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Kolumnen

Regierung verbannt Kultur-Ereignis aus der Türkei

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Die Türkisch-Olympiade findet nicht mehr in der Türkei statt. Schon im März kündigte Erdoğan an, die Organisatoren würden im gesamten Land keinen Austragungs-Ort finden. Der Staat begegnet seinen Bürgern nach der Gefühlslage Erdoğans. (Foto: cihan)

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So schnell kann es gehen. Die Türkisch-Olympiade findet in diesem Jahr außerhalb der Türkei statt. Äthiopien, Rumänien und Deutschland sind die diesjährigen Austragungs-Orte. Auf allen Kontinenten gibt es für sie Platz, nur in der Türkei nicht. Dort ist dieses Kultur-Ereignis mittlerweile verboten. Der Grund:

Sie wird von der sogenannten Gülen-Bewegung organisiert. Und Erdoğan hat diese Bewegung nicht mehr lieb. Dabei hatte er an der Veranstaltung letztes Jahr in Istanbul selber teilgenommen. Er lobte sie in den höchsten Worten.

Im Jahr zuvor hatte die staatliche Münzprägeanstalt Spezial-Münzen anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Kulturolympiade gedruckt. „Türkçe Olimpiyatları. 10.Yıl“ stand da, „10 Jahre Türkisch-Olympiade“. Und: „Insanlık El Ele“ – „Die Menschheit Hand in Hand“.

Wie fremd, wie von einem anderen Planeten klingen diese Worte heute!

Die Korruptions-Affäre im Dezember letzten Jahres änderte alles. Ministerpräsident Erdoğan machte dafür die Gülen-Bewegung verantwortlich. Sein Kriegszug gegen die Bewegung seither nimmt immer drastischere Formen an.

Werden nicht mal Wasser geben!

Aus heiterem Himmel kam der heutige Zustand nicht. Bei seiner Rede in Erzurum kündigte er an, man werde für diese Veranstaltung in der ganzen Türkei keine Stadien oder Hallen mehr zur Verfügung stellen. Er ging sogar weiter und meinte, man werde an Menschen im Umfeld dieser Bewegung nicht mal Wasser geben („Su bile vermeyecegiz“). Er muss schon mit unermesslichem Zorn erfüllt sein – Wasser verweigert man nicht mal einem Kriegsgefangenen, das wäre unmenschlich.

Mittlerweile spricht er offen von Hetzjagd gegen Menschen um diese Bewegung und verteidigt sie. Um Taten auf seine Worte folgen zu lassen, hat er die Vermietung von Stadien und Hallen an die Gouverneure übertragen. Diese sind praktisch an seinen Innenminister gebunden. So können Städte, die nicht von seiner Partei der AKP regiert werden, dies nicht tun – auch wenn sie Hallen für diese Veranstaltung vermieten wollten. Offenbar vergibt auch das Außenministerium keine Visa mehr an Menschen, die wegen dieser Veranstaltung in die Türkei kommen wollten.

Ich frage mich, ob man ein Land mit solchen Zuständen noch als Demokratie bezeichnen kann. Kann man die Demokratie mit Wahlen gleichsetzen? In Diktaturen wird auch gewählt. Als Muster-Demokrat wurde deshalb der Machthaber in Nordkorea noch nicht bezeichnet.

Ja, Wahlen gehören dazu, aber sie reichen nicht. Man kann mit Medien eine Bevölkerung manipulieren oder unter Druck setzen und sie lenken. Deshalb legt man ja auch in funktionierenden Demokratien Wert auf eine gewisse Verteilung der Macht in der Gesellschaft.

In Demokratien gibt es bestimmte Werte und Rechte, die nicht aufgehoben werden können und dürfen, auch nicht durch die Regierung. Die Grundwerte gehören dazu, auch der Rechtsstaat ist ein Teil dieser Ordnung. Eine Regierung muss bestimmte Rechte ihrer Bürger respektieren, egal, wie stark sie auch ist. Das heißt:

Die Behandlung der Bürger richtet sich an das Recht, nicht an Antipathien oder Rache-Gefühle ihres Ministerpräsidenten.

Was Erdoğan macht, ist aber etwas anderes: Der Staat beschränkt sich nicht auf die politische Sphäre, sie greift auch in das soziale Leben ein. Dabei orientiert sie sich nicht an dem Recht. Mehr noch: Sie begnügt sich nicht damit, sie rechtfertigt sogar eine Hexenjagd gegenüber Menschen im Umfeld einer Bewegung.

Kontrolle von Früchten und Köpfen

Nein, eine solche Regierung kann man nicht als Demokratie bezeichnen! Eine demokratische Gesinnung muss Meinungsverschiedenheiten als normal ansehen. Sie muss Kritik als legitim ansehen und nicht als Umsturzversuch verteufeln. Sie muss alle Bürger gleich behandeln, sie hat sich von der Gesinnungs-Kontrolle ihrer Bürger fernzuhalten.

Für das Innenleben einer Wassermelone darf sich der Träger einer staatlichen Macht interessieren, auch für das der Ananas oder einer anderen Frucht. Aber nicht für das Innenleben der Köpfe ihrer Bürger – es sei denn sie sind behandelnde Psychiater oder Chirurgen.

Manch einer hier in Europa mag sein Gewissen damit beruhigen, dass es ja mit der Gülen-Bewegung irgendwie schon die richtigen trifft. Ist sie nicht irgendwie suspekt und undurchsichtig? Und überhaupt der religiöse Hintergrund!

Die Frage scheint aber berechtigt: Geht es tatsächlich um die Gülen-Bewegung, oder mittlerweile um das Wegdriften der Türkei an uns aus der Geschichte schon bekannte Ufer? Wo wird diese Regierung stehenbleiben, wenn der von ihr gesäte Hass Früchte trägt? Und: Wird man noch seine Glaubwürdigkeit behalten, wenn diese offen zugegebene und verteidigte Hexenjagd die falschen, in Europa sympathischere Gruppen trifft?

Die Türkisch-Olympiade ist ein Indikator. Für diejenigen, die ihre Augen nicht verschließen wollen, ein schon recht deutlicher, wie ich meine.