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Politik

Türkei: Die Armeespitze bedarf einer grundlegenden Umgestaltung

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Nachdem die Zeitung „Taraf“ die Balyoz-Putschpläne aufgedeckt hatte, wurde dem Volk erstmals transparent, welchem Muster Staatsstreiche früherer Tage folgten. Nun ist es an der Zeit, die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen.* (Foto: aa)

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Der soldatischen Angewohnheit, alle Dokumente, die ihre Institution betreffen, streng bürokratisch nach der Bearbeitung aufzubewahren, sei Dank, stehen alle Einzelheiten und Beweise bereit. Sogar Sprachaufzeichnungen. Nicht weniger als 29 Generäle und 162 Offiziere hatten an der Versammlung, in der die Putschpläne besprochen werden, physisch teilgenommen. Im etwa 5.000 Seiten starken Ordner befinden sich deshalb nun unter anderem der allgemeine Operationsplan – vorbereitend für den Putsch und die an diese Vorgabe gebundenen Aktionspläne -, Notizen aus den Händen hochrangiger Kommandeure und die mit dem Vermerk „äußerste Diskretion“ gegebenen Befehle.

„Wie plant man eigentlich einen Putsch?“ – Auch die Antwort auf diese Frage ist im voluminösen Ordner bis ins kleinste Detail zu finden. Die wichtigste Etappe im Putschplan ist, überhaupt erst die erforderlichen Bedingungen für einen Putsch zu schaffen. Damit das Militär die Führung in die Hand nehmen kann, muss etwas vorhanden sein, das es mit seinen Waffen schützen und schirmen kann. Dieses „etwas“ muss sich in einer nahen, ernsten Gefahr befinden und von jemanden bedroht werden. Doch gibt es so was nicht, weder bedroht jemand den Laizismus, noch die Werte der Republik, sondern es beschäftigt sich bloß jeder mit seinen eigenen Angeleinheiten. Somit muss eine Bedrohung als Begründung für eine bewaffnete Intervention des Militärs erst seitens des Militärs selbst erschaffen werden. Zu diesem Zweck werden provokative Aktionen geplant und ausgeführt. Diese Aktionen werden „feindlichen Elementen“ angelastet.

Niemand kann sich mehr seinen eigenen Heldenmythos basteln

Um diese Strategie der Spannung aufzubauen, hatte die „Operation Balyoz“ eine Reihe von „Aktionsplänen“ vorgesehen. Diesen Plänen zufolge sollten zunächst einmal zwei Moscheen bombardiert, auf diese Weise das Volk zur Gegenwehr angestachelt und diese in weiterer Folge zu einem „reaktionären Umsturz“ umgedeutet werden. Daraufhin sollten unsere heroischen Generäle das Heft in die Hand nehmen, um diese sehr nahe und ernste Gefahr zu eliminieren und unseren Staat zu „schützen und schirmen“. Gleichzeitig lassen wir die Griechen eines unserer Kampfflugzeuge abschießen oder – sollten diese auf die Provokation nicht hereinfallen – lassen wir es selbst abstürzen und kreieren so eine Situation, welche die Regierung in eine hilflose Lage versetzt. Am 4.-6. März 2003 wurde unter dem Deckmantel des Ersten Militärischen Planseminars in Istanbul dieses 5.000-seitige Szenario vorgestellt und zum Zwecke einer zeitnahen Anwendung präsentiert.

Nicht nur für diejenigen in der Türkei, die an solchen Fragen Interesse haben, sondern für jedermann in aller Welt, der auf der Suche nach Antworten auf die Frage ist, wie eine Armee einen Putsch durchführt, bietet dieser Ordner sehr reichhaltiges Lehrmaterial. Allerdings können auch diejenigen, die auf der Suche nach Antworten auf die Frage sind, wie ein Putsch verhindert werden könnte, von diesem Ordner profitieren. Das Erfreuliche an der ganzen Sache ist: Nachdem dieser Putschplan enttarnt wurde, wird kein Soldat mehr einen Putsch ausführen können ohne das sichere Wissen darüber, dass er die Schande, als „Landesverräter“ bezeichnet zu werden, seinen Enkelkindern vererben wird. Während früher niemand wirklich ein „Putschist“ gewesen sein möchte oder musste, sind es nun diese Landesverräter, die konkret die Bombardierung einer Moschee, ein Blutbad und die Preisgabe der wichtigsten Interessen des Staates auszuführen geplant hatten? In jedem Korb gibt es faule Äpfel zu finden, doch die türkischen Offiziere schließen wir aus. Nicht wahr? Jetzt funktioniert dies nicht mehr.

Nicht einmal der Name war neu

Das zweite erfreuliche Ergebnis: Die Tatsache, dass die Putschisten an ihrer eigenen Engstirnigkeit gescheitert sind. Diese Männer schaffen es nicht einmal mehr, einen Putsch zu verwirklichen. Es war ein vielsagendes Omen, dass selbst der Name der Operation, „Balyoz“, aus früheren Zeiten geguttenbergt war. „Balyoz“ war nämlich bereits der Deckname der Aktion vom 26. April 1971 gewesen, die nach dem 12. März-Putsch ausgeführt wurde. Nachdem Mahir Çayan zusammen mit Gleichgesinnten den israelischen Generalkonsul in Istanbul, Efraim Elrom, entführt hatte, wurde eine umfangreiche Operation durchgeführt, im Zuge derer jede Wohnung einzeln durchsucht wurde. Ein wichtiges Detail dabei ist, dass der Pulverdampf der 12. März-Intervention erst später in diesen Ereignissen zu sehen sein sollte. Das Ziel des Ausraubens einer Bank und der Entführung durch – in Wahrheit von der Armee gesteuerte – extreme Linke zu dieser Zeit war es, die „Gefahr des Kommunismus“ sichtbar zu machen. Die Illustration dieser ohnehin jedermann geläufigen Gefahr endete mit der Hinrichtung dreier Jugendlicher.

Die türkische Armee steht nun vor dramatischen Veränderungen. Mit der kämpfenden Truppe und den Logistik-Elementen gibt es keine Probleme. Im Hauptquartier und in den obersten Etagen benötigt die Türkei allerdings ein komplett verändertes Militär. Es sind nicht nur die Putschpläne, die für Diskussionen sorgen und Zweifel nähren. Damit sich das Land verteidigen kann, braucht es ein richtiges Militär. Ein Militär, das von all diesen dunklen Flecken für immer bereinigt ist. Ein Militär, in dem die Frage, ob man eines Tages das Volk mit einem Putsch überraschen solle, gar nicht erst gestellt wird. Um die Ehre des Wehrdienstes und den Ruf der Armee zu retten, ist diese Bereinigung Pflicht. Die Türkei braucht ein Militär, das seine wesentlichen Aufgaben erfüllt, also die Grenzen schützt, außerhalb der Politik handelt und dessen Handeln auf eine transparente Art und Weise überprüfbar ist.

*Dieser Artikel erschien am 21. Januar 2010 in der türkischen Tageszeitung „Zaman“.

Autoreninfo: Mümtaz’er Türköne, geb. 1956 in Istanbul, vollendete 1990 sein Doktoratsstudium an der Politikwissenschaftlichen Fakultät der Universität Ankara und arbeitet jetzt als Autor und Journalist. Er ist als Kolumnist bei „Zaman“ tätig.