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Politik

„Türkische Medien sollen Rechtsschutzverfahren anstrengen“

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Im Streit um die Journalistenakkreditierung zum NSU-Prozess verweist Prof. Dr. Fricke auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die eine „Pool-Lösung“ für zulässig halten. Diese wäre auch für das OLG München eine Alternative. (Foto: dpa)

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„Türkische Medien sollen Rechtsschutzverfahren anstrengen“
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Die Diskussionen um die faktische Aussperrung ausländischer Medien vom Prozessgeschehen im Zusammenhang mit der bevorstehenden Hauptverhandlung gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer reißen nicht ab.

Prof. Dr. Ernst Fricke von der Universität Eichstätt stand dem DTJ in diesem Zusammenhang für ein Interview zur Verfügung. Er sieht einen möglichen Weg, möglicherweise doch noch eine Änderung des Akkreditierungsverfahrens zu erzwingen.

Was halten Sie vom Akkreditierungsverfahren des OLG München, das nach der Anmeldungsreihenfolge von Journalisten durchgeführt wurde?

Die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens gehört zu den grundlegenden Einrichtungen eines Rechtsstaates. Darüber hinaus garantiert auch Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention ausdrücklich den Anspruch auf ein öffentliches Gerichtsverfahren. Die Öffentlichkeitsmaxime dient heute ganz überwiegend dem Informationsinteresse der Allgemeinheit. Heute wird die Öffentlichkeit durch die Medien hergestellt und repräsentiert.

Arbeitsbeschränkungen, die aus einem besonders großen Interesse der Öffentlichkeit und fehlender Raumkapazität herrühren, müssen die Medien hinnehmen. Insoweit ist es grundsätzlich ausreichend, wenn eine größere Anzahl von Journalisten, nicht aber alle Pressevertreter die Verhandlung verfolgen können.

Wenn der Platz nicht ausreicht, können die Gerichte den Zugang z. B. durch Eintrittskarten reglementieren. Sie können aber auch eine sinnvolle, d.h. auf größtmögliche Information der Öffentlichkeit gerichtete Auswahl unter den Medienvertretern treffen, indem sie beispielsweise für den Fall, dass die Nachfrage von Journalisten die Anzahl der Plätze bei weitem übersteigt, mehrere „Töpfe“ bilden, einen für die regionale Presse, einen für die überregionale Presse, einen für Rundfunk und Fernsehen und im vorliegenden Fall einen „Topf“ für ausländische Medienvertreter.

Nachdem acht der zehn NSU-Mordopfer einen türkischen Hintergrund hatten, hätte bei der Akkreditierung berücksichtigt werden müssen, dass das angewandte „Wer-zuerst-kommt-Prinzip“ zu Ungerechtigkeiten führen kann. Ausländische Medien haben bei diesem Verfahren nicht die gleichen Chancen wie die ständigen Gerichtsreporter vor Ort mit vermutlich deutlich besseren Kontakten zum Gericht. Das stellt eine offensichtliche Benachteiligung dieser nicht akkreditierten ausländischen Medien dar.

Das formaljuristisch auf den ersten Blick korrekt erscheinende Verfahren des Oberlandesgerichts in München führt deshalb in der Konsequenz zu einer Benachteiligung der ausländischen Medienvertreter.

Welche Nachteile kann dieses Verfahren haben?

Unter den 50 akkreditierten Medien sind sieben öffentlich-rechtliche Sender (BR, NDR, SWR, MDR, WDR, Deutschlandradio und ZDF). Das Bundesverfassungsgericht hatte im Fall des Strafverfahrens gegen Erich Honecker und drei weitere Angeklagte in Hinblick auf den zu erwartenden Ansturm eine „Pool-Lösung“ für zulässig erachtet. Zur Begründung wurde ausgeführt: „Angesichts der politischen und historischen Dimension des Honecker-Verfahrens muss der Öffentlichkeit und der Nachwelt mit den Mitteln der modernen Kommunikationstechnik auch ein optischer Eindruck von diesem Verfahren vermittelt werden können und dies geschieht hier durch die Pool-Lösung“. Damit hätten auch hier Plätze für ausländische, insbesondere türkische Medien durch eine Praktizierung der Pool-Lösung gewonnen werden können.

Außerdem gibt es neun freie Journalisten, die teilweise im Bereich der Gerichtsberichterstattung zumindest Neulinge sind. Hier wäre eine Differenzierung angezeigt gewesen.

Gerade bei den 29 ausländischen Medien ohne Sitzplatzreservierung hätte sich eine entsprechende Berücksichtigung durch eine zahlenmäßig angemessene Verteilung der 50 Sitzplätze auf Vertreter von Printmedien, Fernsehsender, Radio, Onlinenachrichten, Nachrichtenagentur, freie Journalisten, Deutschland, Europa, Türkei, Weltpresse, als gerechtere Lösung aufgedrängt.

Inwieweit ist das Prinzip der „richterlichen Unabhängigkeit“ für die Akkreditierung von Journalisten für die Teilnahme am Verfahren relevant?

Nach Art. 97 Grundgesetz sind Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Damit haben auch weder die Justizministerin des Freistaats Bayern noch die Bundesjustizministerin Einfluss auf die Richter des Oberlandesgerichts München, so dass die Festlegungen zur öffentlichen Verhandlung im Rahmen der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im Umfeld der Hauptverhandlung nach dem Gerichtsverfassungsgesetz ausschließlich Aufgabe des erkennenden Gerichts sind.

Wenn Medienvertreter an Gerichtsprozessen nicht teilnehmen dürfen, was ist dann mit der Darstellung der Öffentlichkeit durch Medien und der Unabhängigkeit von Medien?

An der Gerichtsverhandlung im NSU-Verfahren nehmen mindestens 50 Medienvertreter teil, die mit reservierten Sitzplätzen akkreditiert wurden. Journalisten ohne festen Platz haben die Möglichkeit, die nicht in Anspruch genommenen reservierten Plätze 15 Minuten vor Verhandlungsbeginn einzunehmen, außerdem können sie sich auch um die normalen Zuschauerplätze bemühen. Der Schwurgerichtssaal A101 am Landgericht München hat Platz für etwa 230 Menschen. Wegen der großen Zahl an Nebenklägern bleiben für die Zuschauer und Journalisten lediglich etwa 100 Plätze.

Die zugelassenen Medien werden trotz der oben dargestellten fehlerhaften Auswahl unabhängig und umfassend die Öffentlichkeit informieren können. Leider ist kein türkisches Medium unter den 50 akkreditierten Medien. Man wird so nur über die akkreditierten Vertreter der Medien Informationen „aus zweiter Hand“ bekommen.

In Deutschland sind auch türkischsprachige Medien tätig. Jetzt haben die Leser dieser Zeitungen keine Möglichkeit, direkt aus erster Quelle das Verfahren am OLG München zu verfolgen. Was sagen Sie dazu?

Die Akkreditierungsbedingungen haben die türkischen Medienvertreter benachteiligt. Offenbar waren ausländische Medienvertreter vorab von der Pressestelle des Gerichts nicht ausreichend informiert worden, so dass die Vergabe der 50 Plätze für Medienvertreter nach dem „Windhund-Prinzip“ (Wer zuerst kommt, erhält den Zuschlag) zu einer vorhersehbaren Benachteiligung türkischer Medien geführt hat, die vermeidbar gewesen wäre (siehe oben).

Wie kann man aus Ihrer Sicht das Problem lösen?

Die nicht akkreditierten türkischen Medien haben die Möglichkeit, die Beschränkungen ihrer journalistischen Arbeit im Eilverfahren durch das Bundesverfassungsgericht klären zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung der Gerichtsberichterstattung einen sehr hohen Stellenwert zugemessen. Auch in einem spektakulären Mordprozess vor dem Landgericht Ulm hat das Bundesverfassungsgericht eine Akkreditierung über „Töpfe“ für zulässig erachtet, einen für die regionale Presse, einen für die überregionale und einen für Rundfunk und Fernsehen.

Da bei Beschränkungen der journalistischen Arbeit der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht eröffnet ist, könnte nur das Bundesverfassungsgericht türkischen Medienvertretern im einstweiligen Rechtschutzverfahren eine Teilnahme entweder in Form einer Pool-Lösung ermöglichen oder aber entscheiden, dass im Interesse ausländischer Medien der Strafprozess in einen anderen Saal übertragen wird. Der Münchner Strafrechtsprofessor Roxin hat diese Übertragung wie folgt begründet: „Das ist nichts anderes als eine Vergrößerung des Gerichtssaals mit den Mitteln der Technik“ und ist nicht mehr, „als ob man eine Schiebetür zu einem anderen Zimmer öffnet“. Die Rechte der Angeklagten würden nicht verletzt, da der Angeklagte gar kein Recht auf eine „bestimmte Minimalgröße des Verhandlungssaals“ habe. Dieser Meinung ist auch Christian Rath von der taz: „Am cleversten wäre es aber, wenn das OLG für die Presse einen separaten Arbeitsraum einrichten würde, in den das Geschehen mit einer statischen Kamera übertragen wird, dort wäre für mehr als 50 Journalisten Platz und zugleich könnten im Verhandlungssaal mehr normale Besucher Einlass finden“.

Das wäre mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts einen Versuch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren wert.

Dann bräuchte das Oberlandesgericht München auch keine Bedenken mehr wegen einer theoretischen möglichen Revision mehr zu haben. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist das höchste deutsche Gericht und Verfassungsorgan. Auskunfts- und Informationsansprüche der Medien auch gegenüber den Gerichten ergeben sich unmittelbar aus dem Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, wie kürzlich das Bundesverwaltungsgericht im Februar 2013 entschieden hat.

Prof. Dr. Ernst Fricke, Mag. rer. publ., Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter der Katholischen Universität Eichstätt – Ingolstadt für Medienrecht und Autor von „Recht für Journalisten“, Konstanzer Universitätsverlag, 2. Auflage.