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Bildung & Forschung

Türkin mit 1,0-Abitur: „Danke an alle, die mir das Leben schwer gemacht haben“

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Die gebürtige Bremerin Hüdanur Bayraktaroğlu hat ihr Abitur mit 1,0 abgeschlossen und will nun Kinderärztin werden. Sie bedankt sich bei all jenen, die ihr das Leben erschwert hätten. Denn die Hindernisse hätten sie nur stärker gemacht.

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Die Bremerin Hüdanur Bayraktaroğlu steht mit ihrem Abitur-Zeugnis vor der Kamera.
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Die 19-jährige Hüdanur Bayraktaroğlu, gebürtige Bremerin, stammt aus einer türkischen Familie und ist von vier Kindern das älteste. Sie schloss im Juni die Schule mit dem Abitur ab – als beste Schülerin der Gesamtschule Bremen-Ost. Bereits die zehnte Klasse beendete sie mit einer Glanzleistung und wurde mit einem 1,1-Notendurchschnitt die Jahrgangsbeste. Ihrem Kindheitstraum, Kinderärztin zu werden, ist die erfolgreiche Schülerin heute, knapp sechs Wochen nach ihrem 1,0-Abitur, schon einen Schritt näher: ein für Medizin-Studenten obligatorisches Praktikum in einem Krankenhaus ist sie bereits angetreten.

Ähnlich wie Hüdanur haben rund 450.000 Abiturientinnen und Abiturienten ihr Ergebnis erhalten. Allerdings ist die landesweite Erfolgsquote bei weitem nicht so gut, wie bei Hüdanur. Wir haben nach den Gründen gefragt und unterhielten uns mit Hüdanur über ihre Motivation, ihren Erfolgsplan sowie ihre Schulzeit und ihre weiteren Ziele.

Wir haben uns sagen lassen, dass Du auch in der zehnten Klasse sehr erfolgreich warst. Nun hast Du auch das Abitur mit 1,0 absolviert. Warst Du schon immer so erfolgreich in der Schule?

Schon immer war ich eine gute und fleißige Schülerin, aber so erfolgreich, wie ich jetzt bin, war ich nicht. Das Blatt hat sich für mich in der vierten Klasse gewendet, als mir meine Lehrer keine Empfehlung fürs Gymnasium gegeben haben, weil ich ihren Begründungen zufolge sprachlich nicht reif genug war. Nach diesem Ereignis setzte ich mir selber zum Ziel, meine schulischen Leistungen mit Motivation, Disziplin und Ehrgeiz zu verbessern. Im Jahr 2012 wurde ich dann schließlich mit einem Schnitt von 1,1 zum Jahrgangsbesten in der 10. Klasse und dieses Jahr beste Schülerin im Abitur.

Wie hast Du das geschafft?

Ich las und lese viele Bücher, machte fleißig meine Hausaufgaben und recherchierte tagelang Themen, die ich nicht auf Anhieb verstand. Im Unterricht stellte ich lieber eine Frage zu viel und machte mir seitenlange Notizen. Darüber hinaus übernahm ich freiwillige Aufgaben und Referate und gab sehr vielen Schülern besonders in den Fächern Englisch und Mathe Nachhilfe. Damit schlug ich zwei Fliegen mit einer Klappe: Ich lernte nicht nur mich selber zu organisieren, Themen besser und mit eigenen Worten zu erklären, sondern auch mein Wissen an andere Schüler und Schülerinnen weiterzugeben. So lautete mein konkreter Erfolgsplan.

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In vielen Fällen hören wir, dass SchülerInnen mit ausländischem Hintergrund sowohl in der Schule als auch außerorts diskriminiert werden. Du trägst ein Kopftuch. Hast Du Dich jemals diskriminiert gefühlt? 

Es gab viele Ereignisse, bei denen ich mich aufgrund meiner Herkunft und Religion diskriminiert gefühlt habe. Natürlich gab mir Allah die Kraft. Zudem haben mir meine Familie und Freunde geholfen, die Steine, die mir in den Weg gelegt wurden, wegzuräumen und die Hindernisse während meiner Schulzeit zu überwinden. Deshalb bin ich ihnen sehr dankbar. Ich danke aber auch all jenen, die mir das Leben schwer gemacht und mich dadurch gestärkt und zu dem gemacht haben, was ich jetzt bin.

Kannst du über einen konkreten Fall sprechen?

Nein, ich möchte keinen konkreten Fall schildern. Aber mal ehrlich, reichen denn manchmal keine Worte und Gesten aus, um zu wissen, dass man ungerecht behandelt, benachteiligt und diskriminiert wird?

Kann man denn sagen, dass Deine Motivationsquelle nicht nur der Ehrgeiz zum Erfolg, sondern auch eine Reaktion auf die Diskriminierung war und ist? 

Unter anderem ja. Ich wollte allen zeigen, dass Türken nicht nur Arbeiter werden müssen. Die Quelle meiner Motivation waren also die Vorurteile der Menschen und der Glaube meiner Familie, dass ich alles schaffen kann, was ich mir zum Ziel gesetzt habe.

Wie hat Dich Deine Familie genau unterstützt?

Meine Familie gab mir während meiner gesamten Schulzeit unglaublich viel Rückhalt. Sie unterstützte mich nicht nur mit lieben Worten, sondern auch mit guten Ratschlägen. Dafür bin ich ihr sehr dankbar!

Wie haben Deine Familie und Dein Bekanntenkreis auf Deine Erfolge reagiert?

Meine Eltern sind sehr stolz auf mich und meine Geschwister sowie viele andere junge Menschen im Bekanntenkreis nehmen mich als Vorbild. Das empfinde ich als sehr interessant.

Hast Du besondere Auszeichnungen erhalten?

Ja, das Bremer Rathaus hat mich und andere SchülerInnen ins Bremer Rathaus eingeladen und ausgezeichnet. Bisher wurde ich nicht vom Staat gefördert. Für die Zukunft kann ich das auch nicht genau sagen. Meine Schule hat mich und zwei weitere Schüler für ein Stipendium empfohlen. Ob ich eine Zusage bekomme, ist nicht sicher. Wenn ich aber eine Zusage bekomme, werde ich höchstwahrscheinlich ab Studiumbeginn gefördert.

Du willst Kinderärztin werden. An welche Uni soll es denn gehen?

Ich habe mich an mehreren Universitäten, darunter auch an der Charité und der Medizinischen Hochschule Hannover, beworben. Es sollten unbedingt die besten in Deutschland sein. Später würde ich auch ein Studium im Ausland für ein oder zwei Auslandssemester antreten.

Was hat es mit Deinem derzeitigen Praktikum auf sich?

Zurzeit mache ich im Krankenhaus ein für das Studium wichtiges 90-tägiges Pflegepraktikum, das ich unbedingt vor Beginn des Studiums absolvieren möchte, da ich bis zum Studiumbeginn genug Zeit und Motivation habe. Es soll mich aber auch auf das Studium vorbereiten und mir einen Einblick in den ärztlichen Alltag geben, damit ich mich vorab mit einer ärztlichen Einrichtung vertraut mache und einen besseren Einblick in den ärztlichen Alltag bekomme.