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Politik

Türkei: Die Chronologie der Korruptionsaffäre

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Die Polizeiaktionen im Zusammenhang mit den bereits seit 2012 andauernden Korruptionsermittlungen, die am 17. Dezember 2013 die Angelegenheit an die Öffentlichkeit treten ließen, halten nach wie vor das Land in Atem. (Fotos: dpa/zaman/iha/rtr)

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Seit einem knappen Monat beherrscht die Korruptionsaffäre im Umfeld der Regierungspartei AKP die politische Debatte innerhalb der Türkei. Die Folgewirkungen auf die innenpolitische Situation und auf die Wirtschaft des Landes sind noch nicht absehbar.

Ein Anlass, die wichtigsten Ereignisse noch einmal Revue passieren zu lassen.

17. Dezember 2013: Polizeieinheiten durchsuchen in mehreren Städten des Landes Wohn- und Geschäftsgebäude namhafter Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft des Landes. Unter den Verhafteten befinden sich Barış Güler, der Sohn des Innenministers Muammer Güler, Kağan Çağlayan, der Sohn des Wirtschaftsministers Zafer Çağlayan, darüber hinaus Oğuz Bayraktar, Sohn des Ministers für Umwelt und urbane Entwicklung, Erdoğan Bayraktar, der Bürgermeister des Istanbuler Bezirks Fatih, Mustafa Demir, die Unternehmer Ali Ağaoğlu und Rıza Sarraf sowie der Generaldirektor der Volksbank (Halk Bank), Süleyman Aslan.

Es sollen unter anderem Schmiergelder für die Vergabe von Bauaufträgen und für die vorzeitige Verleihung von Staatsbürgerschaften geflossen sein. Es geht unter anderem um „verdächtige Geldtransfers“ und „Betrug und Ausschreibungsmanipulation“. In der Bibliothek des Privatgrundstücks von Süleyman Aslan soll Bargeld in Höhe von 4,5 Mio. US-$ in Schuhboxen gefunden worden sein.

18. Dezember 2013: Die Opposition fordert angesichts der Tatsache, dass die Korruptionsvorwürfe weit in das direkte persönliche Umfeld von Regierungspolitikern reichen, den Rücktritt mehrerer Minister und des Premierministers.

Die Regierung versetzt indessen fünf Istanbuler Polizeichefs, unter ihnen den Leiter der Abteilung für Finanzkriminalität, Yakup Saygılı, den Leiter der Anti-Schmuggel-Abteilung, Tuğrul Turhal, den Leiter der Abteilung zur Bekämpfung organisierter Kriminalität, Nazmi Ardıç, den Chef der Anti-Terror-Abteilung der Polizei, Ömer Köse und den Leiter der Abteilung für öffentliche Sicherheit, Ertan Erçıktı.

Sie wirft den Beamten Fehlverhalten im Amt vor, weil diese ihre Dienstvorgesetzten und den Minister nicht über die Ermittlungen informiert hatten, die den Informationen aus der zentralen Aktenevidenz (UYAP) zufolge bereits zum Ende des Jahres 2012 eingeleitet worden waren.

19. Dezember 2013: Mittlerweile ist die Rede von Bestechungsfällen im Zusammenhang mit öffentlichen Ausschreibungen und mit Fällen von Geldwäsche von iranischem Schwarzgeld in Höhe von 87 Milliarden Euro. Eine der Schlüsselfiguren soll dabei der iranische Geschäftsmann Rıza Sarraf gewesen sein, der zudem unter zweifelhaften Umständen vorzeitig die türkische Staatsangehörigkeit verliehen bekommen haben soll.

Die Regierung setzt ihre Versetzungsoffensive innerhalb des Polizeiapparats fort und enthebt elf weitere Polizeichefs in Istanbul und 18 führende Polizeibeamte in Ankara ihrer Posten. Sie werden auf neue Posten mit geringerem Kompetenzumfang versetzt und zum Teil durch Personen ersetzt, die zuvor nicht einmal Erfahrungen in der Polizeiarbeit sammeln konnten. Den ermittelnden Staatsanwälten werden weitere Staatsanwälte beigegeben, welche die Ermittlungen beaufsichtigen sollen.

Unterdessen sprechen Premierminister Erdoğan, einige Regierungsmitglieder und regierungsnahe Medien von einer angeblichen Verschwörung als Ursache der Korruptionsermittlungen. Die USA und Israel hätten sich demnach mit der Hizmet-Bewegung, die gezielt den Staatsapparat unterwandert haben soll, verbündet, um die weitere Aufwärtsentwicklung der türkischen Wirtschaft zu verhindern.

Juristenvereinigungen sprechen von einer massiven Einmischungskampagne der Regierung in die Justiz mit dem Ziel, die Korruptionsermittlungen zu sabotieren.

21. Dezember 2013: Der türkische Ministerpräsident sieht in den Korruptionsermittlungen eine „dreckige Operation“ gegen seine Regierung. Er droht verbündeten Staaten wie den USA mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen.

US-Botschafter Francis Ricciardone betont, die USA hätten „in keinster Weise“ etwas mit den Korruptionsermittlungen zu tun. Regierungsnahe Medien wie die Zeitung „Star“ hatten eine angebliche Aussage Ricciardones in einem Gespräch mit EU-Botschaftern zitiert, wonach die USA die Türkei erfolglos aufgefordert hätten, Halkbank-Geschäfte mit dem Iran zu unterbinden. „Jetzt werden Sie den Sturz eines Imperiums sehen“, habe Ricciardone diesen Berichten zufolge gesagt.

Ricciardone bezeichnet den Bericht auf Twitter als „völlige Lüge und Verleumdung“ und weist alle Anschuldigungen zurück. Ein solches Treffen habe seinen Aussagen zufolge nie stattgefunden.

Die Regierung erlässt eine Verfügung, wonach Polizisten ihre Vorgesetzten über Ermittlungen künftig informieren müssen.

22. Dezember 2013: Journalisten wird der freie Zutritt zu Polizeibehörden ohne Einladung landesweit nicht mehr gestattet.

AKPAbgeordnete

25. Dezember 2013: Erste personelle Konsequenzen aus dem Korruptionsskandal in der Regierung: Innenminister Muammer Güler (re.) und Wirtschaftsminister Zafer Çağlayan (li.) geben ihren Rücktritt bekannt. Auch Umwelt- und Stadtentwicklungsminister Bayraktar (mi.) nimmt im Laufe des Tages seinen Hut – er fordert dabei jedoch im Unterschied zu den anderen auch Premierminister Erdoğan dazu auf, es ihm gleichzutun.

Auch das iranische Parlament will nun Verdachtsfälle auf Korruption während der Ära Ahmadinedschad untersuchen. Die Rolle von Personen wie Sarrafs Mittelsmann im Iran, Babak Zanjani, soll dabei unter die Lupe genommen werden. Es ist die Rede von einem versteckten Goldring für den Ölhandel über die Halkbank, über den dieser 87 Milliarden Euro innerhalb von drei Jahren in den Iran geschmuggelt haben soll.

Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül verspricht unterdessen eine vollständige Klärung der Korruptionsvorwürfe.

26. Dezember 2013: Umfassende Regierungsumbildung durch Premierminister Erdoğan. Zehn der 26 Kabinettsposten werden neu besetzt. Staatssekretär Efkan Ala wird neuer Innenminister, der bisherige stellvertretende Premierminister Bekir Bozdağ wird Justizminister. Die beiden Erdoğan-Getreuen sollen gegen die angeblichen „Verschwörer“ im Inneren des Polizei- und Justizapparates vorgehen.

29. Dezember 2013: Die türkische Armee gelobt in einem Statement, sich nicht in die aktuellen politischen Ereignisse einzumischen. Unterdessen werden erste Fälle von Gehorsamsverweigerung von Amtswaltern im Zusammenhang mit der Korruptionsaffäre bekannt. So sollen Polizeibeamte sich geweigert haben, vom Staatsanwalt beantragte und von Gerichten genehmigte Haft- oder Hausdurchsuchungsbefehle auszuführen. Staatsanwalt Muammer Akkaş sieht sich genötigt, mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit zu gehen, in welcher er Obstruktion und Hetze gegen seine Person beklagt.

03. Januar 2014: Eine staatliche Anweisung ordnet an, die Imame mögen sich im Vorfeld der kommenden Kommunalwahlen nicht einmischen oder politisch zu Wort melden. Da dies bereits in der Vergangenheit kaum geschehen war, gilt die Anordnung als ein Anzeichen für Nervosität seitens der Regierung.

06. Januar 2014: Erstmals fordert auch Premierminister Erdoğan eine Erklärung seitens des Halkbank-Generaldirektors Süleyman Aslan zum Auffinden hoher Bargeldsummen in seinen privaten Räumlichkeiten.

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07. Januar 2014: Um seine Theorie einer angeblich unterwanderten Justiz zu untermauern, stellt Premierminister Erdoğan den verurteilten Generälen des Balyoz- und Ergenekon-Verfahrens eine Wiederaufnahme ihrer Prozesse in Aussicht.

Das Nachrichtenportal T24 berichtet, die Nationale Geheimdienstorganisation (MIT) soll bereits Anfang des Jahres 2013 Premierminister Recep Tayyip Erdoğan über verdächtige Beziehungen zwischen einigen türkischen Ministern und dem iranischen Geschäftsmann Reza Sarraf gewarnt haben, der im Zusammenhang mit den Untersuchungen rund um Verdachtsfälle von Korruption und Bestechung in Untersuchungshaft sitzt.

08. Januar 2014: Zeitungen berichten, die Regierung habe in der Hauptstadt Ankara an einem einzigen Tag fast 350 Polizisten zwangsversetzt. Insgesamt sollen in den Wochen zuvor etwa 1000 Polizisten zwangsversetzt worden sein. Außerdem seien Polizeichefs in 16 Provinzen ausgetauscht worden, darunter in Ankara, Izmir und Antalya.

Es soll eine „Schwarze Liste“ von 2000 Personen geben, die auf der Abschussliste der Regierung stehen sollen, darunter Polizisten, Richter, Staatsanwälte, Verwaltungsbeamter, Geschäftsleute und Journalisten, die alle Teil des „parallelen Staatssystems“ der angeblichen Verschwörer gewesen sein sollen.

Der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK) – ein Kontrollorgan – nimmt indessen Ermittlungen gegen einen neu eingesetzten Polizeichef von Istanbul und gegen einen Istanbuler Staatsanwalt auf, der die Ermittlungen wegen Korruption geführt und dann von der Aufgabe abgezogen worden war. Ihnen wird Fehlverhalten im Amt vorgeworfen.

10. Januar 2014: Die im Staatsbesitz befindliche türkische Volksbank (Halkbank), deren Generaldirektor im Zuge der Korruptionsermittlungen derzeit in Untersuchungshaft sitzt, will ihre bestehenden Geschäftsbeziehungen mit dem Iran aufrechterhalten. Dies betreffe in erster Linie den Zahlungsverkehr für türkische Öl- und Gasimporte, betont der stellvertretende türkische Premierminister Ali Babacan.

12. Januar 2014: Eine Auseinandersetzung über einen Gesetzesentwurf der Regierung, der die Schaffung eines Sonderkontrollgremiums vorsieht, welches die Justiz kontrollieren soll, artet in Handgreiflichkeiten innerhalb des Parlaments aus.