Politik
„Das Tor zur Diktatur wurde aufgestoßen“
Der Vorsitzende der MHP, Devlet Bahçeli, warnte davor, dass Stück für Stück der Weg zu einer Einparteiendiktatur der AKP in der Türkei geebnet werde. Auch namhafte Kolumnisten warnen vor drohenden putschähnlichen Zuständen. (Foto: reuters)
Der Vorsitzende der oppositionellen Milliyetçi Hareket Partisi (dt. Partei der Nationalistischen Bewegung, kurz MHP), Devlet Bahçeli, hat Premierminister Recep Tayyip Erdoğan und die AKP (dt. Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) scharf kritisiert. „Aus der Türkei wird Stück für Stück, so langsam eine Diktatur“, betonte der Vorsitzende der MHP. „Die Legislative ist in der Hand von Tayyip Erdoğan. Die Exekutive ist mittlerweile vollständig in der Hand von Erdoğan. Die Medien hat der durch das System ‚Hallo‘, also indem er direkt Medienvertreter anruft und in die Berichterstattung eingreift, an sich gebunden. Selbst die Judikative belagert er uns reißt sie sich unter den Nagel.“
Bahçeli wirft dem Regierungschef vor, dieser baue den Obersten Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK) neu auf und gebe dabei dem Justizminister volle Leitungsgewalt. Dazu kämen noch die „Unverschämtheiten“, die gegenüber Staatsanwälten und Richtern und mittels der Zwangsversetzungen von rund 8000 Angehörigen der Sicherheitsbehörden verübt wurden. Dann noch die Versetzungen von 28 Gouverneuren. „All diese Schritte ebnen so langsam Stück für Stück den Weg zu einer Diktatur. Macht gewinnt mit Verbindung von Vernunft eine Bedeutung. Macht ohne Vernunft hingegen führt zu einer Katastrophe. In der Türkei wird im Moment Macht ohne Vernunft ausgeübt. Überall ist Recep Tayyip Erdoğan”, sagte Bahçeli in der ostthrakischen Kreisstadt Çorlu in der Provinz Tekirdağ.
Bahçelis Partei selbst wird vorgeworfen, pantürkische und nationalistische Positionen einzunehmen. Die MHP ist für eine promilitärische und harte Vorgehensweise in der Kurdenfrage. Ein ehemaliger hochrangiger General, der bei den letzten Parlamentswahlen zum Abgeordneten über die MHP-Liste gewählt wurde, ist im Balyoz-Prozess verurteilt worden. Den Balyoz-Angeklagten wird vorgeworfen an Putschplanungen gegen die AKP-Regierung beteiligt zu sein.
Mitglieder der Partei bezeichnen sich selbst als Bozkurtlar (Graue Wölfe) und „Idealisten“ (Ülkücüler).
„Dieses Mal will ein Zivilist putschen“
Scharfe Kritik an den autoritären Tendenzen, die durch den Premierminister vorangetrieben werden, gab es auch in den Medien. Der Journalist Hasan Cemal (T24) schrieb beispielsweise kürzlich in einer Kolumne: „Früher haben jene Kolumnisten, die der Armee nahestanden, die Menschen aufgefordert, geduldig zu bleiben, bis die angeblichen Feinde der Demokratie und des Rechtsstaates von der Armee beseitigt sein würden. Heute ist es nicht anders, nur dass statt des Militärs jetzt ein Zivilist, Tayyip Erdoğan, versucht, einen Putsch zu verüben. Seine autoritäre Neigung gewinnt an Durchschlagskraft und manche applaudieren diesem Umstand. Der Weg in diese Richtung scheint somit vorgezeichnet zu sein. Auch die Tonaufnahmen des Gesprächs zwischen Erdoğan und dem Innenminister zeigen, wie er diesen auffordert einen Journalisten festnehmen zu lassen und falls der Staatsanwalt widersprechen sollte, dass er diesen auch festnehmen solle. Dann noch die Nachfrage nach einem Gerichtsbeschluss seitens des Vorsitzenden der BTK (Kommunikationsbehörde) aufgrund der Schließung einer Internetseite und die Antwort Erdoğans von wegen, dass man, wenn es sein müsse, schon rechtzeitig ein Gesetz verabschieden würde, das nachträglich dessen Handeln legalisieren würde.“
Auch Cengiz Cander von der Zeitung „Radikal“ meldete sich in seiner aktuellen Kolumne zu Wort und schrieb: „Eine der wichtigsten Errungenschaften der Erdoğan-Ära war die Verringerung der Vormundschaft der Armee über die Türkei. Symbolisch dafür stand der Ergenekon-Prozess. Aber jetzt werden die einzelnen Strafgefangenen des Ergenekon-Prozesses und mit ihnen die Angeklagten der düstersten Morde in der Türkei einfach frei gelassen. Das ist ein Vorgehen, das die Gewissen noch mehr verletzt und eine neue unheilige Allianz herbeiführt, um Korruptionsermittlungen zu verhindern und die Akten zu schließen. Wenn mich jetzt einer fragen würde, ob ein Putsch der Armee in der Türkei noch möglich wäre, würde ich einfach kurz und klar antworten: Ja.“
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