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Politik

„Frieden macht man immer nur mit den Feinden“

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DTJ-Online sprach mit dem NRW-Landtagsabgeordneten Serdar Yüksel (SPD) über Diskriminierung im heutigen Deutschland, organisierten Shitstorm in den sozialen Medien und die aktuellen Brennpunkte auf der Welt. (Foto: dha)

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Der NRW-Abgeordnete Serdar Yüksel
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Serdar Yüksel ist mit 15 Jahren in die SPD eingetreten und verbrachte seine letzten vier Jahre im Landtag NRW als Abgeordneter. Er ist innerhalb der SPD mit seinen mutigen und ehrlichen Vorstößen bekannt und kommt eigentlich aus der Gesundheitsbranche. Nach einer Ausbildung als Krankenpfleger hat er Pflegewissenschaften und anschließend Gesundheitswissenschaften studiert. Während seines Studiums und bis zum Einzug in den Landtag als Abgeordneter hat er in der Intensivmedizin gearbeitet. Yüksel setzt sich seit seinem fünfzehnten Lebensjahr für soziale Gerechtigkeit, Toleranz und Frieden ein. Er ist überzeugter Sozialdemokrat. Zuletzt tauchte sein Name in den Schlagzeilen auf, als er im Zusammenhang mit einem Bild am Sonntag-Kommentar Strafanzeige stellte.

Welche Bedeutung haben Begriffe wie Dialog, Interkulturalität und Verständigung der Weltvölker für Sie?

An diesen Punkten hat es in Deutschland jahrzehntelang gemangelt. Deutschland wurde als Einwanderungsland negiert. Die Menschen wurden über Jahrzehnte in die Rolle des Gasts gedrängt, obwohl sie schon lange mit ihren Familien ihren Lebensmittelpunkt hier hatten. Deshalb ging es auch darum, eine gewisse Normalität auch zu erzielen, dass Deutschland auch das Land der Zuwanderer ist und das die Menschen, die schon so lange hier leben mit ihren Familien genauso gleichberechtigte Bürger sind, wie auch die Menschen in der Mehrheitsgesellschaft.

Was ist die Vorstellung des Serdar Yüksel, wenn es um außenpolitische Beziehungen geht und wie stuft er in außenpolitischer Hinsicht den Dialog der Völker auf der Welt ein?

Es gibt Interessenslagen. Die Außenpolitik wird nicht geleitet von einer gemeinsamen Haltung, das sehen wir ja bei den Vereinten Nationen, dass es dort in vielen Dingen sehr unterschiedliche Auffassungen gibt und geleitet wird die Interessenpolitik von den einzelnen Nationalstaaten. Die sind mal gut, mal schlecht, aber sie sind mit Sicherheit nicht konsistent. Das ist auch das Verderben, dass wir keine weitreichende Außenpolitik in der Welt haben, die dem Ziel dient, Frieden und Gerechtigkeit in der Welt zu schaffen und das ist das, was ich gerade jetzt bemängele, zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des 1.Weltkriegs. Die Außenpolitik ist interessensgeleitet, die eher wirtschaftliche und energiepolitische Interessen hat und nicht die Menschenrechte und die Freiheit in den Mittelpunkt der Politik stellt.

Soziale Medien sind heute Kommunikationsmittel auch von Politikern und Abgeordneten. Viele stellen hier ihre Meinung dar und zeigen ihre Haltung offen. Wegen eines Beitrages auf Facebook wurden Sie zuletzt hart kritisiert. Worum ging es in dem Beitrag und wie haben sie diese Kritik wahrgenommen? Wie haben sie zudem den Druck empfunden, der auf Sie ausgeübt wurde?

Anlass war der am 28.07.2014 in der Bild am Sonntag veröffentlichte Kommentar vom stellvertretenden Chef-Redakteur Nicolaus Fest, worin er den Islam diffamiert, alle Menschen muslimischen Glaubens, ja fast schon als Terroristen dahin gestellt hat. Das war ein Kommentar, der über die freie Meinungsäußerung und aus meiner Sicht über die publizistische Freiheit deutlich hinaus ging und für mich den Straftatbestand des Paragraphen 130 des Strafgesetzbuches erfüllte, denn es gibt Grenzen der publizistischen Freiheit und diese wurden längst überschritten. Ich habe dann bei der Berliner Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen Nicolaus Fest gestellt, mit der Bitte um Prüfung, ob ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorlag.

Ich habe diese Strafanzeige in den sozialen Medien veröffentlicht. Die sozialen Medien sind Fluch und Segen zugleich. Aber sie scheinen inzwischen von gut organisierter Stelle eher Fluch zu sein, als Segen, denn daraufhin hat es einen massiven Shitstorm gegeben. Auf diesen Eintrag hatte ich über vier tausend Kommentare. Nach genauerem Hinsehen konnte man gut erkennen, das das eine organisierte Kommentierung war, von rechtsradikalen Gruppierungen und das zeigt, dass diese sozialen Medien inzwischen von interessierten Kreisen zum schlechten hin genutzt werden.

Wie war die Reaktion der Bürger?

Es gab Pro und Contra. Es gibt diejenigen, die sagen: „Das ist doch Meinungsfreiheit und Nicolaus Fest sagt doch die Wahrheit. Der Islam ist böse und der Islam gehört nicht zu Deutschland und deshalb muss er raus aus Deutschland!“Und es gibt diejenigen, die sich natürlich richtiger Weise dagegen wehren, eine ganze Religion unter Generalverdacht zu stellen. Ich, als jemand, der die Verfassung Deutschlands sehr ernst nimmt, sehe, dass die Religionsfreiheit ein hohes Gut ist und wenn die Religionsfreiheit durch solch einen Kommentar mit Füßen getreten wird, ist es unsere Pflicht, uns auch als Verfassungspatrioten gegen diese Art der Meinungsmacher zu stellen.

Vor der Veröffentlichung der Strafanzeige auf Facebook hatten Sie einen Beitrag verfasst, in dem Sie sich mit der Situation in der Ost-Ukraine befasst und das amerikanisch-russische Verhältnis bewertet haben. Ist es Zufall, das gerade nach der Strafanzeige gegen Nicolaus Fest dieser Beitrag hervorgehoben wurde und sowohl durch die Opposition als auch in den Medien kritisiert wurde?

In der Politik gibt es aus meiner Sicht keine Zufälle. Das ist übrigens ihr gutes Recht, den Abgeordneten Serdar Yüksel in seiner Haltung zu kritisieren. Ich habe mich gegen die Politik, die gegenüber Putin und Russland betrieben wird, gestellt. Die einseitige Berichterstattung hier in Deutschland zeigt, dass keine objektive Berichterstattung mehr stattfindet und wir uns im Konflikt um die Ost-Ukraine in einer Abwärtsspirale nach unten bewegen. Europa und auch Amerika haben machtpolitische Interessen in der Ukraine, die sie durchsetzen; die hat Putin natürlich auch, aber Putin als alleinigen Bösewicht dort hinzustellen, ist aus meiner Sicht nicht legitim und entspricht nicht den objektiven Tatsachen, die wir in der Ukraine erleben. Mich erfüllt es mit großer Sorge zu sehen, dass im Mittleren und Nahen Osten fast ein zusammenhängender Brand- und Konfliktherd entstanden ist und wir nicht mit diplomatischen Mitteln ausreichend darauf reagieren, sondern eine militärische Eskalationsstrategie haben, die sich auch in der Ost-Ukraine zu einer Kriegsgefahr zwischen dem Osten und dem Westen entwickeln kann. Das ist meine große Sorge.

Wie stehen Sie zum Gaza-Konflikt?

Der Konflikt in Israel ist so alt, das sich Großväter gemeinsam an einen Tisch setzen können, um stundenlang über ihn zu reden. Der Schlüssel dafür, um Frieden in dieser Region zu haben, ist die Zwei-Staaten-Lösung. Israel muss Palästina als eigenständigen Staat anerkennen und die Palästinenser müssen das Existenzrecht Israles natürlich auch garantieren. Solange eine friedliche Zwei-Staaten-Lösung von extremistischen Gruppierungen auf beiden Seiten torpediert wird, wird es auch keinen Frieden geben. Es gibt keine militärische Lösung in Palästina und ich kann dann nur Golda Meir zitieren, die in den siebziger Jahren Ministerpräsidentin Israels gewesen ist. Sie hat einen klugen Satz: „Frieden macht man immer nur mit den Feinden.“

Wie beurteilen Sie die kommenden Präsidentschaftswahlen in der Türkei?

Es ist das erste Mal, dass der Präsident direkt vom Volk gewählt wird. Das ist zunächst einmal eine gute Entwicklung. Aber die Stärke des Kandidaten der AKP, Recep Tayyip Erdoğan, ist zugleich die Schwäche der Opposition. Auf der einen Seite gibt es Selahattin Demirtaş, der von den eher Linken und Liberalen, zudem von vielen Künstlern und jungen Leuten anerkannt wird. Mir scheint es so, als wäre der Kandidat der CHP und MHP, Ekmeleddin İhsanoğlu, noch gar nicht so richtig angekommen. Meine Einschätzung ist, dass in der gegenwärtigen Konstellation Erdoğan die Wahlen gewinnen wird.

Was halten Sie von den jüngsten Verhaftungswelle in der Türkei, die vor allem Polizeibeamte trifft?

Zunächst einmal muss man die Frage stellen, inwieweit die Gewaltenteilung in der Türkei tatsächlich funktioniert. Da kann man berechtigte Zweifel haben, wenn wir sehen, dass Staatsanwälte nicht unabhängig ermitteln konnten, dass Richter, die die Korruptionsermittlungen eingeleitet hatten, zusammen mit tausenden Polizisten versetzt worden sind. Wenn die Gewaltenteilung nicht funktioniert, dann funktioniert die Demokratie auch nicht. Inwieweit bei den neuen Prozessen gegen die Polizeibeamten tatsächlich eine unabhängige Ermittlung läuft, das lässt sich am Ende wirklich nur mit einem dicken Fragezeichen bewerten.

Zum Schluss möchte ich noch auf etwas anderes eingehen. Bei den Konflikten, ob in Syrien, im Irak, in Palästina, aber auch in der Ost-Ukraine, stehen gerade die westlichen Mächte in einer besonderen Verantwortung, den Krieg nicht weiter eskalieren zu lassen, sondern alle diplomatischen Mittel zu nutzen, um diese Krisenherde endlich zu befrieden und aus meiner Sicht geschieht das derzeit nicht in ausreichendem Maße. Ich sehe leider eine Eskalation, die im Moment betrieben wird, von interessierter Seite her, die aus meiner Sicht Potenzial hat, für noch viel größere Konflikte als die bisherigen zu sorgen.