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Politik

Erdoğans gefährliches Spiel mit der politischen Ordnung

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Lange hielt das Militär die politische Vormundschaft im türkischen Staate inne. Unter der AKP-Regierung konnte der Einfluss der Generäle zurückgedrängt werden. Doch damit einhergehend erstarkte die Vormundschaft des politischen Islam.(Foto: zaman)

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Die alte Vormundschaft durch das Militär wird durch eine neue Vormundschaft des Geheimdienstes der Türkei abgelöst.
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ANALYSE Es scheint leider so, als gehörten autoritäre Regime zum Schicksal des Nahen Ostens. Trotz ihrer demokratischeren Geschichte ist die Situation in der Türkei auch nicht vollkommen anders. Obwohl die Türkei nach mehreren Militärputschen mittlerweile die Vormundschaft des Militärs bis zu einem bestimmten Grad zurückdrängen konnte, steht sie nun vor einer neuen Herausforderung: Der Vormundschaft des politischen Islam.

Die Zahl der Militärputsche in der Türkei ist so hoch wie in Ländern Lateinamerikas, Afrikas oder des Nahen Ostens. Die demokratische Kultur zeigt sich zwar zum Teil in Form von freien Wahlen, doch versuchte bisher jede Regierung von den undemokratischen Lücken im System Nutzen zu ziehen. Das zeigt sich auch daran, dass eine bestimmte Gruppe als „die Anderen“ konstruiert wird.  Das gemeinsame Merkmal aller Machthaber war es bisher, dem Staat eine Heiligkeit zuzuschreiben, die staatliche Macht als Existens- und Nahrungsquelle für ihre Macht zu missbrauchen und über den politischen Druck auf die als „die Anderen“ definierte Gruppe ihre eigene Existenz zu konsolidieren.

Das Problem liegt in den Anfangsjahren der Türkischen Republik

Dass sich jede Regierung reflexartig hegemonialen Herrschaftsmodellen bedient, ist auf das repressive Staatsmodell aus der Entstehungszeit der türkischen Republik   zurückzuführen. Der institutionelle Rahmen, der durch ein monolithisches Zentralstaatssystem – dem Nationalstaat – und einer Staatspartei gekennzeichnet ist, hatte das Ziel verschiedene Ethnien und religiöse Gruppen zusammenzuhalten. Wenn nötig über Assimilationsmaßnahmen.

Auf das Einparteiensystem folgte zwar nach der Einführung des Mehrparteiensystems in den 1950er Jahren eine verhältnismäßig demokratische politische Ordnung. Doch die Tendenz des Staates zur Vormundschaft konnte sich aufgrund der noch unreifen Demokratie nicht gänzlich auflösen. Diese Vormundschaft zeigte sich in Form von systeminternen Eingriffen der Militärs mit harter Hand in das politische Geschehen. Und das etwa alle zehn Jahre. Das Opfer dieser Intervention war immer eine Gruppe, die von den herrschenden Klasse als „die Anderen“ stigmatisiert wurde.

Der Druck des Militärs war bis vor wenigen Jahren sowohl zu Zeiten linker als auch rechter Regierungen vielleicht das einzige Kontinuum des politischen Systems der Türkei. Die Vormundschaft dieser Phase könnte aufgrund ihrer Charakteristika als eine „kemalistische Vormundschaft“ bezeichnet werden. Diese versuchte die Aleviten, Kurden und die religös-konvservativen Gruppen zu kontrollieren. Ein Teil der Kurden hat besonders in den 1990er Jahren unter der Führung der PKK das bestehende System militärisch herauszufordern versucht. Die Religiös-Konservativen versuchten ihre Existenz unter der Führung Necmettin Erbakans und unter der Schirmherrschaft der Milli Görüş-Bewegung Ausdruck zu verleihen.

Politischer Islam löst kemalistische Vormundschaft ab 

Dieser Ansatz wurde aber am 28. Februar 1997 mit dem sogenannten postmodernen Putsch durch die kemalistische Vormundschaft zum Schweigen gebracht. Die Religiös-Konservativen forderten das kemalistische Establishment zum zweiten Mal unter dem Dach der Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung; AKP) heraus. Die AKP-Regierung, die in ihren drei Regierungsperioden das Militär teilweise von der politischen Bühne verdrängte, dominiert besonders in der dritten Amtszeit fast alle staatlichen Elemente und baut eine neue Vormundschaft, die man als „Vormundschaft des politischen Islam“ bezeichnen kann, auf.

Hinter der Macht des kemalistischen Establishments stand das Militär. Der politische Islam hingegen sieht den türkischen Geheimdienst Millî İstihbarat Teşkilâtı (MİT) als seine Machtstütze und rüstet deswegen den Geheimdienst mit einem wehrhaften Schild aus.

In entwickelten Demokratien kontrollieren verschiedene Geheimdiensteinheiten sich gegenseitig, damit das System einwandfrei und gesund funktioniert. Ausgehend davon kann in zerbrechlichen und empfindlichen Demokratien, wie die der Türkei, die Machtkonzentration in der Hand nur eines Geheimdienstes sehr gefährlich werden.

Alte Vormundschafts-Strukturen formieren sich in der AKP neu

Ich glaube nicht, dass die Vormundschaft des politischen Islam bereits so mächtig und so nachhaltig ist, wie früher die der Kemalisten. Es gibt jedoch keine Garantie dafür, dass das kemalistische Establishment, das sich jahrzehntelang in den Lücken des politischen Systems seinen Platz sicherte, sich nun der AKP zuwendet. Dies könnte zur Folge haben, dass sich die ehemalige Strukturen des sog. Tiefen Staates in der AKP neu formieren könnte. Die Tatsache, das wichtige Persönlichkeiten des alten Vormundschaftsregimes nun die AKP unterstützen, berechtigt diese Sorge.

Dieses gefährliche Spiel gibt den Anschein, dass sich die Diskussion um die Vormundschaft noch eine Weile fortsetzen wird und dem Fortschritt der Türkei im Wege stehen wird. Der Rausch des Sieges scheint die Verteidiger des politischen Islam zu blenden.

Halil Bilecan ist Doktorant an der Universität Houston /USA und der Artikel ist am 12.07.2014 in der Tageszeitung Zaman erschienen.