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Politik

Türkei: Die Wiederannäherung an Israel als schwere Geburt

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Mit der Entschuldigung Israels für die Mavi-Marmara-Erstürmung und der geplanten Energiepartnerschaft wurde ein Grundstein für die Normalisierung des israelisch-türkischen Verhältnisses gelegt. Es bleiben aber weiter Sollbruchstellen. (Foto: aa)

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Ungeachtet der kritischen Äußerungen des US-Außenministers John Kerry, der am Sonntag während einer Pressekonferenz in der Türkei seiner Überzeugung, der geplante Besuch würde „zur Unzeit“ stattfinden, Ausdruck gegeben hatte, schloss der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan am Dienstag erneut eine Verschiebung seines Besuches im Gazastreifen aus.

Erdoğan betonte, die Reise würde zeitnah im Anschluss an seinen USA-Besuch stattfinden, in dessen Rahmen er am 16. Mai mit Präsident Barack Obama im Weißen Haus zusammentreffen wird. Ein bereits für diesen Monat geplanter Gaza-Besuch Erdoğans war im Vorfeld verschoben worden. Die USA befürchten eine Belastung der zuletzt wieder in eine positivere Richtung gehenden bilateralen Beziehungen zwischen den beiden wichtigsten Verbündeten der Amerikaner in der Region, Israel und der Türkei. Darüber hinaus hegt man in Washington die Befürchtung, der Besuch könnte sich nachteilig auf die Wiederingangsetzung des Friedensprozesses zwischen Israel und den Palästinensern auswirken.

Erdoğan selbst bezeichnete Kerrys öffentliche Aufforderung, den geplanten Gaza-Besuch zu verschieben, als „unangemessen“. Auch sein Stellvertreter Bülent Arınç bezeichnete die Vorgehensweise Kerrys als „diplomatischen Gepflogenheiten entgegenlaufend“. Auch aus der größten türkischen Oppositionspartei, der CHP, kam Kritik. „Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem andere bestimmen, wohin der Premierminister zu reisen habe und wohin nicht“, sagte der stellvertretende Parteivorsitzende Faruk Loğoğlu. „Wir finden dies äußerst empörend.“ Auch sein Parteikollege İnal Batu warnte – auch unter Erinnerung an die umstrittenen „Zionismus“-Bemerkungen des Premierministers von vor gut einem Monat – davor, Meinungsverschiedenheiten vor der Weltöffentlichkeit auszubreiten. Er kritisierte neben Kerry in diesem Zusammenhang auch Erdoğan selbst.

Aufwertung oder Bändigung der Hamas?

Türkische diplomatische Kreise bezeichneten gegenüber „Today’s Zaman“ die Befürchtungen des US-Außenministers als unbegründet. Der Besuch in Gaza werde vielmehr positiv auf das Machtgleichgewicht in den Palästinensergebieten wirken – sowohl mit Blick auf den Friedensprozess zwischen Israel und Palästina als auch auf die nationale Aussöhnung zwischen Hamas und Fatah. Dies hätte Außenminister Ahmet Davutoğlu dem US-Außenminister am Sonntag auch in einem Vier-Augen-Gespräch mitgeteilt.

Ziel des Gaza-Besuchs Erdoğans ist primär die Überwachung der von Israel versprochenen Lockerung der Blockade des 2005 in die Selbstverwaltung entlassenen Territoriums. Die USA und Israel lehnen jedoch jedwede Gespräche und diplomatische Annäherung an die Hamas ab, die in vielen Ländern als terroristische Organisation angesehen wird. Die USA lehnen eine diplomatische Aufwertung der Hamas ab. Insbesondere dürfe diese nicht der Fatah gleichgestellt werden, mit der Israel seit 1991 offiziell verhandelt, bevor die radikale Palästinenserorganisation nicht das Existenzrecht Israels anerkannt hätte. Eine solche Erklärung hatte die Hamas auch jüngst wieder kategorisch abgelehnt.

Auf der anderen Seite könnte der Besuch eine Chance für die Türkei darstellen, ihren Einfluss auf die Hamas wieder zu stärken und diese perspektivisch zum Gewaltverzicht, zur Anerkennung Israels und zur konstruktiven Beteiligung am Friedensprozess zu bewegen.

Die derzeitigen Differenzen im Zusammenhang mit dem Gaza-Besuch unterstreichen, dass die Wiederannäherung und Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und der Türkei nicht automatisch bedeuten, dass das Verhältnis kurzfristig wieder so eng werden würde wie dies beispielsweise noch nach 1949 oder Mitte der 90er-Jahre der Fall war. 1949 hatte die Türkei als erstes größeres mehrheitlich muslimisches Land Israel anerkannt. Nach dem Ende des Kalten Krieges gab es vor allem im Bereich der Verteidigungspolitik und der Rüstungsindustrie eine sehr gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Ankara und Jerusalem.

Wirbel in Israel um Kerry-Äußerung

Das Verhältnis kühlte sich ab, als die AKP-Regierung sich vermehrt der palästinensischen Sache annahm und auf diese Weise versuchte, die Beziehungen der Türkei zur arabischen Welt zu verbessern und die eigene Position in Gaza als potenziellem künftigem Absatzmarkt für türkische Waren und Dienstleistungen zu stärken. Die Erstürmung der „Mavi Marmara“ durch israelische Einsatzkräfte im Juni 2010, im Zuge derer neun Aktivisten den Tod fanden, führte zum vorübergehenden Abbruch jedweder diplomatischer Beziehungen.

Zum Abschluss seines 24-Stunden Besuchs in Istanbul hatte US-Außenminister John Kerry am Sonntag die Türkei und Israel erneut aufgefordert, im Prozess der Wiederannäherung vorwärts zu schreiten.

Dass dieser eine schwere Geburt sein würde, zeigt nicht nur die Kontroverse um Erdoğans geplanten Gaza-Besuch. Auch die Entscheidung der israelischen Knesset, eine Sondersitzung zum Thema „Völkermord an den Armeniern“ abhalten zu wollen, während eine israelische Delegation in Ankara über die Kompensationsvereinbarung hinsichtlich der Mavi-Marmara-Angehörigen verhandelt, trägt nicht wirklich zur nachhaltigen Entspannung bei.

Aber auch in Israel selbst wurde seitens zahlreicher Medien und Parlamentarier massive Kritik an US-Außenminister John Kerry laut. Dieser hatte in einer Ansprache während seines Türkei-Besuches den Familien der Todesopfer auf der „Mavi Marmara“ seine Sympathie und Anteilnahme ausgesprochen und die Erfahrung der Betroffenen und der türkischen Nation mit jenen der Amerikaner nach den Anschlägen von Boston in einem Zusammenhang genannt.

Der stellvertretende israelische Verteidigungsminister Danny Danon (Likud) warf dem US-Außenminister daraufhin vor, „Terroristen und ihre Opfer” durcheinanderzubringen. Höherrangige israelische Offizielle, inklusive Premierminister Netanjahu, nahmen zu den Äußerungen hingegen nicht Stellung.