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Politik

Polizei: Abhörung von 7000 Personen „rein technisch“ nicht möglich

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Die von zwei regierungsnahen türkischen Zeitungen aufgebrachten Darstellungen über eine angeblich großflächige Abhöraktion gegenüber bis zu 7000 Personen werden von zahlreichen Experten für nicht stichhaltig erachtet. (Foto: zaman)

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Die Berichte der regierungsnahen Zeitschriften Yeni Şafak und Star, wonach angeblich zwischen 3000 und 7000 Personen im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die kaum bekannte Terrororganisation Tawhid-Salam abgehört worden sein sollen, weisen nach ersten genaueren Analysen einige Unstimmigkeiten auf.

So umfassten die in den Zeitungen veröffentlichten Listen zahlreiche unterschiedliche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die keinerlei ideologische oder politische Verbindungen miteinander aufweisen – Intellektuelle, Musiker, frühere Fotomodelle, linke und rechte Politiker, Journalisten und Geschäftsleute sollen demnach in Reichweite der gleichen Untersuchung gelegen haben.

Die Staatsanwälte, die in dem Fall ermittelt haben, weisen die Vorwürfe zurück; die jüngsten Berichte über angebliche großflächige Abhörmaßnahmen seien frei erfunden und widerspiegelten die tatsächlichen Verhältnisse nicht. Keiner der Namen, die genannt wurden, sei in den Fallakten aufgetaucht. Lediglich 40 Personen seien im Zusammenhang mit dem Fall Tawhid-Salam tatsächlich abgehört worden.

Unter den Abgehörten sollen sich so unterschiedliche Personen befunden haben wie Şule Perinçek, die Ehefrau des im Ergenekon-Fall zu lebenslanger Haft verurteilten Führer der „Arbeiterpartei“ (IP) und Yusuf Ziya Cömert, der derzeitige Chefredakteur der Star Gazete. Dann wiederum soll İbrahim Karagül, der Kolumnist und Chefredakteur von Yeni Şafak, in gleicher Weise abgehört worden sein wie der BDP-Politiker Sebahat Tuncel.

Ein weiterer angeblich Betroffener, Barış Terkoğlu, saß zu dem Zeitpunkt, da er abgehört worden sein soll, im Gefängnis. Aber auch das frühere Fotomodell Defne Samyeli und der frühere Hürriyet-Chefredakteur Ertuğrul Özkök sollen angeblich im Visier der Ermittler gestanden haben – für eine „islamistische“ Terrororganisation eine sehr illustre Zusammensetzung.

Rechtliche Vorgaben zu engmaschig

Neben einigen vollen Namen, die sich davor befunden hätten, wurde einigen Nummern auch anonymisierte Vermerke („X“) vorangestellt. Juristen zufolge deute dies auf einen Fake hin, da in Telefon-Überwachungsbeschlüssen von Gerichten immer die vollen Namen von Verdächtigen aufscheinen.

Polizeikreise jedoch machten deutlich, dass eine so hohe Zahl von Abhörmaßnahmen zu einem einzigen Fall schon rein technisch nicht bewältigt werden könne. Es gäbe derzeit türkeiweit 2500 Telefonüberwachungen, von denen jedoch keine mit Personen in Verbindung stehe, die in den Berichten genannt worden waren.

Darüber hinaus sei es schwierig, einen Abhörbeschluss zu erlangen. Insbesondere seit der Justizreform von 2005 wurden die Voraussetzungen noch einmal verschärft. Es sei auch unmöglich, dass eine Regierung nichts von Abhörmaßnahmen mitbekommen würde, zumal ein Beschluss für eine Abhörung binnen 24 Stunden eingeholt werden müsse und es nur eine Instanz gäbe, welche solche Maßnahmen durchführe – und diese sei das Direktorat für Telekommunikation (TIB), eine Regierungsbehörde. Wären dauerhaft führende Mitglieder der Regierung abgehört worden, hätte sich dies unzweifelhaft herumgesprochen.

HSYK will ermitteln

Darüber hinaus darf auch eine genehmigte Abhörmaßnahme nicht länger als drei Monate dauern. Die Staatsanwälte hätten also im konkreten Fall 30-mal hintereinander eine Genehmigung der Verlängerung ihrer Abhörmaßnahme einholen müssen. Außerdem muss auch der Vorsitzende der staatlichen Telekommunikationsbehörde (TIB) in jeder Phase der Untersuchung in die Maßnahmen eingeweiht sein.

Der Oberste Rat der Richter und Staatsanwälte hat dennoch eine Untersuchung des Gebarens der in den Fall involvierten Juristen beantragt. Um eine solche einleiten zu können, muss Justizminister Bekir Bozdağ noch sein Einverständnis erteilen.

Auch der stellvertretende Vorsitzende der Vereinigung für Menschenrechte und Solidarität mit unterdrückten Völkern (MAZLUM-DER), Üstün Bol, will eine Klage einbringen, um die Vorwürfe untersuchen zu lassen. „Die Zahl 7000 erscheint nicht als realistische Größe“, gibt jedoch auch er zu bedenken.