mehr der Fall sein, sondern eher das Gegenteil. Der direkt gewählte Präsident wird auf seine unmittelbare Legitimation verweisen und so stärkeren Druck ausüben können.

Die Kommunalwahlen im März werden ein guter Test für die Beliebtheit aller politischen Parteien innerhalb der Wählerschaft sein. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie ein entscheidender Faktor für die spätere Auswahl der Präsidentschaftskandidaten sein werden. Die ist der Hauptgrund, warum alle Parteien die Kommunalwahlen sehr ernst nehmen.

Umfrage: Mehrheit glaubt nicht an Komplott hinter Korruptionsskandal

Schenkt man einer jüngst veröffentlichten Umfrage des Sonar-Instituts Glauben, steht die regierende AKP landesweit bei einem Stimmenanteil von nur noch 42,3%. Die oppositionelle CHP liege demnach derzeit bei 29,8% und auch die MHP befände sich mit 18,7% im Aufschwung. 60% der Befragten waren der Meinung, die derzeitigen Korruptionsermittlungen würden fair geführt, nur 28% verneinten dies. Es ist schwer einzuschätzen, inwieweit die landesweite Stimmung die Kommunalwahlen beeinflussen werde, zumal auf regionaler Ebene auch weitere politische Parteien wie die prokurdische BDP, die nationalkonservative BBP, die islamisch-konservative SP oder unabhängige Kandidaten in lokalen Hochburgen mehrheitsfähig sind.

Ein besonders hohes Maß an Aufmerksamkeit wird in jedem Fall der Wahl des Oberbürgermeisters von Istanbul zukommen. Der derzeitige Amtsträger, Kadir Topbaş, wird zum Zeitpunkt der Wahlen seit über zehn Jahren im Amt gewesen sein. Sein Gegner wird diesmal Mustafa Sarıgül (CHP) sein, der seit 15 Jahren Bürgermeister der Gemeinde Şişli ist. Sarıgül ist ein charismatischer und erfolgreicher lokaler Verwalter, der bereits 1987 als jüngster Abgeordneter aller Zeiten in die Große Nationalversammlung gewählt worden war.

In den Medien wird das Rennen in Istanbul vor allem als ein Kampf zwischen den Kandidaten der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) und regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) dargestellt. Eher eine Außenseiterrolle kommt dem Stadtplaner Rasim Acar zu, der für die Idealistenbewegung ins Rennen gehen wird, sowie dem von BDP und HDP (Demokratische Volkspartei) unterstützten Sırrı Sürreya Önder, dessen Antreten die CHP schwächen könnte. Es ist jedoch davon auszugehen, dass kleine Parteien in der Metropole unter der Polarisierung zwischen Topbaş und Sarıgül eher leiden werden.

Mustafa Sarıgüls mögliche Achillesferse ist die eigene Partei

Da Sarıgül kommunalpolitisch eine Erfolgsbilanz vorzuweisen hat und Beliebtheit bei allen Altersgruppen und in unterschiedlichen politischen Lagern genießt, gilt er mit Blick auf den 30. März als Favorit – zumal Kommunalwahlen auch in der Türkei viel stärker von Persönlichkeiten als von Parteien dominiert werden.

Sarıgül ist ein Kandidat, der weit über die traditionelle Basis der Sozialdemokraten hinaus Anhänger hat und der in der Lage ist, Linksstehende, Zentristen und Konservative gleichermaßen anzusprechen. Sollte im Unterschied zu früheren Zeiten ihn diesmal auch seine eigene Partei loyal unterstützen, könnte Sarıgül mit dem Posten des Oberbürgermeisters von Istanbul schon bald eines der einflussreichsten Ämter der gesamten Türkei bekleiden.