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Politik

Die Türkei und Israel: Wohin geht die türkische Außenpolitik im Nahen Osten?

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Seit dem Mavi Marmara-Zwischenfall hatte sich die türkische Regierung auf Israel als Feindbild eingeschossen. Welche Auswirkungen auf die türkische Außen- und Innenpolitik wird die Normalisierung der Beziehungen nun haben?

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Es ist dieselbe Macht, die einst Necmettin Erbakan dazu brachte, zu sagen „Wir sind auf die Militärtechnologie Israels angewiesen“, die heute den Führer der sogenannten „neuen Türkei“ dazu bringt, zu sagen „Wir müssen anerkennen, das wir Israel brauchen“.

Ich war immer dagegen, dass die Türkei die Brücken zu Israel abreißt, aber meine Gründe waren andere. Ich habe nie daran geglaubt, dass die Türkei zwangsläufig auf Israel angewiesen ist. Auch wenn die Fakten zeigten, dass das so ist, habe ich die volle Abhängigkeit von Israel als ein Zeichen von nationaler Würdelosigkeit und einem Mangel an Eifer betrachtet. Nach meinem Verständnis war diese wechselseitige Abhängigkeit kein Muss, sondern eine Frage der Prioritätensetzung. So wie ich die Nahostpolitik sehe, war die Pflege der türkisch-israelischen Beziehungen für beide Seiten von Vorteil, besonders jedoch für die Palästinenser von großem Nutzen. Falls ich die von Erdoğan geäußerten schwierigen Aussagen hätte ausprechen müssen, hätte ich gesagt: „Wir sollten akzeptieren, dass die Palästinenser darauf angewiesen sind, dass wir gute Beziehungen zu Israel pflegen.“

An meiner Haltung hat sich nichts geändert. Ich unterstütze die Normalisierung der türkisch-israelischen Beziehungen und applaudiere jedem Schritt in diese Richtung. Noch mehr sogar: Auch wenn die inneren Motive dieser Annäherung undemokratischer Natur sind, sehe ich, dass eine ehrlich gemeinte Beziehung zu Israel dazu beitragen könnte, dass Ankara ein neues Ich-Bewusstsein aufbaut.

In einem Land, in dem Vertreter des politischen Islam an der Macht sind, die das Leben über die Feindschaft definieren, ist es unausweichlich, dass die Regierung ihr Ich-Bewusstsein über die Beziehungen zu Israel aufbaut. In der Vergangenheit hat die AKP sich zuerst als einziger Vermittler in der Region, dann als Richter und Verteiler von Gerechtigkeit und schließlich als Spitze der Opposition gegen die internationale Ordnung gesehen. Wenn es ihr gelingen sollte, nun auch diese Kurve zu kriegen, wird sie zwangsläufig ein neues Ich-Bewusstsein entwickeln müssen.

Die eigentliche Frage ist: Will die AKP-Regierung sich wieder als Vermittler positionieren oder sich wie ihre Vorgängerregierungen ganz aus dem Nahen Osten, der als Quelle alles Bösen gesehen wurde, zurückziehen?

Wenn man gute Beziehungen zu Israel aufbauen will, heißt das aber automatisch auch, dass man auf die Zuneigung der arabischen Straßen verzichten muss und sich entscheidet, die Beziehungen zu den arabischen Ländern wie zu Zeiten des Kalten Kriegs ausschließlich auf der Ebene der Staatsführer zu pflegen. Oder man will gute Beziehungen zu Israel mit dem Ziel, handfeste Vorteile für Palästina und die arabischen Völker zu erreichen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das erstere eintritt, ist größer. Ich weiß auch, wie der Lackmustest dafür aussehen wird: Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Ägypten in den nächsten sechs Monaten. Falls das eintreten sollte, können sie 15 Jahre AKP-Außenpolitik in den Müll werfen.

Eine entgegengesetzte Entwicklung wäre es, wenn die AKP ihr gesamtes politisches Konzept für die Region überarbeitet und das Ziel verfolgt, eine neue unparteiische Vermittlerrolle einzunehmen: in Syrien zwischen dem Assad-Regime und der Opposition, im Irak zwischen der schiitischen Regierung und den Sunniten, in Palästina zwischen der Fatah und der Hamas, in Ägypten zwischen der Sisi-Regierung und den Muslimbrüdern, in Libyen zwischen der Tripoli-Fraktion und der Bengazi-Fraktion, in Tunesien zwischen der Regierung und der Ennahda, im Libanon zwischen Hisbollah und den Maroniten. Hierfür ist es aber notwendig, nicht Führer der Transformation, sondern dessen Diener zu sein. Das scheint nicht nur sehr schwierig zu sein, sondern bedarf der Geduld mindestens einer Generation, damit es Früchte trägt.

Der Eintritt des ersten Szenarios würde die 15-jährige Geschichte der AKP zunichte machen und zugleich Ahmet Davutoğlu zu einem nie dagewesenen Symbol des Scheiterns degradieren, es wäre, als hätte es ihn nie gegeben. Tritt dieses Szenario ein, wird die türkische Innenpolitik noch stärker zentralistisch-staatsorientiert, noch aggressiver und machtpolitischer und die Sprache des Kalten Krieges wird zurückkehren. Das wird zur Folge haben, dass die türkische Innenpolitik sich um ein militaristisches Ich-Bewusstsein formieren wird.

Wir würden zu einer Türkei zurückkehren, die nicht mehr ist als ein Land am südlichen Rand der NATO.


Kerim Balcı ist Kolumnist und ehemaliger Israel-Korrespondent der Zeitungen Zaman und Today’s Zaman. Der promovierte Politikwissenschaftler hat an der Boğaziçi Universität Istanbul und der Hebräischen Universität Jerusalem studiert und gilt als Experte für den israelisch-arabischen Konflikt und die türkische Außenpolitik.