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Politik

Türkei schlägt Kapital aus der Schwäche der EU

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Diesmal glich der EU-Gipfel einem Thriller. Scheitern drohte, über viele Stunden stand das Ergebnis auf der Kippe. Sieg oder Niederlage? Für Merkel ist das keine Frage, für Davutoğlu auch nicht – obwohl es Widerstand gegen seine Forderungen gibt.

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Es lief nicht richtig gut für Angela Merkel in Brüssel. Fünf Tage vor den wichtigen Landtagswahlen ging der Flüchtlingsgipfel mit der Türkei am Dienstagmorgen mit einem eher mageren Ergebnis zu Ende – jedenfalls gemessen an den Erwartungen, die viele Beteiligte geweckt hatten. Ist das Glas nun halb leer oder halb voll, das ist an diesem Dienstagmorgen die Frage.

Die Kanzlerin gibt sich jedenfalls unverdrossen: „Viele waren sich einig, dass das ein Durchbruch ist“, sagt sie. Der echte Durchbruch aber soll erst am 18. März kommen, also nach den Landtagswahlen in drei Bundesländern. Das hätte sich die CDU-Vorsitzende sicher anders gewünscht.

Dabei hatte es gar nicht schlecht begonnen. In einer mehr als fünfstündigen Nachtsitzung vor dem Gipfel hatte die Kanzlerin die Weichen für eine Einigung mit der Türkei gestellt – so hoffte sie jedenfalls. Premierminister Ahmet Davutoğlu hatte ihr einen überraschend umfassenden Plan zur Entschärfung der Flüchtlingskrise präsentiert, wenn auch ziemlich kurzfristig.

Neue Forderungen der türkischen Regierung

Kern des möglichen Deals: Die Türkei ist bereit, nicht nur sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge, sondern auch Syrer von den griechischen Inseln zurückzunehmen, was die schwierige humanitäre Lage dort entspannen würde. Dafür soll die EU im Gegenzug der Türkei direkt syrische Flüchtlinge abnehmen – eins zu eins.

Visaerleichterungen für die Türkei gibt es nach dem Wunsch Ankaras nicht erst im Oktober, sondern schon im Juni. Die Beitrittsverhandlungen sollen weiter beschleunigt und eine realistische Beitrittsperspektive geschaffen werden. Und die Türkei will bis Ende 2018 weitere drei Milliarden Euro, um die Situation der Flüchtlinge in der Türkei zu verbessern. So etwas findet zuhause in Merkels Union nicht nur Zustimmung, aber es schien vermittelbar.

Dann ging Davutoğlu mit seinem Plan in die große Runde der 28 Staats- und Regierungschefs – und der Krisengipfel entwickelte sich zum Thriller. Es gab Widerstand aus Ungarn und von anderen. Der Gesprächsbedarf war groß, die Sitzung wurde verlängert, ein Scheitern drohte. Das geplante Abendessen aller 28 mit Davutoğlu fiel am Ende ganz aus.

Kontroverses Thema waren auch die jüngsten Einschränkungen der Pressefreiheit in der Türkei. Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi verlangte ultimativ eine Verurteilung in der Schlusserklärung: „Falls es in dieser Vereinbarung keinen Verweis auf die Pressefreiheit gibt, werden wir sie nicht unterzeichnen“, hatte er vor dem Gipfel gesagt. Am Ende war dann allerdings nur noch von einer „Diskussion über die Situation der Medien in der Türkei“ die Rede.

Auch aus den Reihen der deutschen Regierungspartei kam Kritik am Versuch der Kanzlerin, die Menschenrechtslage in der Türkei auszublenden. Unionsfraktionschef Volker Kauder warnte davor, der Türkei zu viele Zugeständnisse zu machen. Kauder betonte, bei den Verhandlungen mit Ankara dürften die Themen Menschenrechte und Religionsfreiheit nicht an letzter Stelle stehen.

Den Hoffnungen der türkischen Regierung auf eine schnellere EU-Beitrittsperspektive verpasste die Bundeskanzlerin selbst einen Dämpfer: Sie sehe die Verhandlungen weiter als ergebnisoffen. „Die Beitrittsfrage stellt sich derzeit nicht“, sagte Merkel zu der Forderung Ankaras nach beschleunigten Verhandlungen. Der Konflikt in Syrien und andere Krisen hätten aber klar gemacht, wie wichtig es sei, mit der Türkei eine strategische Beziehung zu entwickeln. „Die sehr enge Zusammenarbeit mit der Türkei ist im absoluten geopolitischen Interesse.“

Visafreiheit für Türken in der EU schon ab Ende Juni?

Die Visaerleichterungen für türkische Staatsbürger haben die EU-Staaten Darstellungen Ahmet Davutoğlus zufolge bereits grundsätzlich akzeptiert: „Wir hoffen, dass spätestens Ende Juni türkische Bürger ohne Visum in die Schengenzone reisen können“, sagte der Regierungschef. Bevor die Erleichterungen kommen können, müssen in der EU noch mehrere Hürden genommen werden.

Dem widerspricht die ungarische Regierung: Deren Sprecher Zoltan Kovacs machte Einwände Ungarns gegen eine zur Diskussion stehende Visafreiheit für Türken bei Reisen in die EU geltend. Ungarns Regierung sei der Meinung, „dass es ein diesbezüglich zu integrierendes europäisches Territorium“, nämlich die Ukraine gebe, der diese Erleichterung zuerst zugute kommen müsste. Erst danach könne man darüber sprechen, ob die Türkei diese vielleicht auch bekommen könne. Auch gegen den Plan zur „Umsiedlung“ von syrischen Flüchtlingen in die EU stelle sich die Regierung Viktor Orbans.

Einen kleinen Sieg konnte die Kanzlerin dann doch noch mit nach Hause nehmen. Im Entwurf der Abschluss-Papiers hieß es über die sogenannte Balkanroute: „Diese Route ist nun geschlossen“. Doch Merkel und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker widersprachen der Formulierung. Die Balkanroute sei ja eben nicht geschlossen, immer noch kämen Menschen auf diesem Weg nach Mitteleuropa. Am Ende fehlte der Satz im Schluss-Dokument.

„Heute ist ein guter Tag gewesen. Aber es bleibt noch Arbeit bis zum 18. März übrig“, sagte die Kanzlerin am Schluss. Am 14. März steht fest, wie die Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ausgegangen sind und ob Merkel beim nächsten Mal gestärkt oder geschwächt nach Brüssel reist. Aber sie weiß schon jetzt: Das Weltgeschehen, die Flüchtlingskrise und die EU nehmen eben „keinerlei Rücksicht auf nationale politische Termine.“  (dpa/ dtj)