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DTJ-Blog

Das I(gitt)-Wort

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Es ist das abstoßendste Wort in meinem Wortschatz. Vor keinem anderen Wort ekelt es mich mehr. Es gibt eine türkische Redewendung, welche lautet: „Die Ohren sind satt die Augen hingegen hungrig.“[1]. Wir können dieses Wort nicht mehr hören, es beinhaltet eigentlich so viel, doch wurde es so oft an den falschen Stellen genutzt, dass es heute nur noch beklemmend wirkt.

Das Wort, das ich meine, sollte ursprünglich ein Wort des Miteinanders sein. Des Miteinanders, welches in einer nicht allzu fernen Zukunft kommen sollte, doch stattdessen hat dieses Wort uns nur getrennt. Wir wurden separiert in IHR und WIR, so traurig das auch ist. Man sprach übereinander statt miteinander und vergaß manchmal, dass es sich auf beiden Seiten um Menschen handelt. Man redete und bekam gar nicht mit, dass eigentlich schon längst eine Veränderung im Gange war.

Das Wort, welches ich auch liebevoll das Igitt-Wort nenne, lautet „Integration“. Ja, dieses Wort ist grotesk und kein anderes Wort erregt bei den so genannten „Deutschen mit Migrationshintergrund“ eine größere Aversion als das. Nun gut, vielleicht wäre da noch „Integrationsverweigerer“ aber dieser Neologismus scheint ja nur aus dem Wortstamm der Integration entgleist zu sein und ist somit schon in diesem Begriff mit abgedeckt. Außerdem betrifft es ja eh nur rund 10 – 15% der Einwanderer, da könnten wir zur Abwechslung eventuell auch mal von der Mehrheit sprechen.

Das verachtete I-Wort hängt uns zu den Ohren raus, und es hat uns von Anfang an überall hin verfolgt. Man wird gefragt: „Fühlst du dich deutsch oder türkisch?“ Meine Antwort daraufhin lautet meistens: „Wie fühlt man sich denn als Deutsche oder als Türkin? Nur so als Richtlinie für mich?“ Wenn der Gesprächspartner dann verstummte, wusste ich, die Message ist angekommen.

Meiner Meinung nach ist dieser Ansatz der größte Fehler. Man kann die Farbe Grün nicht zwingen, sich für Gelb oder Blau zu entscheiden. Sie müsste in jedem Fall einen Teil ihrer selbst verleugnen. Sie entsteht erst aus diesen beiden Komponenten. Es entwickelt sich zwar etwas komplett Neuwertiges, Fremdes, Ungewohntes, aber auch etwas Originelles und das ist auch gut so. Ob wir nur getürkte Deutsche oder verdeutschte Türken oder Deutsche mit Migrationshintergrund oder vielleicht sogar Türken mit Migrationsvordergrund sind: Wir sind die Zwischenkultur, wir sind die Brücken zwischen Generationen und Nationen. In uns ist beides verankert, wir verstehen beides, leben beides und fühlen beides. Beide Seiten haben sich lange genug Gedanken gemacht, nun ist es Zeit, in Aktion zu treten und miteinander zu reden STATT übereinander.

Wir bleiben! Die innere Zerrissenheit, welche unsere Eltern und Großeltern über Jahre hinweg in sich getragen haben, hat nun ein Ende. Wir sind die Generation, die sich entschieden hat, zu bleiben. Hand anzulegen, zu verändern, aufzubauen und zu verbessern. Man findet uns überall. In jeder Stadt in Deutschland finden sich Architekten dieser Gesellschaft. Wir tüfteln, bauen um oder errichten von Neuem. Jeder versucht es auf seine Art und Weise. Der eine singt für den Frieden, der andere versucht es auf politischer Ebene. Auf der einen Seite dreht jemand einen Film und auf der anderen wird jemand Lehrer – um am Ende Generation ohne Berührungsängste heranwachsen zu sehen.

Die Herzen berühren sie jedoch alle.

Fragt diese Architekten nicht nach ihrer HERKUNFT, fragt sie nach ihrem ZIEL!


[1] „Kulaklar doydu gözler ise aç“