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Kolumnen

Es gibt in Deutschland weniger Erdoğan-Anhänger als gemeinhin angenommen wird

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Auch wenn 69% der Türken in Deutschland Premierminister Erdoğan ihre Stimme gegeben haben, sind 93% der Wahl ferngeblieben. Für mich ein Zeichen, dass der Rückhalt des künftigen Präsidenten in der Community wesentlich geringer ist als angenommen.

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Seitdem das futureorg Institut das Meinungsforschungsinitiative „endaX – Ihre Stimme in Deutschland“ in gemeinsamer Zusammenarbeit mit DTJ-Online der Öffentlichkeit vorgestellt hat, hat es oft Kritik gehagelt. Mithilfe von Online-Umfragen hat endaX das Meinungsbild der türkischen Community in Deutschland zu verschiedenen Themenfeldern der Politik untersucht. Dabei ist mein Team zu überraschenden Ergebnissen gelangt, die für viel Irritationen gesorgt haben.

Auch Türkinnen und Türken sind rationale Wählerinnen und Wähler

Die Studien vor und nach der Bundestagswahl führte beispielsweise vor, dass im Vergleich zum Wahljahr 2009 ein beachtlicher Teil der wahlberechtigten Türken sich von den Grünen und der SPD abgewandt und sich der CDU zugewandt haben. Die Studie sei „nicht repräsentativ“ hieß es umgehend. Sie sei „manipuliert“, wurde meinem Team und mir vorgeworfen. Die Ergebnisse wären „verzerrt“, weil die Teilnehmer der Umfrage sich von der Hizmet-Bewegung rekrutiere, so eine merkwürdige wie brisante Unterstellung. Die Mitglieder und Anhänger dieser sozialen Bewegung sind ja, so ein weit verbreiteter Vorurteil, religiös und konservativ. Daher sei die hohe Zustimmung für die CDU nicht überraschend.

Dass auch türkische Wahlberechtigte rationale Wählerinnen und Wähler sein können, die ihre Wahlpräferenz verändern können, wenn die Parteien ihnen attraktive Angebote machen, scheint nur wenige Menschen, darunter Professionellen wie Journalisten, Wissenschaftlern oder Politikern eingeleuchtet zu haben. Seit 2002 hat sich die CDU gegenüber migrantischen Wählergruppen auf vielfältige und vor allem auf kluge Weise geöffnet. Die Ergebnisse aus den beiden endaX-Wahlstudien führen vor, dass zumindest die wahlberechtigten Türkinnen und Türken diese Öffnung wahrgenommen und honoriert haben.

Maximal ein Drittel der Deutschlandtürken sind Erdoğan-Anhänger

Ein anderes ebenso überraschendes Ergebnis stammt aus der Untersuchung zur „Krise in der Türkei“, die im März dieses Jahres veröffentlicht wurde. Dort wurde das Meinungsbild der türkischen Diaspora in Deutschland untersucht, was sie über die Korruptionsaffäre denken, wie sie den Politikstil des nun künftigen Staatspräsidenten in der Türkei denken und wie sie die Demokratisierung des Landes beurteilen.

Im Endbericht der Umfrage habe ich es nicht explizit angeführt, aber über die informellen Kanäle (soziale Netzwerke, Vorträge, Ergebnisvorstellungen usw.) habe ich meine Einschätzung mitgeteilt, dass auf Grundlage der empirischen Untersuchung maximal ein Drittel, wohl aber eher ein Viertel der Deutschlandtürken als überzeugte Anhänger Erdoğans bezeichnet werden können. Diese Erkenntnis wurde nicht gerade mit schwungvoller Euphorie aufgenommen. Denn der Lärm in den öffentlichen Debatten, die die Anhänger Erdoğans in Deutschland verursachten, gefühlt andere Mehrheitsverhältnisse vermittelten.

93% der türkischen Staatsbürger in Deutschland sind nicht zur Wahl gegangen

Nun – das Schöne an empirischen Ergebnissen ist, dass die Realität sie einholt und vorführt, wie nahe die Daten an der Realität lagen. Und die sehr geringe Beteiligung der Deutschlandtürken an der Präsidentenwahl in der Türkei bestätigen meine Analyse. Gerade 7% der türkischen Staatsbürger in Deutschland haben sich an der Wahl beteiligt! Jede Asta-Wahl an deutschen Universitäten erreicht eine höhere Wahlbeteiligung.

Nun führt die UETD, die als erweiterter Arm der AKP gilt, an, dass das komplizierte Wahlverfahren der Grund für diese niedrige Wahlbeteiligung sei. Ja, sie hat damit sogar Recht. Es wird allerdings verschwiegen, dass dieses Wahlverfahren unnötig verkompliziert und damit für Manipulationen anfällig gemacht wurde. Denn dem Wahlverfahren zufolge mussten sich die türkischen Staatsbürger erst im Internet registrieren, um so in die Wählerliste aufgenommen zu werden.

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Die Stimmen der Auslandstürken waren Teil der Wahlstrategie

Da man einen großen Ansturm erwartet hat, aber zu wenige Wahllokale existierten, mussten die Wahlberechtigten zudem einen Termin für das nächstgelegene Wahllokal geben lassen. Die Frage lautet aber: Warum wurde das Wahlverfahren unnötig verkompliziert, wo doch eine Wählerliste von türkischen Staatsbürgern im Ausland existiert, die zudem durch ein einfacheres System hätte aktualisiert werden müssen. Wieso also dieser ganze Aufwand?

Weil die Stimmen aus dem Ausland hätten darüber entscheiden können, ob Recep Tayyip Erdoğan im ersten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit erreicht oder nicht. Denn ein zweiter Wahlgang hätte für ihn sehr eng werden können, wie der Politikwissenschaftler Udo Steinbach festgestellt hat.

Die UETD hat im letzten Jahr in nahezu jeder großen Stadt Europas aber besonders in Deutschland, Österreich und in der Schweiz, in der Türken leben, ein Büro eröffnet und einen Vorstand eingerichtet. Aus der Website der UETD kann entnommen werden, dass in Deutschland und im europäischen Ausland genau 63 Büros und Vorstände installiert wurden. Eine beachtliche Zahl!

Die Deutschlandtürken sind emanzipiert und lassen sich nicht vereinnahmen 

Während des Wahlkampfs besuchten mehrere AKP-Parlamentatierer die UETD-Standorte und nahmen als Ehrengäste und Hauptredner an zahlreichen Veranstaltungen teil, die zum Teil in Ditib-Moscheen stattgefunden haben. In dieser Zeit hat die UETD zwei Großveranstaltungen mit dem Kandidaten Recep Tayyip Erdoğan absolviert, an der mehrere zehntausend Menschen teilgenommen haben. Der Verband half bei der Registrierung für die Wählerlisten, organisierten Fahrten und Fahrgruppen und rührten die Werbetrommel für ihren Kandidaten.

Und das Ergebnis dessen? Nur 7% der türkischen Wahlberechtigten in Deutschland haben an der Wahl teilgenommen. Die AKP-Verband in Deutschland ist klar in der Lage ihre Mitglieder und ihre Anhänger Erdoğans zu organisieren. Aber dies gilt nicht für die Gesamtheit der türkischen Community in Deutschland. Die UETD kann Zehntausende zu Stadien bewegen, die Erdoğans Rede hören wollen. Aber sie ist nicht in der Lage die Massen an die Wahlurnen zu tragen, obgleich genau das ihr Auftrag war.

Aus der sehr geringen Wahlbeteiligung leite ich nicht nur die Bestätigung meiner Einschätzung ab, dass die Anhänger Erdoğans eine Minderheit in der Community darstellen. Viel wichtiger als das ist nämlich die Erkenntnis, dass die türkische Community sich nicht durch Dritte für ihre Zwecke vereinnahmen lässt und weitaus emanzipierter und selbständiger ist, als man gemeinhin in der deutschen Öffentlichkeit von ihr annimmt.