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Politik

Türkei: Kopftuch im Parlament ist kein Problem mehr

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Alle im Parlament vertretenen Parteien reagierten mit Toleranz und konstruktivem Verhalten auf das Tragen des Kopftuchs durch vier AKP-Abgeordnete. Einhellig wurde auch der Rockzwang für Frauen im Parlament beschlossen. (Foto: dpa)

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Nurcan Dalbudak (m), Abgeordnete der regierenden Partei der Türkei (AKP), nimmt an einer Plenarsitzung im türkischen Parlament, mit ihrem Kopftuch teil.
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Vier weibliche Abgeordnete haben am heutigen Donnerstag die Große Nationalversammlung in Ankara mit Kopftuch betreten und auf diese Weise für ein Novum seit 1999 gesorgt. Gleichzeitig haben sie symbolisch die Umsetzung eines wesentlichen Elements des kürzlich verlautbarten Demokratiepakets in Angriff genommen, das Premierminister Recep Tayyip Erdoğan am 30. September verkündet hatte.

Alle vier Parlamentarierinnen gehörten Regierungspartei AKP an.

Zuletzt war 1999 die Abgeordnete Merve Kavakçı mit Kopftuch im Parlament in Ankara erschienen. Damals hatte sie damit einen Eklat ausgelöst. Ihr wurden die türkische Staatsangehörigkeit und der Parlamentssitz aberkannt.

Entschluss nach getaner Pilgerfahrt

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte erst Ende vergangenen Monats das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst gekippt. Weiterhin untersagt ist das Kopftuch nur Frauen in den Sicherheitskräften und im Justizdienst.

Die vier Abgeordneten, Sevde Bayazıt Kaçar (Kahramanmaraş), Gönül Bekin Şahkulubey (Mardin), Nurcan Dalbudak (Denizli, Foto) und Gülay Samancı (Konya), betonten, dass das Tragen des Kopftuches Ausdruck ihres religiösen Glaubens sei und sie sich zum Tragen entschlossen hätten, nachdem sie im Oktober ihre Pilgerfahrt nach Mekka unternommen hatten.

Aus Erdoğans AKP gab es Zustimmung für die Abgeordneten. Das Kopftuch sorgt immer wieder für Streit im Land. Studentinnen ist erst seit 2010 erlaubt, auf dem Universitätsgelände Kopftuch zu tragen.

Im Unterschied zu 1999, wo unter wütenden Protesten die Kopftuch tragende Abgeordnete Merve Kavakçı aus dem Saal verbannt wurde, verlief die heutige Sitzung gesittet und in einer offenen Atmosphäre. Alle Fraktionen nahmen zur Frage des Kopftuchs im Parlament Stellung.

Der stellvertretende CHP-Fraktionsführer Muharrem İnce erntete großen Applaus auch aus den Rängen der AKP, als er bekannte, alle Frauen als seine Schwestern zu betrachten, unabhängig davon, ob sie ein Kopftuch tragen oder nicht. Allerdings beschuldigte er die AKP auch, die Debatte zu einer Diskussion um die Demokratie umzufunktionieren und Vorfälle zu provozieren, die dazu dienen könnten, die betreffenden Abgeordneten als Opfer darzustellen. Die CHP werde der AKP nicht erlauben, sich mit dem Thema im Vorfeld der Kommunalwahlen zu profilieren. In dieser Woche hatte die führende Oppositionspartei noch Widerstand gegen die Pläne der Abgeordneten, das Parlament mit einem Kopftuch zu betreten, angekündigt.

Behinderte CHP-Abgeordnete beschwerte sich über Hosenverbot

Auch die stellvertretende Vorsitzende der pro-kurdischen BDP, Pervin Buldan, zeigte sich zufrieden über die Art und Weise, in der die Kopftuchfrage im Parlament beigelegt wurde. Sie gratulierte allen Parteien dazu, dass eine Wiederholung des Kavakçı-Zwischenfalls verhindert werden konnte. Freiheiten sollten ganzheitlich gesehen werden, unabhängig davon, ob sie Identität, Religion oder Kultur beträfen.

Der Fraktionschef der MHP, Oktay Vural, die den Fall des Kopftuchverbots als Akt der Gleichberechtigung würdigte, rief zudem alle Parteien dazu auf, am nächsten Dienstag ein Treffen zu arrangieren, um auch das Verbot für weibliche Abgeordnete, Hosen zu tragen, zu eliminieren. Sein Vorschlag war die Reaktion auf die Beschwerde der CHP-Abgeordneten Şafak Pavey, die sich darüber beklagte, ihre Beinprothese offen präsentieren zu müssen, weil es Frauen nicht erlaubt wäre, Hosen zu tragen.

Parlamentssprecher Cemil Çiçek sagte daraufhin der Abgeordneten zu, ihrem Wunsch werde selbstverständlich Rechnung getragen.