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Politik

Türkei: Wie geht es nun weiter mit dem neuen Parlament?

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Der Rausch des Wahlsonntags ist verflogen, jetzt müssen die Parteien Politik machen. Doch wie entsteht die neue Regierung der Türkei? Und was muss passieren, damit es Neuwahlen gibt? DTJ fasst den institutionellen Ablauf zusammen.

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Die Türkei und internationale Medien debattieren nicht nur über das Wahlergebnis, sondern spekulieren auch, wer die neue Regierung bilden wird. Die Suche nach Koalitionspartnern wird spannend, doch welche Schritte sind zu tun, bevor eine neue Regierung ihre Arbeit beginnen kann?

Bevor etwas im neuen Parlament entschieden wird, muss die Hohe Wahlkommission YSK erst nach der kompletten Auszählung der Stimmen das offizielle Endergebnis der Wahlen bekanntgeben, was bis zu 12 Tagen dauern kann. Der Rücktritt der alten Regierung – eine reine Routineprozedur – erfolgte bereits am Dienstag.

MHP und HDP kommen wohl auf die gleiche Anzahl an Sitzen

Es ist zu erwarten, dass die AKP nach den herben Verlusten bei den Parlamentswahlen nur noch auf 258 Abgeordnete kommt und damit die absolute Mehrheit um 18 Sitze verfehlt. Die größte Oppositionspartei CHP wird voraussichtlich 132 Sitze erhalten, während MHP und HDP jeweils 80 Abgeordnete werden entsenden können.

Nach Bekanntgabe des offiziellen Endergebnisses müssen die Abgeordneten der 25. Großen Nationalversammlung der Türkei, wie der Titel offiziell lauten wird, innerhalb von fünf Tagen vereidigt werden. Der Eid, den jeder Abgeordnete abzulegen verpflichtet ist, steht in §81 der Verfassung der Republik Türkei festgeschrieben und hat den folgenden Wortlaut:

„Ich schwöre vor der großen Türkischen Nation bei meiner Ehre und Würde, dass ich die Existenz und Unabhängigkeit des Staates, die unteilbare Einheit von Vaterland und Nation, die uneingeschränkte und bedingungslose Souveränität der Nation schützen werde; dass ich dem Primat des Rechts, der demokratischen und laizistischen Republik und den Prinzipien und Reformen Atatürks verbunden bleiben werde; dass ich von dem Ideal, wonach innerhalb des Geistes von Frieden und Heil der Gemeinschaft, nationaler Solidarität und Gerechtigkeit jedermann die Menschenrechte und Grundfreiheiten genieße, und von der Treue zur Verfassung nicht abweichen werde.“

Wahl des Parlamentspräsidenten

Es wird erwartet, dass dieser Vorgang bis zum 20. Juni abgeschlossen ist. Der nächste Schritt wird dann die geheime Wahl des Parlamentspräsidenten sein. Das Amt wird derzeit von Cemil Çiçek (AKP) bekleidet, die Wahl eines Nachfolgers wird allerdings die erste Hürde darstellen, da die AKP sich bei dessen Ernennung nicht wie in den letzten Jahren auf eine bequeme Mehrheit verlassen kann. In der ersten Runde wäre eine Zweidrittelmehrheit von 376 Sitzen notwendig, was angesichts der Mehrheitsverhältnisse unrealistisch erscheint. Auch die notwendige absolute Mehrheit von 276 Sitzen, die im zweiten Wahlgang notwendig ist, könnte schwer erreichbar werden, sodass ein dritter Wahlgang nicht unwahrscheinlich ist. In diesem würde dann eine einfache Mehrheit ausreichen, der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt also.

Hinter den Kulissen wird über den früheren CHP-Chef Deniz Baykal als neuen Parlamentspräsidenten spekuliert. Der 77-Jährige ist der dienstälteste Abgeordnete des türkischen Parlaments. Am Mittwochmittag soll ein Treffen zwischen Baykal und Präsident Erdoğan stattfinden, überraschenderweise allerdings nicht im Ak Saray. Die Initiative für das Treffen soll von Erdoğan ausgegangen sein, heißt es in den türkischen Medien.

Die schwerste Aufgabe kommt jedoch erst danach: Die Regierungsbildung. Dafür gibt es mit Blick auf die neue Sitzverteilung drei Optionen: Eine Minderheitsregierung, eine Koalitionsregierung sowie die Bildung einer Übergangsregierung bei Ausrufung von Neuwahlen.

Wann würde es Neuwahlen geben?

Als erstes gibt der Staatspräsident den Auftrag zur Regierungsbildung an die stärkste Partei im Parlament, also die AKP. Sollte Parteichef Davutoğlu nicht in der Lage sein, sich mit einer oder mehreren Parteien auf eine Koalition zu einigen, dann sieht es die parlamentarische Tradition vor, dass Staatspräsident Erdoğan das Zepter an die zweitstärkste Partei, in diesem Falle also die CHP, weiterreicht.

Falls es weder AKP noch CHP schaffen sollten, innerhalb von 45 Tagen eine Regierung zu bilden, so muss der Staatspräsident Neuwahlen ausrufen und innerhalb von fünf Tagen einen Premierminister ernennen. Dieser muss dann wiederum eine Übergangsregierung zusammenstellen, die aus Mitgliedern aller im Parlament vertretenen Parteien besteht und entsprechend der Anzahl von deren Abgeordneten zusammengesetzt ist. Diese muss dann noch durch ein Vertrauensvotum des Parlaments bestätigt werden, welches daraufhin aufgelöst wird. Der Wahlkampf würde daraufhin von vorne beginnen und die erneute Parlamentswahl wäre voraussichtlich im Oktober.