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Politik

„Verheerendes Signal für die Pressefreiheit“

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Nach der vielfach mit Argwohn verfolgten Neuregelung der Internetgesetzgebung hat vor allem die Abschiebung des mit einer Türkin verheirateten, aserbaidschanischen Journalisten Zeynalov für scharfe internationale Kritik an Ankara gesorgt. (Foto: cihan)

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Mahir Zeynalov in der aserbaidschanischen Presse
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Die Reaktionen auf die jüngsten Entwicklungen in Türkei während der letzten Tage sind in Deutschland überwiegend kritisch.

Stellungnahme „Reporter ohne Grenzen“-Geschäftsführer Christian Mihr:

Zum Internetgesetz:

„Diese Reform fügt sich nahtlos in eine ganze Reihe repressiver Reaktionen ein, mit denen die türkische Regierung seit dem vergangenen Sommer auf Proteste und Kritik reagiert hat. Sie eröffnet den Behörden die Möglichkeit, praktisch ohne rechtsstaatliche Kontrolle beliebige Webseiten etwa wegen kritischer Äußerungen über Tabuthemen oder über Politiker zu sperren. Nach aller bisherigen Erfahrung ist zu befürchten, dass die schon jetzt besorgniserregende Zensur in der Türkei damit eine ganz neue Dimension erreichen wird.“

Zum Fall Mahir Zeynalov:

„Dass ein ausländischer Journalist wegen vermeintlich regierungskritischer Twitter-Äußerungen abgeschoben werden kann, ist ein verheerendes Signal für die Pressefreiheit in der Türkei. Die Vorwürfe der Behörden gegen Mahir Zeynalov rechtfertigen nicht einmal im Ansatz eine so gravierende Strafe.“

DJV-Pressesprecher Hendrik Zörner:

„Das Internetgesetz bedeutet Abschaffung der Meinungsfreiheit. Die Abschiebung des Mahir Zeynalovs unterstreicht die rigide Linie der Regierung in der Türkei, sie ist aus unserer Sicht völlig inakzeptabel. Journalisten müssen die Möglichkeit haben, auch ihre Meinung kund zu tun, z.B. via Twitter oder in anderen sozialen Netzwerken, in eigenen Blogs. Einen Journalisten zu drangsalieren oder eben auszuweisen ist völlig inakzeptabel.”

Pressestelle des Auswärtigen Amtes:

„Für uns alle ist klar, dass lebendiger und kritischer Dialog Voraussetzungen sind für Demokratie und Pluralismus. Und die Türkei wird von europäischen Partnern auch im Rahmen der EU-Beitrittsgespräche kontinuierlich ermutigt, effektive Schritte zum Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit zu gehen. Die EU hat wiederholt ihre Sorge zur Entwicklung im Bereich der Presse- und Medienfreiheit geäußert. So hat dies auch EU-Erweiterungskommissar Füle mit Blick auf das aktuelle Internetgesetz getan.

Auch wir als Bundesregierung verfolgen die Entwicklung in der Türkei mit großer Aufmerksamkeit. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass in der Pressekonferenz nach dem Gespräch von Außenminister Steinmeier mit dem türkischen Außenminister Davutoğlu auch Fragen zu dieser Thematik gestellt wurden und der Außenminister darauf hingewiesen hat, dass es jetzt wichtig ist, rasch die Kapitel 23 und 24 im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu öffnen, weil es genau dort um Fragen der Menschenrechte, der Freiheit und der Justiz geht, und dass das die Möglichkeit ist, auch zu diesen Themen in ein ernsthaftes und belastbares Gespräch zu kommen.“

Die türkischen Behörden hatten am Freitag den aus Aserbaidschan stammenden und für Today’s Zaman arbeitenden Journalisten Mahir Zeynalov nach kritischen Äußerungen über die Regierung in Ankara zur Ausreise gezwungen.

Zeynalov hatte im vergangenen Jahr über den Kurznachrichtendienst Twitter die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan und ihr Vorgehen im Korruptionsskandal kritisiert. Er sei deswegen von Erdoğan angezeigt worden, berichtet die Zeitung. Today’s Zaman-Chefredakteur Bülent Keneş deutete die Abschiebung seines Mitarbeiters als einen „Einschüchterungsversuch aller in der Türkei tätigen ausländischen Journalisten“.

Am Mittwoch hatte das Parlament in Ankara zudem eine schärfere Kontrolle des Internets beschlossen. In dem Gesetz wird Behörden unter anderem erlaubt, Internetseiten ohne richterlichen Beschluss zu sperren. Das von Erdoğan initiierte Gesetz muss noch von Staatspräsident Abdullah Gül unterzeichnet werden. Die EU hatte vom Beitrittskandidaten Türkei eine Neufassung des Gesetzes gefordert.

„Internet wird sicherer und freier“

Erdoğan sagte am Samstag nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu: „Mit diesem Gesetz wird das Internet auf gar keinen Fall zensiert.“ Stattdessen werde das Netz „sicherer“ und „freier“. Türkische Oppositionspolitiker warfen der Regierung vor, mit der geplanten Sperrung Kritik unterbinden zu wollen. Schon bisher wurden in der Türkei wiederholt beliebte Internetplattformen gesperrt. Dies war allerdings nur mit richterlichem Beschluss möglich.

Die türkische Regierung erklärt, die erleichterte Sperrung solle dem Schutz der Jugend vor schädlichen Einflüssen aus dem Internet dienen und sie vor Drogen und Pornografie bewahren. Kritik aus dem In- und Ausland weist sie zurück.

Vorübergehende Sperrung wird erleichtert

Dem Inhalt des Gesetzes zufolge soll die Telekommunikationsbehörde innerhalb von 4 Stunden nach Beschwerdeeingang anhand einer Liste von Sperrgründen über eine Blockierung entscheiden. Im Vorfeld sollen die Seitenbetreiber erst einmal selbst dazu aufgefordert werden, die entsprechende Seite zu deaktivieren. Hilft dies nicht, soll der Zugang zur Seite mit dem inkriminierten Inhalt – nicht die komplette Seite – für 48 Stunden blockiert werden. In dieser Zeit soll die Person, die sich beschwert hat, die Möglichkeit haben, einen richterlichen Beschluss zur Entfernung des Inhalts zu erwirken. Gelingt das nicht, wird die Blockierung aufgehoben.

Internetanbieter werden verpflichtet, Nutzerdaten zwei Jahre lang zu speichern. So sollen auch die Behörden sollen ein Recht auf die Herausgabe dieser Daten erlangen.