Politik
„Sie gründen ihr eigenes Baath-Regime“
Im Ausnahmezustand hat die türkische Regierung zahlreiche kritische Medien schließen lassen. Eine der wenigen verbliebenen kritischen Stimmen ist die „Cumhuriyet“ – bislang. Nun werden ihr Chefredakteur und zahlreiche Mitarbeiter festgenommen.
Nach der Schließung zahlreicher kritischer Medien gehen die türkischen Behörden nun gegen die wichtigste verbliebene Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ vor: Chefredakteur Murat Sabuncu und vier weitere Journalisten wurden am Montag festgenommen, wie die Zeitung berichtete. Die Staatsanwaltschaft habe die Festnahme von insgesamt 14 Mitarbeitern des Blattes angeordnet. Darunter sei der Vorstandsvorsitzende Akın Atalay. Außerdem sei Ex-Chefredakteur Can Dündar, der sich in Deutschland aufhält, zur Fahndung ausgeschrieben worden. Dündars Haus in Istanbul sei durchsucht worden.
Nach der von „Cumhuriyet“ veröffentlichten Mitteilung der Staatsanwaltschaft wirft diese der Zeitung vor, die PKK und die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen unterstützt zu haben. Die Regierung beschuldigt Gülen, für den Putschversuch gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan Mitte Juli verantwortlich zu sein. In der Türkei ist Gülens Bewegung – wie auch die PKK – als Terrororganisation eingestuft. Wenn jemandem vorgeworfen wird, sie zu unterstützen, kommt das in den meisten Fällen einem Todesurteil gleich.
Selbst Kolumnist Hizmet Çetinkaya, der als entschiedener Gegner der Gülen-Bewegung gilt, wurde unter dem Vorwurf festgenommen, er sei ein Anhänger des Predigers.
„Der Putsch gegen die Demokratie hat unsere Zeitung erreicht“
„Cumhuriyet“ schrieb: „Der Putsch gegen die Demokratie hat die Zeitung „Cumhuriyet“ erreicht.“ Die Zeitung war erst im September mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden. Die Right Livelihood Award Stiftung hatte zur Begründung mitgeteilt: „Zu einer Zeit, in der die Meinungsfreiheit in der Türkei zunehmend bedroht ist, beweist die „Cumhuriyet“, dass die Stimme der Demokratie nicht zum Schweigen gebracht werden kann.“
„Cumhuriyet“ berichtete, die Staatsanwaltschaft habe beschlossen, dass den Festgenommenen fünf Tage lang der Kontakt zu Anwälten untersagt werde. Nach den derzeit in der Türkei geltenden Notstandsdekreten kann auf Beschluss der Staatsanwaltschaft die ersten fünf Tage nach der Festnahme der Kontakt zum Anwalt verwehrt werden. Verdächtige müssen außerdem erst nach 30 statt bislang vier Tagen in Polizeigewahrsam einem Haftrichter vorgeführt werden.
Der türkische Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu rief am Montag bei der Zeitung an. Er kündigte nach Angaben des Blattes an: „Wir werden gemeinsam kämpfen.“ Erst am Sonntag hatte er schwere Vorwürfe gegen die AKP erhoben. Erdoğan und sie gründeten ihr eigenes Baath-Regime, das auf Unterdrückung und Radikalismus fuße. „Baath“ steht für eine antidemokratische Staatsideologie, die sich ab den 1950er Jahren in der arabischen Welt entwickelte und heute vor allem noch in Syrien tragend ist.
Keine Wahlen mehr an den Universitäten
Das Parlament sei nicht mehr funktionsfähig, die Universitäten zum Hinterhof degradiert worden. Zuletzt wurde per Notstandsdekret beschlossen, dass die Rektoren nunmehr nicht gewählt, sondern direkt von Erdoğan bestimmt werden.
Ex-Chefredakteur Dündar und der Hauptstadt-Büroleiter des Blattes, Erdem Gül, waren im vergangenen November nach brisanten Enthüllungen der Zeitung festgenommen worden. Im Mai waren sie zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Dündar kündigte anschließend bei einer Europareise an, zunächst nicht in die Türkei zurückzukehren, und trat als Chefredakteur zurück. Er schreibt aber weiter für das Blatt.
Gegen Dündar und Gül ist noch ein weiteres Verfahren wegen Unterstützung einer Terrororganisation anhängig. Die nächste Verhandlung in diesem Fall ist für den 16. November angesetzt.
Seit der Verhängung des Ausnahmezustands im Juli hat die Regierung zahlreiche kritische Medien schließen lassen. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten.