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Politik

Türkei: Putschisten des 28. Februar vor Gericht

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Derzeit stehen 103 mutmaßliche Beteiligte am „postmodernen Putsch“ gegen die gewählte Regierung Erbakan in Ankara vor Gericht. Menschenrechtsgruppen fordern derweil die Aufhebung politischer Gerichtsurteile aus dieser Zeit. (Foto: zaman)

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Necmettin Erbakan und Ismail Hakkı Karadayı. Erbakan wurde 1997 zum Rücktritt gezwungen.
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Im Rahmen der zweiten Anhörung zum Prozess gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen für den Putsch vom 28. Februar 1997 hat sich der Nationale Sicherheitsrat (MGK) bereit erklärt, Aufnahmen zu seinem Treffen vom Tag des Staatsstreichs dem Gericht zur Verfügung zu stellen, sollten diese vom Gericht angefordert werden.

Am Montag hatte die erste Anhörung im historischen Prozess gegen 103 Angeklagte vor dem 13. Hohen Strafgerichtshof von Ankaras stattgefunden, denen vorgeworfen wird, den Sturz der demokratisch gewählten Regierung betrieben zu haben. Dieser Staatsstreich wird als „postmoderner Putsch“ bezeichnet.

Allerdings sind noch keine Aufnahmen der kontroversen Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates von diesem Tag Bestandteil der Prozessakte, da das Gericht nach Angaben des Büros des für den MGK zuständigen Unterstaatssekretärs diese noch nicht angefordert habe.

Türkische Medien hatten im Vorfeld der Anhörung behauptet, der MGK hatte sich auf die Aufforderung des Gerichts hin geweigert, die Unterlagen herauszugeben.

Im Juni hatte das Gericht die 1300 Seiten starke Anklage des Generalstaatsanwalts von Ankara gegen 103 mutmaßliche Putschisten angenommen. Die Angeklagten befinden sich in Untersuchungshaft. Der frühere Gendarmeriekommandeur, General Teoman Koman wurde jedoch zum Ende der zweiten Anhörung auf Grunde seines schlechten Gesundheitszustandes auf freien Fuß gesetzt.

Anlässlich der Anhörungen hat die Vereinigung für Menschenrechte und Solidarität mit unterdrückten Völkern (MAZLUM-DER) gefordert, Gerichtsurteile, die während der Putschperiode ergangen waren, zu annullieren, da die Gerichtsbarkeit damals weder unabhängig noch frei gewesen wäre. Die Verfahren sollen nach Auffassung der Menschenrechtsorganisation wiederaufgenommen werden, da sie nicht rechtsstaatlich waren, so der Sprecher auf der von MAZLUM-DER veranstalteten Pressekonferenz am Rande des Verfahrens, Rechtsanwalt Şadi Çarsancaklı.

„Gruppe für Studien des Westens“ als inoffizieller „Wohlfahrtsausschuss“

Am 28. Februar 1997 wurde eine von der mittlerweile aufgelösten, konservativen Refah-Partei angeführte Koalitionsregierung durch das Militär zum Rücktritt gezwungen. Ministerpräsident damals war Necmettin Erbakan (li.). Die Folge waren nicht nur massive Beschränkungen elementarer Freiheitsrechte, sondern auch die faktische Suspendierung von Demokratie und Menschenrechten. Vor allem die Religionsfreiheit wurde massiv verletzt, als eine Reihe von Restriktionen gegen religiöses Leben erging, unter anderem ein weithin praktiziertes Kopftuchverbot in öffentlichen Institutionen und an Universitäten.

Die „Gruppe für Studien des Westens“ (BÇG), die vom Militär in der Putschära gegründet worden war, um Politiker, Intellektuelle, Soldaten und Beamte auf ihren religiösen und politischen Hintergrund zu beleuchten, habe auch die damaligen Anklageschriften diktiert, so Çarsancaklı. Selbst für den Besitz nicht verbotener Bücher (von denen man immerhin ein Exemplar besitzen dürfe) konnte man damals bestraft werden.

Unterdessen hat der 13. Hohe Strafgerichtshof am Dienstag die Anträge mehrerer Angeklagter, so auch des früheren Generalstabschefs Gen. İsmail Hakkı Karadayı (re.), abgewiesen, den Prozess an ein Militärgericht zu übertragen oder sie – als hohe Staatsoffizielle – vor den Höchsten Staatsgerichtshof zu stellen. Das Gericht verwies darauf, dass Anklagen wegen Verbrechen in Ausübungen hoheitlicher Aufgaben kein Anwendungsfall für dieses vom Verfassungsgerichtshof hohen Beamten zugedachtes Recht wäre.

Vor kurzem waren in der Türkei auch die Urteile im Ergenekon-Prozess verkündet worden. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass die Verurteilten einen Sturz der aktuellen AKP-Regierung angestrebt hatten.