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Politik

Türkei: Wachstum bricht ein – was bedeutet das für das Wählerverhalten?

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Erstmals seit 2009 ist die türkische Wirtschaft geschrumpft. Der Boom der vergangenen Jahre war das Aushängeschild der Regierungspartei AKP unter Präsident Erdoğan. Rufe nach politischem Wechsel werden vermutlich trotzdem ausbleiben.

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Von Carolina Drüten

Im dritten Quartal 2016 ist die türkische Wirtschaft zum ersten Mal seit sieben Jahren nicht gewachsen, sondern geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging um 1,8% zurück, teilte das türkische Statistik-Institut mit. Diese Entwicklung ist auf den gescheiterten Putschversuch im Juli und die schwache türkische Lira zurückzuführen. Investoren ziehen sich, abgeschreckt durch die unsichere politische Lage, vermehrt zurück, Touristen meiden die Türkei.

Noch vor einigen Jahren war die Lage eine ganz andere. Seit die AKP 2002 zur Regierungspartei gewählt worden war, stieß sie eine Reihe wirtschaftlicher Reformen an und initiierte Infrastrukturprojekte. Mit Erfolg: Die türkische Wirtschaft florierte und lockte ausländische Investoren ins Land. Allein bis 2008 wuchs das BIP um mehr als das Dreifache. Der Kurs der AKP stieß auf breite Zustimmung – die Partei war zu einem Symbol für Wohlstandsgewinn geworden.

Türkisches Wählerverhalten: Bei Krise Wechsel

Könnte also der wirtschaftliche Abschwung, der von längerer Dauer zu sein scheint, zu so großer Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung führen, dass es zu einem politischen Wechsel kommt?

Möglich sei das, erklärt Cenk Sidar, in den USA ansässiger Berater für Politik- und Wirtschaftsfragen der kemalistischen Oppositionspartei CHP. „Die Türkei hat historisch immer dann für politischen Wechsel gestimmt, wenn es dem Land wirtschaftlich schlecht ging“, sagte er im Rahmen einer Veranstaltung des Londoner Zentrums für Türkeistudien im Oktober. Als Beispiele nannte er die Wahlen der Jahre 1950, 1973, 1995 und 2002. „Wenn die Menschen an den Punkt kommen, an dem sie sich keine Lebensmittel mehr leisten und ihre Miete nicht bezahlen können, werden ihnen Terrorismus-Verschwörungstheorien egal sein.“

Die nächsten Parlamentswahlen in der Türkei finden jedoch erst 2019 statt. In den drei verbleibenden Jahren kann viel passieren, besonders vor dem Hintergrund, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan ein Präsidialsystem mit sich selbst an der Spitze einführen will.

Auch fehlt dem Land eine starke politische Alternative, räumt Sidar ein. „Die Opposition muss an sich arbeiten.“ Doch das ist im Moment nicht leicht. Rücksichtslos beseitigt Erdoğan all jene, die sich ihm in den Weg stellen. Vor wenigen Tagen erst waren zahlreiche Abgeordnete der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP wegen Terrorvorwürfen festgenommen worden.

Erdoğans Strategie ging 2015 auf – auch jetzt?

Gerade in Zeiten politischer Instabilität positioniert sich der türkische Präsident als Garant für Sicherheit. Damit hatte bereits die AKP im Vorfeld der 2015 wiederholten Parlamentswahlen erfolgreich um Stimmen geworben und die absolute Mehrheit zurückgewonnen. Mit dem gleichen Konzept wollen Regierung und Erdoğan die Wähler nun vom Präsidialsystem überzeugen.

Probleme, ob wirtschaftlicher oder politischer Natur, sucht der Präsident nicht bei sich selbst, sondern lastet sie feindlichen Mächten im Ausland an. Wie lange es ihm damit gelingen wird, sein Volk von den Missentwicklungen in der Türkei abzulenken, bleibt ungewiss. Im Moment klappt es jedenfalls ganz gut.