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Gesellschaft

Gäste in unserem Land, Gäste in ihrem Haus

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Seit dem Beginn des Syrienkrieges vor drei Jahren wurden die Syrer zu „Flüchtlingen” und man reduzierte sie auf diesen Begriff, ohne sich über ihre Identität Gedanken zu machen. Doch offiziell haben sie nicht einmal diesen Status. (Foto: zaman)

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Syrische Flüchtlingskinder vor einem Zelt.
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Die Wurzeln des Problems in der Türkei liegen in der Flüchtlingskonvention von 1951, wo ein multinationaler Vertrag definierte, wer ein Flüchtling ist und die Rechte der Betroffenen ebenso definierte wie die gesetzlichen Verantwortungen des Staates, der ihnen Asyl gewährt. Und nach dieser Konvention sollte der offizielle Status der geflohenen Syrer nicht „Flüchtling”, sondern „Gast” heißen.

Nun versucht eine Fotoausstellung in Istanbul die Aufmerksamkeit auf diese Situation zu lenken, indem sie Besuchern einen Blick in das gegenwärtige und das frühere Leben einer Gruppe von Syrern gewährt, die aufgrund des Syrienkrieges in die Türkei geflohen waren.

Unter dem Titel „Der Gast” wird die Ausstellung bis zum 29.März im Beyoğlu-Gefängnis gezeigt. Das Projekt entstand in Zusammenarbeit zwischen Kerem Yücel, Bildredakteur des atlas-Magazins und Serdar Korucu, einem Redakteur von CNN Türk, die als Teil einer Kampagne der Organisation Hayata Destek („Leben unterstützen”) zusammengekommen waren, um syrischen Bürgern außerhalb von Flüchtlingslagern in der Türkei Unterschlupf zu gewähren.

In der Ausstellung werden Yücels Fotos jener Syrer, die Hilfe von Hayata Destek erhalten, von Texten über ihr Leben, ihre Ängste und ihre Hoffnungen begleitet, die von Korucu verfasst worden sind.

Die Ausstellung versucht die Reduzierung auf den Begriff „Flüchtlinge” zu vermeiden und zeigt stattdessen den herzlichen Empfang durch die Menschen in der Türkei. „Wir wollten weder einseitig noch parteiisch berichten, während wir das Leben dieser Menschen zeigen… Wir haben versucht diejenigen zu erreichen, welche das Leben der Syrer hier mitverfolgen”, so Yücel gegenüber Sunday’s Zaman in einem schriftlichen Interview.

Gäste in unserem Land, Gäste in ihrem Haus

„Wir versuchten, uns in ihr Leben mit einzubringen. Daher verbrachten wir viel Zeit mit ihnen. Während sie Gäste in unserem Land sind, wurde wir zu Gästen in ihren Häusern, tranken Kaffee, den sie uns anboten und machten Witze untereinander, weinten und sprachen über die gemeinsame Kultur und Geschichte”, so Korucu.

Ihr Ziel sei es, zu zeigen, dass die syrischen Gäste nicht anders seien als die Türken selbst und zu betonen, dass die gleichen Träume, Hoffnungen oder Schmerzen ihrem normalen Alltag bestimmten. Ein Foto zeigt z.B. einen 22-jährigen Syrer namens Cemil, der seine Verlobte im Krieg verlor und sich an sie erinnert, indem er Bilder auf seinen Körper tätowierte. Dieses Bild ist besonders speziell, da es den jungen Mann nicht als Flüchtling brandmarkt, sondern zeigt, dass er genauso wie andere junge Männer in seinem Alter Liebeskummer hat.

Viele der Bilder zeigen, wie sehr die Menschen von Traumata geprägt sind. So etwa jenes der 14-jährigen Şerife, die einst davon träumte, Ärztin zu werden, doch im Krieg ihr rechtes Bein verlor und nun eine Prothese trägt. Sie akzeptiert ihre Situation und versucht, souverän damit umzugehen, doch verliert sie ihre Sicherheit sofort, sobald ihr jüngerer Bruder die Geräusche einer Rakete imitiert.

Der Krieg aus der Opferperspektive

Das Schwerste bei der Vorbereitung dieser Ausstellung war laut Yücel und Korucu, diese Menschen zurückzulassen. „Du verlässt ihr Haus, doch sie sind diejenigen, die mit der Realität des Krieges zurechtkommen müssen. Wir sehen nur einen kleinen Teil aus ihrem Leben.“ Selbst in den glücklichsten Momenten spiegelt sich der Schmerz in den Augen dieser Menschen wieder bei der Erinnerung an das, was ihnen im Krieg widerfuhr.

Vor der Ausstellung „Der Gast” wurde bereits im Dezember 2013 ein E-Book zum gleichen Thema unter dem Titel “Nachdem Syrien zur Ruine wurde” veröffentlicht. Es ist in den Sprachen Arabisch, Englisch, Kurdisch und Türkisch verfügbar. Mit dem Buch und der Ausstellung versuchen Yücel und Korucu zu betonen, dass wir alle, als Zuschauer des Krieges, „von einer anderen Perspektive aus auf die syrischen Gäste, die unsere Hilfe erwarten, blicken sollten”.

Der UN hat die Türkei mehr als 625 000 Syrer aufgenommen. Die weitaus meisten Flüchtlinge des syrischen Bürgerkriegs – nahezu eine Million – leben im Libanon. Die Zahl könne bis Ende 2014 auf 1,6 Millionen steigen. Bereits jetzt kämen statistisch auf 1000 Libanesen 230 syrische Flüchtlinge. Hingegen seien bislang weniger als vier Prozent der syrischen Flüchtlinge nach Europa gekommen.