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Politik

Türkei: Selbstzensur und Druck von der Regierung schaden den Medien

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Die enge Verflechtung von Geschäftsinteressen und Medienberichterstattung und das völlige Fehlen unabhängiger Gremien zur Selbstregulierung sind die Hauptgründe für den bemitleidenswerten Zustand des Journalismus in der Türkei. (Foto: zaman)

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CHP Abgeordneter Mahmut Tansal zeigt die Zeitung Taraf - zaman
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Der Streit um die Veröffentlichung geheimdienstlicher Dokumente durch die Tageszeitung Taraf und den Journalisten Mehmet Baransu geht in die nächste Runde. Nachdem Ministerpräsident Erdoğan von „Verrat am Vaterland” gesprochen und eine Strafanzeige gegen Taraf und Baransu angekündigt hatte, kündigte die Zeitung nun ihrerseits eine Klage auf Schadensersatz an. Auch Baransu wolle als Privatperson eine Klage wegen Verleumdung, Beleidigung und Einflussnahme auf die Justiz einreichen, berichteten türkische Medien am Dienstag.

Im Montagsgespräch mit „Today’s Zaman” bemängelt nun Ceren Sözeri, eine renommierte Kommunikationswissenschaftlerin an der Galatasaray-Universität Istanbul, die unter anderem an Studien im Auftrag der Türkischen Stiftung für wirtschaftliche und soziale Studien (TESEV) mitwirkt, dass Selbstzensur und Druck seitens der Regierung die Qualität der Medien und die faire und freie Berichterstattung in der Türkei behinderten.

Der wenig profitable Mediensektor bewege zahlreiche Unternehmer des Medienbereiches dazu, das Geschäftsfeld auszuweiten und sich in weiterer Folge durch Beteiligungsverhältnisse und die Mitwirkung an öffentlichen Aufträgen von der Politik abhängig zu machen. Aus diesem Grunde werde man in Medien, deren Eigentümer gleichzeitig Wasserkraftwerke betreiben, nie über Proteste gegen deren Bau erfahren, und auch nie über Korruption durch die Abhängigkeit von Medienorganen von der Regierung.

Darüber hinaus sei die Berichterstattung der Medien in der Türkei auch dadurch einseitig, dass die Eigentümer der Medienunternehmen regelmäßig auch ihre eigene ideologische Agenda verfolgen. In der politisch ohnehin polarisierten Türkei entscheide die Position des Medieneigentümers über die inhaltliche Ausrichtung.

Staatliche Preisdiktate als Strafmaßnahme

Die Wurzeln dieser Entwicklung reichen, so Sözeri, in die 1980er-Jahre zurück. Anfang 1980 wurden staatliche Presseförderungsmaßnahmen abgeschafft. Preisregelungen, die zu einer Erhöhung des Verkaufspreises führten, wurden teils zur Bestrafung widerborstiger Medienorgane genutzt. Auch das Auftreten neuer Investoren änderte die Eigentümerstrukturen wesentlich. Nicht mehr Traditionsfamilien von Journalisten, sondern große Unternehmenskonglomerate traten als Akteure auf den Markt. Nach der Aufhebung des staatlichen Rundfunkmonopols während der 1990er-Jahre nutzten diese ihren Startvorteil. Die Medien hatten auf Grund ihrer Kapitalmacht und auch auf Grund ihrer Verbundenheit mit den Militärs, der Regierung, einzelnen Oppositionsparteien und der Geschäftswelt eine enorme Macht, die sogar bis hin zur Besetzung von Ministerien reichte.

Eine breit angelegte, erfolgreiche Lobbykampagne brachte auch ein bereits einmal vorgesehenes Verbot der Beteiligung von Medienkonglomeraten an öffentlichen Ausschreibungen zu Fall.

Diese Machtposition änderte sich, als die Finanzkrise 2001 auch weite Teile jener Unternehmerschaft erfasste, die in Medien investiert hatte. Nicht weniger als 10 von 25 Banken, die 2001 bankrottgingen, wurde von Medienbossen betrieben. Einige davon wurden komplett liquidiert, andere durch die staatliche Einlagensicherung (TMSF) beschlagnahmt. Von 2002 an wurde dieser staatliche Zugriff als Druckmittel genutzt, um die Mainstreammedien zunehmend auf Linie der regierenden Partei zu bringen.

Ceren Sözeri betont, dass Medien kein sehr profitables Feld für Investoren wären. Auf der Basis der von TESEV seit 2011 erhobenen Daten lasse sich verdeutlichen, dass die Anzeigeneinnahmen vieler Zeitungen bei weitem nicht ausreichen, um die Kosten zu decken. Aus diesem Grunde ließ sich beispielsweise Mehmet Emin Karamehmet, so sagte er vor dem Untersuchungsausschuss zum Memorandumsputsch aus, von Özer Çiller, dem Ehemann der früheren Premierministerin Tansu Çiller, zu Beteiligungsmodellen überreden, die ihm halfen, die Verluste aus dem Zeitungsgeschäft durch den Kauf von TV-Stationen zu kompensieren.

AKP nutzte die Pleiten aus der Zeit der Finanzkrise

Die Hauptmotivation, in den Mediensektor zu investieren, so betont Sözeri, sei es, sich Vorteile mit Blick auf öffentliche Ausschreibungen zu verschaffen. Die dominierenden Medienkonglomerate in der Türkei wären gleichzeitig auch in den Bereichen Energie, Minen, Finanzen und Bauwesen tätig, jedes davon betreibe auch zumindest ein Wasserkraftwerk. Die Medienkonglomerate spielten in Ausschreibungen mit, die gemessen an ihrer Größe sehr hoch dimensioniert wären, und sie versuchen, durch ihre Medienarbeit in der einen oder anderen Weise ihr Schicksal mit zu beeinflussen.

Viele hätten sich dabei überschätzt, betont die Kommunikationswissenschaftlerin. Sie hätten der monopolisierten politischen Macht der AKP nichts mehr entgegenzusetzen, deshalb wären sie immer mehr darauf angewiesen, sich das Wohlwollen der Regierung zu verschaffen und dies stärke in immenser Art und Weise die Neigung zur Selbstzensur.

Schon in früheren Zeiten hätten sich die Mainstreamformate der politischen Macht angepasst. Sie hätten stets im Einklang mit der offiziellen Ideologie des „nationalen Interesses“ gearbeitet. So wurde in der wichtigen, sogenannten „Kurdenfrage” im Sinne der staatlichen Repressionspolitik agitiert. Auch vor der Ermordung des „Agos“-Mitherausgebers Hrant Dink sei dieser Gegenstand medialer Hetzkampagnen gewesen. Es gab keine Berichterstattung über die Auslöschung kurdischer Dörfer oder Ermordung von Aktivisten während der 1990er-Jahre. Zum Jahreswechsel 2011/12, als 34 kurdische Zivilisten bei einem Angriff von Militärbombern auf Roboski starben, wurden auf den Medienkanälen Neujahrsfeiern gesendet. Statt Reportagen über die Gezi-Proteste lief eine Dokumentation über Pinguine.

Journalisten hätten sehr wenig Macht und wären vollständig von ihren Chefs abhängig. Yavuz Baydar von der Sabah verlor seinen Posten, nachdem er Kritik an der Beteiligungspolitik türkischer Medien geäußert habe, betont Sözeri. Es gäbe keine tauglichen Einrichtungen zur Selbstkontrolle der Medien, es gäbe zwar einzelne Organisationen, die Ethikcodes verfassen, einige Medien hätten Ombudsleute, ingesamt jedoch bemühe sich niemand in den Entscheidungsgremien der Medien selbst um Qualitätsjournalismus.

Alternativmedien stark ideologisiert

Zwar hätte das Aufkommen der Sozialen Medien auch in der Türkei vieles geändert, allerdings seien auch die Alternativmedien durch eine klare ideologische Schlagseite in der einen oder anderen Richtung gekennzeichnet.

Als Ausweg aus der Situation schlägt das von Dilek Kurban und Ceren Sözeri gebildete MEDIADEM-Projekt vor, dass es klare gesetzliche Regelungen über die Eigentümerschaft und die Beteiligungspolitik von Medienunternehmen geben sollte. Die Teilnahme von Medienunternehmern und deren Angehörigen an öffentlichen Ausschreibungen solle untersagt werden, unabhängige Kontrollgremien sollten die ökonomischen Beziehungen zwischen Staat und Medienunternehmen überwachen. Das Parlament und die Exekutive sollten politische, gesetzgeberische und administrative Maßnahmen ergreifen, um die Äquidistanz der Regierung zu allen Medien sicherzustellen. Aus TRT soll ein vollwertiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk werden, dessen Unabhängigkeit in der Organisation und Berichterstattung garantiert werden soll. Auch sollen Regulierungs- und Aufsichtsgremien geschaffen werden, an denen Journalistenverbände, Medienrepräsentanten, Akademiker und die Öffentlichkeit mitwirken sollen. Selbstregulierung wäre der beste Weg, um Qualitätsjournalismus zu gewährleisten, so Sözeri.

Auf die Frage nach der Pressefreiheit räumte die Kommunikationswissenschaftlerin ein, dass 70% der der derzeit inhaftierten Journalisten in der Türkei im Zusammenhang mit ihrer Arbeit für kurdische Medienformate in Konflikt mit dem Gesetz gekommen seien. Sie wären meist verurteilt worden, weil sie mittels ihrer Berichterstattung den Terrororganisationen PKK und KCK geholfen haben sollen. Allerdings betone der Chefredakteur der kurdischen Tageszeitung Azadiye Welat, Vedat Kurşun, dass Mitarbeiter kurdischer Medien wesentlich öfter mit den härtesten Sanktionen durch die Gerichte belegt würden, als dies bei ihren türkischen Kollegen der Fall wäre.