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Kolumnen

Die Rolle der Diyanet im politischen System der Türkei

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Eine große Diyanet-Moschee in Berlin. Der Doktorand Ali Yılmaz* von der Universität Pennsylvania besucht die Moschee, um mit dem Imam über sein Forschungsthema ein Interview zu führen. Er forscht darüber, wie sich Deutschtürken im Falle eines verstorbenen Verwandten verhalten. Werden die Verstorbenen hier, in Deutschland, beerdigt oder in die alte Heimat, in die Türkei, überführt? Wenn die Beisetzung des Verstorbenen in der alten Heimat erfolgt, wie wird das dann organisiert und finanziert? Diese und andere Fragen interessieren den jungen Wissenschaftler aus den USA und wer wäre da geeigneter als ein Diyanet-Imam, zu dessen Aufgaben es gehört, im Todesfall eines Gemeindemitglieds die seelsorgerische Betreuung der Hinterbliebenen zu übernehmen?

Bevor der Doktorand seine Fragen stellt, stellt er kurz seine Universität, sich selbst und sein Forschungsthema vor. Als der Imam „Pennsylvania“ hört, erstarrt er. Er geht auf die Fragen des jungen Wissenschaftlers nicht ein, verhält sich distanziert und unfreundlich. Als Ali merkt, dass er kaum Antworten auf seine Fragen bekommt, übergibt er dem Imam eine Visitenkarte und verabschiedet sich mit der Bitte, ihm doch behilflich zu sein. Der Imam entgegnet dem Gast mit einem kalten und harschen „Ich wünsche dir gute Arbeit in Pennsylvania“.

Der Pennsylwahn

Der an der Ostküste gelegene Bundesstaat Pennsylvania ist mittlerweile eines der berühmtesten US-Bundestaaten in der Türkei, wenn nicht der berühmteste und zudem ein politisches Reizwort. Unter den knapp 3 Millionen Deutschtürken ist es nicht viel anders. Wenn das Wort Pennsylvania fällt – egal ob aus dem Munde des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan oder eines anderen Politikers – jeder weiß sofort, wer und was gemeint ist.

Es geht um den türkischen Prediger Fethullah Gülen und die Hizmet-Bewegung, die auf ihn zurückgeht. Seit dem 17. Dezember 2013 ist Gülen aus Sicht Erdoğans Staatsfeind Nummer 1. Er unterlässt keine Gelegenheit ihn zu denunzieren, zu beleidigen und zu schmähen. Die Beleidigungs- und Schimpfwörterliste, die in den letzten Monaten entstanden ist, umfasst fast 200 Wörter.

Die Begegnung in der Berliner Diyanet-Moschee hat zwei Seiten. Erstens, wie stark Ankaras Polarisierungspolitik bis tief in die deutsch-türkische Community wirkt. Viel interessanter ist die Tatsache, wie sehr ein muslimischer Theologe die Haltung der AKP-Regierung unreflektiert übernimmt und sein Handeln gegenüber einem Wissenschaftler, dem er zum ersten Mal begegnet, danach ausrichtet.

Auch in der Debatte über die Korruptionsaffäre, die seit dem 17. Dezember 2013 die türkische Innenpolitik bestimmt, hat die Diyanet nicht öffentlich an Prinzipien erinnert, wonach Korruption nicht nur nach dem geltenden Recht strafbar ist, sondern auch im Islam als Sünde gilt.

Atatürks Kampf gegen den zivilen Islam

Der Imam ist einer von über 100 000 Mitarbeitern des Präsidiums für Religionsangelegenheiten (Diyanet), das schon seit seiner Gründung im Jahre 1924 eine wichtige Rolle im politischen System der Türkei spielt. In den Gründungsjahren der türkischen Republik hat es die Legitimationsaufgabe für das kemalistische System übernommen, das im tiefen Anatolien nie so richtig akzeptiert wurde. Viele gläubige Muslimen werteten das System als „unreligiös“. Ein Grund hierfür war Atatürks Kampf gegen den zivilen Islam, der in Form von Stiftungen, Orden oder Gemeinden organisiert war. Atatürk sah in den veralteten und historisch überholten Institutionen ein Hindernis für die Modernisierung der Türkei und verbot sie. Die religiösen Stiftungen, eine wichtige Finanzquelle für private religiöse und profane Bildungsarbeit, sowie Tätigkeiten in anderen Bereichen, wie z.B. der Gesundheit, wurden verstaatlicht. Als ob das schon nicht genug sei, wurden darüber hinaus muslimische Gelehrte, die ein hohes Ansehen im Volk genossen, entweder verbannt oder inhaftiert.

Die Schrift- und Kleidungsreform waren weitere Maßnahmen, die den türkischen Laizismus in den Augen des einfachen Bürgers zu einem anti-islamischen Laizismus machten. Trotzdem war Atatürk für alle der „große Türke“, der den Unabhängigkeitskrieg gewonnen und aus den Trümmern des Osmanischen Reiches einen modernen Nationalstaat errichtet hatte. Er war für viele aber auch der Anti-Religiöse („Dinsiz“, im Sinne von antiislamisch). Auch wenn Atatürk nicht viel von der Religion hielt, erkannte er sehr früh, dass er für seine Machtstabilisierung die Religion braucht und gründete deshalb am 3. März 1924 die Diyanet – das Präsidium für religiöse Angelegenheiten.

Auch in politischen Krisenzeiten, die es in der fast 100-jährigen Geschichte der Republik reichlich gegeben hat, spielte die Diyanet immer eine wichtige Rolle. In den achtziger Jahren zum Beispiel, als die Militärs unter der Führung des Putschgenerals Kenan Evren mit Gewalt die Macht übernahmen, stand die Diyanet für die „Einheit von Staat, Nation und Religion“. Mit Religion war nicht etwa der Islam in seiner Vielfalt oder die Förderung von ziviler Religiosität gemeint, sondern der sunnitische Islam als Stütze für die politische Ordnung. Weder die kemalistischen Eliten der Gründerzeit der Republik, noch die aus dem politischen Islam hervorgegangenen AKP-Eliten, die in ihrer Oppositionszeit die Rolle des Diyanets im politischen System stark kritisierten, sahen die Notwendigkeit von strukturellen Veränderungen, welche die religiösen Bedürfnisse der Aleviten und der christlichen Minderheiten berücksichtigt.

Ein einflussreiches Amt gewinnt an Einfluss

Dieses, auch für die religiöse und national-kulturelle Betreuung der Auslandstürken wichtiges Amt wird in Zukunft nicht mehr einem stellvertretenden Ministerpräsidenten unterstehen, sondern direkt dem neuen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu.

Das ist eindeutig eine politische Aufwertung des Amtes, wie das auch der Leiter des Hauses, Mehmet Görmez, betont. Er sieht darin eine „wachsende Verantwortung der Behörde“, was so viel bedeutet wie, dass sein Haus die Umsetzung des politischen Willens der Regierung als eine würdige Aufgabe sieht.

In der Türkei beschäftigt die Diyanet über 80.000 Imame und entsendet viele davon auch ins Ausland, über 500 von ihnen befinden sich als Religionsbeauftragte derzeit in Deutschland. Sie werden vor ihrer Tätigkeitsaufnahme in der Türkei sechs Monate lang auf ihren langjährigen Einsatz in Deutschland vorbereitet. An dem Ausbildungsprogramm wirkt auch die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung mit.

Die staatliche Behörde ist somit in der türkischen Diaspora mit einer starken personellen und institutionellen Infrastruktur vertreten. Ihr neuer Schwerpunkt gilt jedoch eher der islamischen Welt. Türkische Medien sprechen bereits von einer stärkeren „Glaubensdiplomatie“ in der Außenpolitik.

Neue außenpolitische Akzente?

Und das hat auch seinen Grund. Denn die kemalistische Türkei wurde in der islamischen Welt wegen ihres laizistischen Charakters lange Jahre als ein „unislamisches Land“ wahrgenommen. Zudem spielt das Sunnitentum in der türkische Außenpolitik zunehmend eine wichtige Rolle. Der ehemalige Außenminister und jetzige Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu sieht sich als Stratege und will anscheinend über das Amt neue außenpolitische Akzente setzen.

Die Diyanet spielt sowohl in der Innen- als auch Außenpolitik eine wichtige Rolle und ist ein fester Bestandteil des politischen Systems der Türkei. Nach unten hin verwaltet sie den sunnitischen Islam und erschwert eine zivile Religiosität. Denn egal was sie macht, ihr Handel hat – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – eine staatspolitische Bedeutung und Wirkung. Wenn die Diyanet-Bürokratie nach oben blickt, sieht sie dort manchmal einen General, der gerade geputscht hat, manchmal einen laizistischen Sozialdemokraten, dem die Religion wenig bedeutet oder einen konservativen Ministerpräsidenten. Heute steht ein Präsident an der Spitze des Landes, der sich als „Weltführer“ feiern lässt und die ganze islamische Welt als sein natürliches Einflussgebiet sieht. Die Imame sind ihm gerne behilflich. Es geht ja nach der Machtübernahme von den Kemalisten schließlich um die Einheit der Umma.

Dass dabei manche demokratische Prinzipien und religiöse Gebote missachtet werden, ist nebensächlich. Unter den Kemalisten war es nicht viel anders.

*(Name von der Redaktion geändert)