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Politik

Die Türkei zwischen den Stühlen: Saudi-Arabien buhlt um Erdoğan

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Die Regierung in Riad startet zurzeit eine Charmeoffensive in Richtung Ankara. Skeptiker befürchten, Saudi-Arabien könnte dabei Hintergedanken haben. Die Türkei droht dadurch in einen konfessionellen Konflikt mit dem Iran gezogen zu werden.

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat seine Reise nach Mekka in der Zeit zwischen dem 28. Februar und dem 2. März genutzt, um mit dem im Januar gekrönten neuen König von Saudi-Arabien, Salman bin Abdul-Aziz Al Saud, zusammenzutreffen. Bei der Zusammenkunft der beiden Staatsführer ging es vor allem um die bilateralen Beziehungen und die künftige Unterstützung der syrischen Opposition.

Sollte es dieser gelingen, im bürgerkriegsgeschüttelten Syrien die Regierung des Präsidenten Baschar al-Assad zu stürzen, würde das politische Kalkül beider Staaten aufgehen. Entsprechend sagte König Salman zu, die Türkei mit ihrer Forderung nach einer Flugverbotszone über Syrien zu unterstützen.

Beobachter waren im Vorfeld des Besuches in Saudi-Arabien davon ausgegangen, dass sich durch Vermittlung Riads mittelfristig auch das Verhältnis zwischen Ankara und Kairo bessern könne. Jedoch sparten Salman und Erdoğan dieses spannungsgeladene Thema im Zuge der offiziellen Erklärungen im Anschluss an ihr Treffen aus. Die beiden Regierungen verfolgen in Bezug auf die aktuelle Führung in Kairo eine gegensätzliche Politik: Riad sieht im aktuellen Machthaber Abd al-Fattah al-Sisi einen Verbündeten, wohingegen Ankara den durch einen Militärputsch entmachteten ehemaligen Präsidenten Mohammad Mursi und die Muslimbruderschaft unterstützt.

Erdoğan: „Ägypten soll Beziehungen nicht belasten“

Der türkische Präsident betonte auf Nachfrage, dass es vorerst kein Treffen seinerseits mit al-Sisi geben werde. „Damit dies passiert, müssen erst ernsthafte, positive Schritte erfolgen“, so Erdoğan. Allerdings würden die Meinungsdifferenzen in der Haltung gegenüber Ägypten das türkisch-saudische Verhältnis nicht belasten. „Wir müssen die Ägypten-Frage separat behandeln, denn es soll keinerlei Schatten auf unsere Beziehungen zu Saudi-Arabien werfen“, betonte der türkische Präsident. Natürlich, so Erdoğan, wolle Saudi-Arabien eine Verständigung der Türkei mit Ägypten auf hoher Ebene erreichen. Die Saudis würden die Türkei diesbezüglich jedoch nicht bedrängen.

Der Charmeoffensive Riads scheint jedoch neben den gemeinsamen Interessen in der Syrienfrage und der beiderseitigen Bedrohung durch die Terrormiliz IS vor allem ein weiterer Hintergedanke zu Grunde zu liegen: das Streben, einem weiteren Machtzuwachs des Iran in der Region einen Riegel vorzuschieben.

Der Iran gewinnt in der gesamten Region an wirtschaftlicher, politischer und militärischer Bedeutung – eine Entwicklung, die von den Regionalmächten Türkei und Saudi-Arabien mit Misstrauen verfolgt wird. Nachdem im Jemen die Machtergreifung seitens der proiranischen Huthi-Miliz stattgefunden hat, schrillen in Riad mehr denn je die Alarmglocken. Sowohl für Saudi-Arabien als auch für die Türkei besteht darüber hinaus noch die Gefahr, stärker in die zunehmend konfessionell aufgeladenen Konflikte den Nachbarregionen hineingezogen zu werden. Mit unabsehbaren Folgen auf die innenpolitische Lage.

Türkei: Gute Beziehungen zum Iran stehen auf dem Spiel

Die türkisch-iranischen Beziehungen haben sich unter der AKP-Regierung verbessert. Auch wenn es immer wieder Rivalitäten, bedingt durch die Überlappung der jeweiligen Interessenssphären, gab und gibt, kann man nicht von einem offenen Interessenkonflikt sprechen. Ein Zeichen hierfür ist auch die Tatsache, dass es seit 1639 keinen Konflikt mehr an der türkisch-iranischen Grenze gab. Zudem pflegte Ankara auch in Zeiten der internationalen Isolation des Iran stets ein konstruktives Verhältnis zu Teheran.

Nun droht die Türkei jedoch zur Partei eines Konfliktes zu werden, der von Riad sowie von Teheran als ein Kampf zwischen einem „sunnitischen Block“ gegen den „schiitischen Halbmond“ interpretiert wird. Erste Anzeichen für eine Übernahme iranfeindlicher Rhetorik zeigen sich bereits in der türkischen Medienlandschaft. Die regierungsnahe türkische Zeitung Yeni Şafak wirft dem Iran beispielsweise vor, er verwende „massive Ressourcen darauf, muslimisches Blut zu vergießen und muslimische Länder zu destabilisieren.“

Gegenüber Al-Monitor äußerte der bekannte Publizist Murat Yekin, es würde der Türkei massiv schaden, den Sirenenklängen aus Riad zu folgen. Wenn sich die Saudi-Dynastie belagert fühle, sei das deren eigenes Problem. Einzig die USA und Israel würden zumindest mittelbar aus der Bildung eines „sunnitischen Blocks“ und der damit verbundenen Stärkung der konfessionellen Interpretation bestehender Unstimmigkeiten profitieren. Als Grund nannte Yekin, dass sich dieser Block als Druckmittel in den Nuklearverhandlungen mit Teheran instrumentalisieren ließe.

Des weiteren habe ihre Syrienpolitik der Türkei schon mehr Schaden als Nutzen eingebracht. Die sunnitisch-schiitische Polarisierung in der Region noch weiter zu fördern, würde nur noch mehr Gewalt und mehr Tote bewirken. Zudem drohe sich der Konflikt in den Nachbarländern auf türkischem Boden fortzusetzen.

Die Türkei würde dabei mehr verlieren als sie je gewinnen könnte. Zumal die Chancen, die USA davon zu überzeugen, die Mission der Anti-IS-Koalition auf einen Regierungswechsel in Damaskus auszuweiten, gering seien.

Türkei, Saudi-Arabien und die Muslimbruderschaft

HINTERGRUND Saudi-Arabien wird in der Türkei in erster Linie mit unpolitischen Aspekten wie der islamischen Pilgerfahrt und dem Ölpreis in Verbindung gebracht. Die Syrienfrage ist einer der wenigen politischen Bereiche, bei dem die türkischen mit den saudischen Interessen übereinstimmen. Der Terrorismus des „Islamischen Staates“, der mittlerweile beide Länder selbst zu bedrohen beginnt, und die ablehnende Haltung gegenüber des Assad-Regimes verbindet Riad und Ankara seit Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges.

Darüber hinaus sind die Interessen nicht immer deckungsgleich. Insbesondere die Frage nach der Haltung gegenüber der im arabischen Raum vertretenen Muslimbruderschaft sorgte für massive Differenzen. Für Riad stellen die aus seiner Sicht pluralistischen und zivilen Werte der Muslimbruderschaft eine Gefahr für das eigene autoritäre Herrschaftssystem dar, die türkische Regierung unterstützt die Bewegung.

Die saudische Führung hält die einflussreiche Bruderschaft für eine revolutionäre Kraft, die Veränderungen in muslimische Gesellschaften bringen will, welche den Vorstellungen des saudischen Königshauses zuwiderlaufen. Stehen in Saudi-Arabien Familienloyalitäten im Vordergrund, wenn es um die Beteiligung an Macht und Einfluss geht, will die Muslimbruderschaft nach eigenen Angaben im Wege eines Prozesses die soziale Durchlässigkeit stärken und alle gesellschaftlichen Gruppen an der Macht beteiligen.

Diese Idee wirkt sich in Saudi-Arabien vor allem auf all jene aus, die keine Verwandtschaftsbeziehungen zur saudischen Herrscherfamilie aufweisen – und stellt daher eine fundamentale Bedrohung für den Status Quo in der Monarchie dar. Riad unterstützt daher den ägyptischen Präsidenten Abd al-Fattah al-Sisi, weil dieser massiv gegen die Muslimbrüder vorgeht.

AKP, Milli-Görüş-Bewegung und die Muslimbruderschaft

Die ideologische Verflechtung der AKP mit der Muslimbruderschaft reicht in die Zeit lange vor der Gründung der Erdoğan-Partei zurück. In den 1970er Jahren gewann die Milli-Görüş-Bewegung („Nationale Sicht“) unter der Führung Necmettin Erbakans an politischer Bedeutung. Vorbild für Erbakan war die Muslimbruderschaft, mit welcher er in engem Kontakt stand. Die Muslimbruderschaft hat sich in der Türkei nicht organisiert, weil sie in der Milli-Görüş-Bewegung eine Vereinigung von Gesinnungsgenossen sah. Die Bewegung war in der türkischen Politik immer mit einer eigenen Partei vertreten. Die „Wohlfahrtspartei“ (Refah Partisi) zum beispiel setzte auch auf Unterstützer und Berater aus Ägypten und Tunesien. Im Jahr 1996 wurde Erbakan erstmals zum Premierminister gewählt, ehe er am 28. Februar 1997 durch ein Memorandum der Militärs aus dem Amt gedrängt wurde.

In den ersten Regierungsjahren hat die AKP in regionalen Konflikten eine Vermittlerrolle eingenommen und sich davon distanziert, für bestimmte Gruppen Position zu beziehen. Mit dem sog. Arabischen Frühling jedoch hat ihre Außenpolitik zunehmend an Gleichgewicht verloren. Eine der Folgen ist die Unterstützung der Mulsimbruderschaft im inner-ägyptischen Machtkampf, den al-Sisi für sich entscheiden konnte. Er kann unter anderem auf die Unterstützung Riads zählen.

Die Konsequenz aus diesem Interessensgegensatz ist, dass die Türkei und Saudi-Arabien insbesondere mit Blick Ägypten unterschiedliche Prioritäten und Interessen entwickelt haben.

Mittlerweile scheint jedoch auch an dieser Front Bewegung zu entstehen. Saudi-Arabiens Außenminister erklärte kurz nach Salmans Antritt seiner Regentschaft in einem Exklusivinterview, dass die regierende Saud-Familie „kein Problem mit der Muslimbruderschaft“ habe. Vielmehr möchte man künftig toleranter mit der in der gesamten Islamischen Welt einflussreichen Bewegung umgehen. Dies wird von Beobachtern auch als eine deutiliche Botschaft der Versöhnlichkeit in Richtung Türkei gewertet.