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Kolumnen

Türkei: Normalisierungsprozess oder Manöver von Erdogan?

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von Zeynel Ali Canogul

Die Türkei ist keine Demokratie mehr und Erdogan baut langsam sein Imperium weiter aus. Dazu bedient er sich an den staatlichen Institutionen in der Türkei. Im Jahr 2019 stehen in der Türkei nun zwei entscheidende Wahlen bevor und beide bedeuten für Erdogan eine Menge, um die eigene Macht zu konsolidieren und das Präsidialsystem endgültig aufzubauen.

In seinen öffentlichen Reden nutzt der türkische Staatspräsident derweil jede Gelegenheit aus, um den Westen, einschließlich Deutschland, zu verteufeln und er benutzt seine Propagandamaschinerie, um Massen davon zu überzeugen, dass die Türkei mit inneren und äußeren Feinden umgeben sei. Deutschland unterstütze genau diese Feinde bei jeder Gelegenheit. Ein durchschnittlicher Erdogan-Unterstützer ist deshalb eine aufgebrachte, ja sogar wütende Person, der durch Erdogans Einfluss fest daran glaubt, dass die Türkei aufgrund von zahlreicher Feinde niemals ein normaler Staat sein wird. Genau aus dieser Bedrohungslage heraus brauche Erdogan noch mehr Unterstützung von seinen Anhängern. Dieses Narrativ ist typisch Erdogan!

Die türkische Regierung hat Familien und das soziale Gefüge der Türkei nachhaltig zerstört

Jedoch widersprach der türkische Premierminister Binali Yildirim als er behauptete, die Türkei brauche einen Normalisierungsprozess. Yildirim wies die Ministerien an, einige der Verwaltungssanktionen zu überprüfen, die den Alltag der Bürger erschweren. Doch die Lage der Türkei ist ein weit größeres Desaster, als bloß irgendwelche „Schwierigkeiten im täglichen Leben“ zu korrigieren, für eine Normalisierung im Lande sorgen könnte. Die Handlungen der türkischen Regierung haben Tausende Einzelpersonen, ganze Familien und das soziale Gefüge der Türkei nachhaltig zerstört. Alle diese Wunden zu heilen wird vermutlich Generationen erfordern, doch die Regierung versucht tiefe Fleischwunden mit einem Pflaster abzudecken. Im Moment versucht die türkische Regierung die überdimensionale Zerstörung, die sie dem türkischen Staat und der Gesellschaft zugefügt hat, einfach ad acta zu legen.

Autorität ein unverzichtbarer Genuss – Zurück zu Europa bedeutet dies aufzugeben

Die internationale Gemeinschaft hingegen dürstet regelrecht nach einem Zeichen der Normalisierung in der Türkei. Erdogans Regime ist jedoch sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, wieder auf die europäische Agenda zurückzukehren, denn dies bedeutet die unbegrenzte Autorität aufzugeben. Es setzt auch voraus, die ungehinderte Demontage der Demokratie im eigenen Lande einstellen zu müssen. Und für die aktuelle türkische Regierung ist diese autoritäre Regierungsform einfach ein unverzichtbarer Genuss.

Politische Analysten, Experten und Journalisten, die jahrelang die Türkei als ein Vorbild für den Nahen Osten und als zuverlässiger Verbündeter der NATO verfolgt und studiert haben, sind schwerer Hoffnung, dem Westen eine ermutigende Botschaft zu vermitteln. Das Augenmerk bei inländischen Themen hingegen wurde politisch geschickt auf „kosmetische“ Themen wie die umstrittenen Wachstumsraten in der Türkei, die Eröffnung neuer Unternehmen, Fabriken und Autobahnen verlagert; als Zeichen dafür, dass das Land auf bestem Wege sei.

Türkische Justiz immer noch in Erdogans Geiselnahme

Fest steht: Die Justiz wird immer noch stark von Erdogan und seinem Regime kontrolliert. Das Parlament funktioniert de Facto nicht. Es gibt keine Checks- and Ballances innerhalb des Systems. Erdogan entscheidet nahezu alles und er mischt sich in sämtliche Kleinigkeiten des Landes ein. Beispielsweise das Schicksal des alten Opernhauses entscheidet Erdogan; er trifft die endgültige Entscheidung über Merkmale der Aufnahmeprüfung an Hochschulen und Universitäten. Er zwingt seine eigenen Bürgermeister von Istanbul, Ankara, Bursa und anderen Städten zum Rücktritt.

Diejenigen, die es wagen, die Dauer des Ausnahmezustands in Frage zu stellen, werden von seinen Ministern und anderen sowie als letzte Instanz von sich höchstpersönlich kritisiert. Es gibt eine treue Gruppe von Leuten, deren Mitarbeit Erdogan wirklich sehr genießt: Die Muhtars, also Dorf- und Stadtviertelvorseher. Denn sie sind das Ohr der Nachbarschaft und mit diesen Muhtars hat Erdogan gegenwärtig sogar die Kontrolle auf der niedrigsten Ebene der Bevölkerung. Muhtars wollen unbedingt mit Erdogan zu Mittag essen und geben fast nach jedem Satz von Erdogan einen großen Applaus. Wenn die Kamera zu ihnen schwenkt, starren sie in die Kamera und winken, bis die Kamera vorbeigezogen ist. Das größte Ziel und exklusivste Aushängeschild dieser Muhtars ist, irgendwie mit Erdogan ein kurzes persönliches Gespräch zu führen. Wenn dabei auch noch ein persönliches Selfie dabei rum kommt, ist die Reputation dieser Muhtars im eigenen Viertel nachhaltig gewährt. Die „erschwingliche“ Begeisterung und die Hingabe der Muhtars ist für Erdogan deshalb goldwert.

Eine wirkliche Normalisierung in der türkischen Politik ist für alle von Vorteil, aber die erste Analyse zeigt, dass der Wiederaufbau einer intakten Demokratie aufrichtige und konsequente Anstrengungen erfordert. Der Westen sollte die Schritte für eine Normalisierung kritisch Augen überwachen und die Schritte und Maßnahmen messen.

Was die Türkei braucht, ist eine echte Demokratie. Keine leeren Worthülsen, sondern Taten!

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