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Politik

Erdoğan – Behauptungen und Tatsachen

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„Ananas“ als Codewort für illegale Abhöraktionen? David Cameron lässt Fernsehsender schließen? Im Privathaus gebunkerte Millionen als gedachte Spende für eine Imam-Hatip-Schule? Wir haben uns zehn Thesen des Premiers mal genauer angesehen. (Foto: cihan)

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Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan
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Seit dem 17. Dezember, dem Tag, an dem in der Türkei die Korruptionsermittlungen bekannt wurden, stellt Premierminister Recep Tayyip Erdoğan nahezu tagtäglich neue Theorien auf, wer und was für das „dreckige Komplott“ verantwortlich ist. Wir haben uns diese Behauptungen mal etwas genauer angesehen.

1. Behauptung:

„Hinter der Operation stecken die USA. Der Botschafter Ricciardone sagte: ‚Ihr werdet den Zusammenbruch des Imperiums erleben.‘“

Die Wahrheit ist:

Diese Behauptung wurde widerlegt. Nach den empörten Reaktionen aus den USA wurde diese auch von den Zeitungen, die sie aufgebracht hatten, nicht mehr wiederholt.

Es wird behauptet, dass diese Aussage bei einem Abendessen am 17. Dezember gefallen sei, wo sich US-Botschafter Ricciardone mit EU-Botschaftern getroffen hatte. Ricciardone machte den Zeitungen Star, Yeni Şafak und Akşam gegenüber deutlich, dass er so etwas nicht gesagt hat. Auch AKP-Parteisprecher Hüseyin Çelik erklärte in seinem Twitter-Beitrag, dass diese Behauptung nicht stimmt. Dennoch hält der Premierminister exakt diese Behauptung in seinen Reden aufrecht. Außerdem meinte US-Außenminister John Kerry am Ende einer Pressekonferenz zu Davutoğlu: „Ahmet, willst du nichts von unserem Gespräch über die Innenpolitik zwischen den USA und der Türkei erzählen? Oder soll ich das machen?“ Daraufhin erklärte Davutoğlu seinem Kollegen, er gehe davon aus, dass sich die USA auf gar keine Weise in die Politik der Türkei einmischen.

2. Behauptung:

Die mutmaßlich vor wenigen Monaten illegal errichteten Villen des Erdoğan-Clans in Urla und Zeytineli gibt es schon seit 35 Jahren.

Wahrheit:

Diese Villen standen vor zwei Jahren noch nicht dort.

Die oppositionelle CHP brachte kürzlich eine parlamentarische Anfrage ein im Zusammenhang mit Vorwürfen, wonach Erdoğan sich im Gegenzug für die Genehmigung eines Bauprojekts in einem Schutzgebiet an der Ägäis zwei Villen schenken ließ. Diesbezüglich sind Dokumente und Nachfragen hinsichtlich des Gerichtsverfahrens bezüglich der illegal gebauten Villen in Urla aufgetaucht. Der Premierminister hatte am 11. Februar auf einer Pressekonferenz, welche er gemeinsam mit dem Premierminister von Spanien führte, folgendes gesagt: „Damit könnt ihr den Premierminister nicht beflecken. Dafür reichen weder eure Macht, noch eure Beweise aus.“

Allerdings zeigte ein Dokument, das am gleichen Abend gefunden wurde, dass die Villen in Urla und Zeytineli illegal gebaut wurden und es deshalb auch Ermittlungen gebe. Auch meinte der Regierungschef: „Die Villen stehen schon seit 35 Jahren dort.“ Wobei jedoch vor zwei Jahren auf Google Earth zu sehen war, dass das Grundstück, auf den diese Villen heute stehen, unbebaut waren.

3. Behauptung:

Fethullah Gülen habe Erdoğan einen Brief mit einem Friedensangebot geschickt.

Wahrheit:

Der Brief war an den Staatspräsidenten gerichtet und beinhaltete kein Friedensangebot.

Im Anschluss an ein Treffen mit dem Premierminister im Schloss Dolmabahçe teilten die Journalisten mit, dass Fethullah Gülen diesem einen Brief geschickt hätte, in dem ein Friedensangebot enthalten gewesen wäre. Der Journalist Fehmi Koru jedoch erklärte, dass Fethullah Gülen auf seine inständigen Bitten hin einen Brief an den Präsidenten geschickt habe und dieser keinen Hinweis auf ein Friedensangebot beinhalte. Ebenfalls meinte Koru, er sei habe sich „sehr darüber gewundert“, dass der Premierminister in diesem Zusammenhang den Begriff „Handel“ benutze.

4. Behauptung:

Der Staatsanwalt Zekeriya Öz sei in kurzer Zeit 22-mal ins Ausland geflogen.

Wahrheit:

Vom System der THY wurden alle in den letzten Jahren erfolgten Registrierungen von Personen mit dem Namen Zekeriya Öz gesammelt.

Premierminister Erdoğan behauptete bei seinem Treffen mit Journalisten im Schloss Dolmabahçe, dass Staatsanwalt Öz in den letzten zwei Jahren 22-mal ins Ausland geflogen sei. Daraufhin meinte Öz, dass er „kündigen werde“, wenn diese Behauptung bewiesen werde. Es stellte sich bei der Analyse aller Registrierungen im System der THY, die auf den Namen Zekeriya Öz lauteten und die mit der THY geflogen sind, dass dies nicht zutrifft.

5. Behauptung:

Das Geld, das im Haus des Generaldirektors der Staatsbank Halkbankası gefunden wurde, sei für eine Imam-Hatip-Schule (staatliches Berufsfachgymnasium für die Ausbildung zum Imam) bestimmt.

Wahrheit:

Für Imam-Hatip-Schulen hat das Entwicklungsministerium längst ein Budget vorgesehen, das auch schon ausgeschrieben wurde.

Auf seiner Rückkehr von Pakistan erklärte der Premierminister im Flugzeug Journalisten bezüglich der Korruptionsaffäre, dass das gefundene Geld im Wert von 4,5 Millionen Dollar im Haus des Generaldirektors der Halkbank Spendengeld für eine Imam-Hatip-Schule bestimmt gewesen sei. Doch wurden für diese Imam-Hatip-Schule schon vom Entwicklungsministerium Zuschüsse eingeplant und auch von der Provinzverwaltung mit der Registriernummer 2013-189059 der öffentlichen Beschaffungsagentur ausgeschrieben.

6. Behauptung:

„Hinsichtlich der Untertitel habe ich den Sender Habertürk angerufen. Denn die Beleidigungen gingen über das gewöhnliche Maß hinaus.

Wahrheit:

Die Untertitel beinhalteten keine Beleidigungen. Devlet Bahçeli rief nur den Präsidenten dazu auf, Schritte zu unternehmen.

Im Anschluss an seine Reise nach Marokko erklärte Premierminister Erdoğan, dass der Sender Habertürk ihn in den Untertiteln eines Beitrages beleidigt habe und er aus diesem Grund eingegriffen hätte. Es stellte sich jedoch heraus, dass in den Worten Devlet Bahçelis, des MHP-Parteichefs, überhaupt keine Beleidigungen vorhanden waren.

In den Untertiteln stand folgendes: „Bahçeli, Parteichef der MHP: Anstatt Treffen zu organisieren, sollte der Präsident sich bemühen, Schritte für den Frieden in der Türkei zu unternehmen – das ist seine erste Aufgabe.“

7. Behauptung:

Hakan Şükür, der die Partei verlassen hatte, kam und ging auf Grund einer Anordnung.

Wahrheit:

Der Premierminister hat ihn persönlich in die Partei aufgenommen.

Premierminister Recep Tayyip Erdoğan sagte in seiner Rede am 1. Februar 2014 folgendes: „Die Justiz und die Regierung werden zerstört. Abgeordnete werden zurücktreten. Wer beschäftigt sich nun womit? Bezogen auf diese Frage ist es wichtig, zu wissen, dass es welche gibt, die mit den Stimmen des Volkes unter dem Dach der AKP Aufgaben übernommen haben, doch anscheinend auf Grund von Anweisungen anderer hierhergekommen sind. Offenbar wurde die AKP durch einige Fallensteller infiltriert.“

Der Abgeordnete Hakan Şükür teilte in einer TV-Sendung am 3. Februar mit, dass er vom Premierminister selbst in die Partei eingeladen wurde: „Diese Situation betrübt mich so sehr… Auch der Premierminister selbst weiß sehr gut, wie ich an diese Stelle gekommen bin. Am 26. Februar, am Geburtstag unseres Premierministers, wurde ich in das Schloss Dolmabahçe eingeladen. Der Premierminister persönlich rief mich an, damit wir uns treffen und gab mir sodann einen Termin für den nächsten Tag.“

8. Behauptung:

Der britische Premierminister David Cameron ließ eine Zeitung schließen.

Wahrheit:

Diese Behauptung hat Großbritannien verneint. Cameron hat so etwas nie gemacht.

Am 28. Januar 2014 teilte der Premierminister im Rahmen des Gruppentreffens seiner Partei mit: „Nur die BBC? Auch Wallstreet Journal. Wer sind die Eigentümer dieser Zeitung? Letztens haben sie in Großbritannien das Gleiche gemacht und Cameron ließ einige Zeitungen schließen. Nun fangen sie an, von Amerika aus anzugreifen.“ Großbritannien dementierte diese Meldung umgehend.

9. Behauptung:

„Was die Videoaufnahme von Deniz Baykal anbelangt, gab ich Anweisungen und innerhalb einer halben Stunde wurde die Aktion beendet.“

Wahrheit:

Nicht der Premierminister, sondern das schnelle und beherzte Eingreifen seines Anwalts sorgte dafür, dass die Videoaufnahmen des früheren CHP-Vorsitzenden Deniz Baykal von Youtube verschwanden.

Bezogen auf die Videokassetten lauteten die Aussagen des Premierministers folgendermaßen: „Diejenigen, welche diese hässlichen Bilder von Baykal ins Netz gestellt haben, stammen von dieser Struktur. Ich gab sofort Anweisungen und innerhalb einer halben Stunde wurde diese Aktion beendet.“ Der damalige CHP-Vorsitzende trat 2010 zurück, nachdem ein Video auf Youtube gestellt wurde, das Baykal beim Intimverkehr mit einer jungen Parteiangehörigen zeigte. Baykal warf der türkischen Regierung vor, für die Veröffentlichung des Videos verantwortlich zu sein und kritisierte einen illegalen Eingriff in seine Intimsphäre. Das Internetportal YouTube entfernte die Aufnahme kurz nach der Veröffentlichung.

Der Anwalt von Baykal, Şahin Mengü, bestritt denn auch die Richtigkeit dieser Aussagen Erdoğans: „Wir haben eine Anfrage bei der Staatsanwaltschaft gemacht. Daraufhin wurde dies beendet. Es ist nicht der Premierminister, der diese Aktion beendet hat. Genau im Gegenteil, er ist in seinen Reden auf dieses Thema auffällig oft eingegangen.“ Bezüglich der Aussage des Premierministers, hinter dieser Aktion stecke die „Parallelstruktur“ (damit meint Erdoğan die Hizmet-Bewegung um Fethullah Gülen, Anm. d. Red.), betonte Deniz Baykal in einer Erklärung, er glaube nicht daran, dass diese Verschwörung gegen ihn von der Hizmet-Bewegung angestiftet wurde. Außerdem lauteten die Worte Erdoğans im Wahlkampf 2011 noch ganz anders, damals beutete er diesen Fall bewusst politisch aus, indem er beispielsweise sagte: „Dies ist kein privater Fall. Nein, ein allgemeiner, allgemeiner! Dies ist eine allgemeine Unmoral!“

10. Behauptung:

Die Gülen-Bewegung verwende die Codewörter „Ananas“ und „Tesbih“ (eine im Islam gebräuchliche Gebetskette) im Zusammenhang mit illegalen Abhöraktionen.

Wahrheit:

Ananasse aus Uganda und Gebetsketten waren kleine Aufmerksamkeiten für Geschäftsleute. Der Premierminister sagte, dass auch ihm eine Tesbih geschenkt wurde.

Premierminister Recep Tayyip Erdoğan machte in seiner Rede am 24. Januar 2014 bei einer Tagung der Landratskandidaten in Ankara folgende Aussage: „Liebe TÜSIAD (türkisch: Türk Sanayicileri ve İşadamları Derneği, eine Vereinigung türkischer Industrieller und Geschäftsleute), warum fühlst Du Dich von dem Ananas-Fall nicht gestört? Warum fühlt ihr euch von dem Parallelstaat nicht gestört? Anscheinend läuft das Geschäft von einigen sehr gut. Ananasse werden hin und her transportiert. Ihr seid Euch bewusst, dass es hier nicht um Ananasse geht; Ananas ist hier nur das Codewort, ein Code.“

TUSKON (türkisch: Türkiye İşadamları ve Sanayiciler Konfederasyonu, Verband der Unternehmer und Industriellen der Türkei) nahm zu dieser Behauptung Stellung und bestritt in einer Erklärung diese Darstellung: „Gesten der Freigiebigkeit sind zur Tradition, zu den Gebräuchen und zur Charakteristik Anatoliens gehörende Eigenheiten. In diesem Zusammenhang wurden weltberühmte, köstliche Ananasse aus Uganda von Zeit zu Zeit an Protokoll-und Medienvertreter der Geschäftswelt verschenkt.

Dass darüber gespottet wird; dass versucht wird, diesem eine andere Bedeutung beizumessen und auf diese Weise dem Volk irgendetwas eingeredet werden soll, weisen wir zurück.“

Darüber hinaus teilte der Premierminister in seinen Reden mit, dass Fethullah Gülen auch ihm ein unterzeichnetes Buch und eine Tesbih geschenkt habe. Großunternehmer Mustafa Koç erklärte, dass auch er eine Tesbih-Kollektion besitzt und er es nicht nachvollziehen könne, wie man einer Tesbih, die einem geschenkt wurde, eine andere Bedeutung beimessen könne: „Auch mir wurde übrigens eine Ananas geschickt, eine gewöhnliche Ananas. Sie schmeckte auch sehr gut.“