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Kolumnen

Sollten Moscheen Orte der Propaganda sein?

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Die Eskalation der Gewalt in der Türkei erreicht die Moscheen. Auch die Moscheen hier in Deutschland.

Eine Moschee in Berlin, letzter Freitag:

Der Imam hält die Freitagspredigt.

Zum Schluss bittet er Gott: „Oh Allah, bewahre die Einheit und den Zusammenhalt unserer Nation. Zerstöre die Pläne derjenigen, die unserem Land eine Falle stellen.“

Was damit gemeint ist, liegt auf der Hand. Vor fast zwei Wochen ging es los. Die PKK schmiss die Terrormaschine an. Der Staatspräsident erklärte den Friedensprozess für beendet. Türkische Militärflugzeuge begannen damit, Stellungen der PKK zu bombardieren. Im Gegenzug gab es wieder PKK-Angriffe aus dem Hinterhalt.

In dieser Situation bittet also der Imam Allah um Beistand für die Türkei – von Berlin aus.

Zum einen ist das verständlich. Predigten haben traditionell auch etwas Politisches an sich. Dort wurden auch schon Themen von politischem Belang im Namen der Machthaber an die Gemeinden verkündet. Zudem sind die meisten Betenden türkischstämmig.

Bomben Fortführung der Politik mit anderen Mitteln?

Andererseits habe ich mich während der Predigt gefragt:

Warum ist die Gewalt wieder eskaliert? Zuerst gab es den terroristischen Angriff auf Jugendliche in Suruç mit 32 Toten, der der Terror-Miliz IS zugeschrieben wurde. Danach wurden in Diyarbakır zwei Polizisten ermordet.

Die Terrororganisation PKK bekannte sich.

Warum wurde der Friedensprozess beendet? Es gab ja auch davor ähnliche Gewalttaten der PKK, wo eine solche Reaktion ausblieb. Ja, sogar kurz nach den Wahlen am 7. Juni hieß es, die Fortführung des Friedensprozesses mit der PKK sei eine rote Linie der AKP. Das heißt, die AKP würde bei den Koalitionsgesprächen davon nicht abrücken.

Warum dann diese plötzliche Wende? Warum diese Wut auf Selahattin Demirtaş, dem Co-Vorsitzenden der HDP? Hatte man denn nicht jahrelang nach Angriffen der PKK gesagt, die Kurden sollten die Waffen niederlegen und für ihre Ziele friedlich eintreten; mit anderen Worten: Politik machen? Wörtlich hieß es: Lasst die Waffen und kommt ins Parlament.

Keiner soll mir erzählen, dass der öffentliche Druck zu groß wurde. Das war er auch im Dezember 2013 in der Korruptionsaffäre – wie die AKP und Erdoğan damals reagierten, ist hinlänglich bekannt.

Jetzt hat die HDP doch 13 Prozent der Stimmen bekommen, ja viele davon sogar von Türken in anderen Teilen des Landes. Jetzt ist die Chance da, zu zeigen, dass der Weg der Politik offen ist, dass auf diesem Wege doch etwas erreicht werden kann!

Ist vielleicht der wahre Grund für die jüngste Eskalation der Umstand, dass der Erfolg der HDP die Pläne Erdoğans auf den Systemwechsel durchkreuzt hat? Ist die derzeitige Gewalt die Fortführung des Wahlkampfes mit anderen Mitteln? Leider sind diese Fragen naheliegend. In der alten Türkei wurde moniert, dass es keine fähigen Oppositionspolitiker gibt, in der ‚Neuen Türkei‘ soll es keine geben. Ein sympathischer Demirtaş ist eine Gefahr für die AKP, also muss er neutralisiert werden.

Das hat sie geschafft.

Das Gewissen sollte in Moscheen eine Chance haben

Offen gesagt: Eine dermaßen plumpe Propaganda in den Moscheen stört mich. Der Frieden in der Türkei ist ohne Zweifel ein hohes Gut, wie der Frieden überhaupt in jedem Land. Moscheen sollten aber nicht Orte sein, wo unhinterfragt Propaganda gemacht wird. Dafür gibt es andere Orte.

Ich hätte mir gewünscht, dass der Imam bei seiner Predigt auch an den Spruch erinnert hätte, der sowohl Atatürk als auch Omar, dem zweiten Kalifen, zugeschrieben wird: Gerechtigkeit ist die Basis des Eigentums. Ich hätte mir gewünscht, dass der Imam sich dessen bewusst gewesen wäre, dass wir vor einem komplizierten Problem stehen, dass die Verteilung der Rollen ‚Hier die Guten; dort die Bösen‘ so klar nicht ist.

Ohne diese Einsicht Gott auf Beistand für die eigene Sache zu bitten hieße wohl, Gott für parteiisch zu halten. Und das glaube ich kaum.

Unsere Moscheen sollten Orte sein, wo Einkehr eine Chance hat, die Stimme des Gewissens an die Oberfläche dringen kann. Sonst werden sie Orte der Trennung sein.