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Politik

Erdoğan löst sein Demokratieversprechen ein

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Recep Tayyip Erdoğan hat nach seiner Wahl zum Präsidenten angekündigt, dass er kein gewöhnlicher Präsident sein werde. Mit seiner aktiven Rolle im Wahlkampf beweist er, dass er Wort hält. Auch sein Demokratieversprechen hat er eingelöst.

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KOMMENTAR Können Sie sich noch an die Affäre um Christian Wulff und seinen Rücktritt im Februar 2012 erinnern? Was hatte dieser Mann nicht alles verbrochen, dass sich die Medien zu großen Teilen zurecht, aber zu vielleicht genauso großen Teilen auch aufgrund eines wohlfeilen Skandalhypes auf ihn stürzten. Man weiß nicht, was der türkische Präsident Erdoğan über den Fall denken mag. Allerdings hätte er allerlei Grund, Wulff entweder zu bemitleiden oder – und wahrscheinlich würden ihm das viele eher zutrauen – herzhaft darüber zu lachen, wegen welcher „Lappalien“ ein deutscher Bundespräsident so zurücktritt.

Doch beginnen wir am Anfang. Das Amt des türkischen Staatspräsidenten ist dem des Bundespräsidenten sehr ähnlich, er übernimmt eine Repräsentations-, keine Regierungsfunktion und hat dementsprechend keine nennenswerten exekutiven Befugnisse. Außerdem ist er, ebenso wie sein deutscher Amtskollege, formal zur Überparteilichkeit verpflichtet. Dass er keine Gelder aus der Staatskasse für die Zwecke einer politischen Partei und erst recht nicht für private Zwecke ausgeben darf, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, die an dieser Stelle gar nicht erst erwähnt werden muss. Mal ganz davon abgesehen, dass er natürlich als oberster Repräsentant des Staates die Verfassung achten und ihre grundlegendsten Werte wie Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Justiz, kurz die Rechtsstaatlichkeit, ehren und verteidigen sollte. Einem Staatspräsidenten vorzuwerfen, dass er die Verfassung und diese fundamentalen demokratischen Werte missachtet, sollte dementsprechend eine politische Anschuldigung höchsten Grades sein.

Wahlkommission gibt Erdoğan Rückendeckung gegen Beschwerden der HDP

Genau solche Anschuldigungen hat der Co-Vorsitzende der pro-kurdischen und links-liberalen HDP, Selahattin Demirtaş, letzte Woche jedoch erhoben, als er Erdoğan vorwarf, Staatsgelder auszugeben, um für die AKP zu werben. Mit Blick auf einen Auftritt des ehemaligen Ministerpräsidenten im Südosten der Türkei kritisierte Demirtaş: „Er geht dort hin, um für Stimmen für eine bestimmte Partei zu werben, die AKP. Und das tut er nicht mal heimlich. Er reist dabei mit einem Staatsflugzeug, gekauft von den Steuern, die wir bezahlen. […] Wir bezahlen sogar die Bühne, auf der er seine Reden hält. Und was tut er? Er benutzt Staatsvermögen, um Wahlwerbung für die AKP zu machen.“ Und was antwortet Erdoğan auf die Anschuldigung? „Fragen Sie, mit welchem Geld ich diese Kundgebungen abhalte? Ich halte sie mit Staatsgeldern ab. Das ist mein gesetzliches Recht.“

Ein Dementi klingt anders – ganz davon abgesehen, dass es eben nicht sein gesetzliches Recht ist, als Staatspräsident in einem Wahlkampf Partei zu ergreifen und das auf öffentlichen Veranstaltungen kundzutun. Die Veranstaltungen mögen zwar andere Namen tragen – offiziell handelt es sich meist um repräsentative Auftritte wie Eröffnungen von Messen, Studentenwohnheimen und dergleichen. Doch die Themen, über die er sich auslässt, die Statements, die er gibt, die Art, wie er redet, das alles lässt ihn aussehen, als wäre er noch Ministerpräsident und nicht überparteilicher Repräsentant der gesamten Republik. Auch sein Auftritt in Karlsruhe am Sonntag wird unter diesem Aspekt betrachtet.

Die HDP hat deshalb kürzlich bei der Wahlkommission eine Beschwerde wegen „offen begangener Verstöße gegen das Wahlrecht“ („seçim yasaklarını açıkça ihlal ettiği gerekçesiyle“) gegen Erdoğan eingereicht. Diese wurde daraufhin einstimmig und ohne Begründung zurückgewiesen, weshalb die HDP nun erwägt, mit dem Sachverhalt vor das Verfassungsgericht zu ziehen.

Demokratie als Mittel zur absoluten Macht?

Einst als demokratischer Reformer gefeiert, hat Erdoğan sein tatsächliches Demokratieverständnis in den letzten zwei Jahren bereits mehrfach klargemacht. Seit den 90er Jahren schon wird ihm vorgeworfen, nur ein Scheindemokrat zu sein. An ein Zitat aus diesen Jahren, das ihm seitdem vorgehalten wird, erinnern sich heute nicht mehr nur seine Erzfeinde: „Die Demokratie kann für uns nur ein Mittel sein, nie das Ziel“.

Man erinnere sich an seine Äußerungen während der Gezi-Proteste, dass Demokratie sich lediglich auf die Wahlurnen beschränke. Auch mit seinen Statements der letzten Wochen hat er unmissverständlich deutlich gemacht, wie wenig er von der Gewaltenteilung im parlamentarischen System hält, das er ja durch ein Präsidialsystem mit einer möglichst starken Exekutive ersetzen will. Betrachtet man dazu die Chuzpe, mit der er sich über die verfassungsrechtlichen Beschränkungen seines Amtes hinwegsetzt, versteht man, warum so vielen Zeitgenossen angst und bange wird, wenn sie sich einen Präsidenten Erdoğan in einem Präsidialsystem à la Turca vorstellen.

Dass er beispielsweise am 19. Januar als erster Präsident seit 14 Jahren eine Kabinettssitzung geleitet hat, widerspricht der Verfassung zwar nicht zwangsläufig. Laut Artikel 104 hat der Präsident formell das Recht dazu, wenn er es für notwendig erachtet. In Anspruch genommen werden sollte es laut der gängigen Rechtsauffassung in der Türkei jedoch nur in Krisen und Ausnahmesituationen. Die letzte vom Präsident geleitete Kabinettssitzung vor ihm fand beispielsweise während der schweren Wirtschaftskrise im Jahr 2000 statt. Die in seinem prunkvollen Präsidentenpalast Ak Saray gehaltene Sitzung mit allen Ministern und den Spitzen von Geheimdienst und Gendarmerie wurde dementsprechend auch von vielen als Demütigung seiner vermeintlichen Marionette Davutoğlu sowie als Zeichen seines absoluten Machtanspruchs verstanden.

Bereits im Wahlkampf um das Präsidentenamt hatte er angekündigt, kein „Präsident nach Protokoll“ sein zu wollen. Mittlerweile seit einem knappen Dreivierteljahr im Amt, hat er jedoch eine beachtliche Fülle an Verfassungsbrüchen angesammelt, die jeder für sich allein genommen eigentlich schon das Potential haben müssten, politische Skandale auszulösen. Ein bereits erwähntes Beispiel ist der Bruch des Gebots der politischen Neutralität entsprechend Artikel 101 der Verfassung der Republik Türkei. Dieser sieht vor, dass der gewählte Präsident nicht nur sein Parlamentsmandat aufgeben, sondern seine Beziehung zu einer etwaigen Partei, deren Mitglied er ist, beenden muss. Darüber hinaus sehen Experten wie der Juraprofessor und ehemalige Justizminister Hikmet Sami Türk Verstöße gegen weitere Verfassungsgrundsätze wie die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz. Einen der stichhaltigsten Belege dafür sehen Türk und andere Juristen in Erdoğans Verhalten bei der Verhaftungswelle gegen kritische Journalisten am 14. Dezember letzten Jahres, die mutmaßlich auf seine Anweisung hin erfolgt ist. So meinte Erdoğan zu den Verhaftungen schon lange vor einem juristischen Urteil: „Die kürzlich im Rahmen dieser Operation verhafteten Journalisten [Ekrem Dumanlı und Hidayet Karaca, Anm. d. Red.] gehören zu denen, die die Absicht verfolgen, eine illegale Struktur [gemeint ist der „Parallelstaat“, Anm. d. Red.] zu erschaffen, die nach außen legal aussieht… Vielleicht wird es zusammen mit ihnen noch andere Verhaftete geben, das kann passieren!“ Und kurz darauf ist eben das passiert.

Die ganze Affäre um den bereits erwähnten Präsidentenpalast Ak Saray, der illegal, weil ohne Baugenehmigung und entgegen eines gerichtlich verhängten Baustopps, mitten in einem Naturschutzgebiet ohne vorherige öffentliche Ausschreibungen gebaut wurde und seitdem immer wieder für die enormen Kosten, die er verursacht, kritisiert wird, ist da nur ein weiteres Puzzleteil im Bild von Erdoğans Rechtsverständnis und führt zurück zur Causa Wulff. Dessen Einfamilienhaus in Großburgwedel und seine etwas dubiose Finanzierung waren der Ausgangspunkt der Affäre, die mit Wulffs Rücktritt endete. Der Kredit für Wulffs Haus betrug übrigens eine halbe Million Euro, die Kosten des Ak Saray werden auf eine halbe Milliarde geschätzt. Für einen politischen Skandal muss man sich in der Türkei Tayyip Erdoğans anscheinend etwas mehr ins Zeug legen, als im Deutschland Christian Wulffs.