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Kolumnen

Türkische Zeitungen schaffen sich ab!

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Lange Zeit waren türkische Zeitungen vielen Integrationspolitikern ein Dorn im Auge. Als „Giftige Gazetten“ wurden sie von deutschen Medien beschimpft. Nun kämpfen sie um ihr Überleben. Ihre Krise ist aber hausgemacht. (Foto: cihan)

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Türkische Zeitungen schaffen sich ab!
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Die türkischsprachige Tageszeitung „Zaman Avrupa“, wenn man so will eine Zeitung mit Migrationshintergrund, verlegt ihre Redaktion von Offenbach am Main nach Berlin. Es ist quasi ein Umzug von einer ’Hauptstadt’ zur anderen. Mit anderen Worten: Von der sogenannten ’Hauptstadt’ türkischer Migrantenmedien, dem Rhein-Main-Gebiet, in die Bundeshauptstadt. Die Zeitungsverantwortlichen wollen mit diesem Schritt weg von der hessischen Provinz hin zum politischen Zentrum Deutschlands. Von der Idee her klingt das gut. Doch: Ist es eine Reise in eine glorreiche Zukunft mit blühenden Landschaften? Reicht es aus? Eigentlich ein guter Anlass, über türkischsprachige Medien in Deutschland nachzudenken.

Was deutsche Zeitungen anbelangt, wird auch viel geklagt in Deutschland. Der Rückgang der Auflagenzahlen bereitet vielen in der Zeitungszunft Sorgen. Die Einstellung der „Financial Times Deutschland“ sowie die ungewisse Zukunft der traditionsreichen „Frankfurter Rundschau“ dienen als abschreckende Beispiele für die Entwicklung. Vergegenwärtigt man sich jedoch die Zahlen der Gesamtauflage der Zeitungen, sieht man: Es ist ein Klagen auf sehr hohem Niveau. Die deutschen Tageszeitungen verkaufen über 20 Millionen Exemplare pro Tag. Für eine Bevölkerung von 82 Millionen Menschen eigentlich eine gute Zahl. Ist diese Entwicklung ein Schwächeln, so müsste man die Situation der in Deutschland produzierten türkischen Zeitungen mit Agonie umschreiben. Warum?

Kamen die ersten türkischen Gastarbeiter Anfang der 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, folgten ihnen kaum zehn Jahre später die türkischen Zeitungen. Ende der 60er- und Anfang der 70er-Jahre ließen sich die türkischen Zeitungen im Rhein-Main-Gebiet um Frankfurt am Main herum nieder. Gründe dafür waren sowohl die zentrale Lage Frankfurts im damaligen Westdeutschland mit seinem Flughafen als auch zeitungstechnische Gründe. Zaman, gegründet 1984 in der Türkei, fasste 1991 auf dem deutschen Markt Fuß. Die Zeitungen erfüllten damals für die Gastarbeiter eine wichtige Funktion. Sie boten wichtige Nachrichten aus der Heimat, gaben ihnen ein Stück davon in einer Zeit, da es noch keine flächendeckenden Internetzugänge und kaum Satellitenfernseher gab.

Türkische Tageszeitungen haben Ihre Hochblüte hinter sich

Doch bekanntlich ist die Zeit nicht stehengeblieben und die türkischen Zeitungen haben ihre Hochblüte schon längst hinter sich. Lag ihre Auflagenzahl Mitte der 90er-Jahre noch bei über 220.000 täglich verkauften Exemplaren, so dürfte sie heute wahrscheinlich bei unter 70.000 Exemplaren liegen. Geht man von ca. drei Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland aus, ist es keine große Zahl. So ist es auch kein Wunder, dass unter den türkischen Medienmachern in Deutschland eine Untergangsstimmung herrscht. Des Öfteren hört man unter ihnen Klagen darüber, dass Türken keine Zeitungen lesen. Die miese Stimmung ist echt, ob sie aber auch berechtigt ist, darf bezweifelt werden.

Gewiss: Satellitenfernsehen, Internet, Sprachprobleme sind mit ein Grund für den Untergang der Zeitungen. Die Hauptschuldigen dürften sie aber trotzdem nicht sein. Ich würde vielmehr die These vertreten: Die heutige Krise ist hausgemacht. Wo kein Angebot ist, kann schlecht Nachfrage entstehen.

Lange Zeit wurden viele dieser Zeitungen von Leuten produziert, die der deutschen Sprache nicht mächtig waren, mit untergebenen Mitarbeitern, die häufig sehr schlecht und auf Hartz-IV-Niveau bezahlt wurden. Unbildung plus Unterbezahlung können einfach keine lesenswerten Produkte als Output produzieren.

Insofern: Die Krise der türkischen Zeitungen ist eine Folge verweigerter Anpassung an die sich wandelnden Umstände.

Um noch einmal auf „Zaman“ zu kommen: Der Umzug nach Berlin ist ein erster Schritt in das Ort des Geschehens. Der letzte Schritt dürfte es nicht gewesen sein. Was heißt das? Ganz einfach: Die Zeitung investiert in Deutschland, und zwar sowohl in Infrastruktur als auch in Personal; gibt in Deutschland aufgewachsenen jungen Menschen eine Chance zur journalistischen Karriere. Die World Media Group, die unter anderem Zaman Avrupa verlegt, beschäftigt mehr als 150 Mitarbeiter; versucht, durch Abonnentenkampagnen ihre Leserzahl zu erhöhen.

All das wird aber am Ende nicht viel bringen, wenn Zaman Avrupa es nicht schafft, auch mit in Deutschland produzierten attraktiven, lesenswerten Inhalten hierzulande sozialisierte Leser anzusprechen. Dass Türken keine Zeitungen lesen, ist eine nicht überzeugende Ausrede. Orientierungswissen; Stellungnahme zu Ereignissen, die hier lebende Menschen angehen; attraktive Texte zu tagesaktuellen Themen und zu Personen der Zeitgeschichte; Fenster zu neuen Milieus und anderen Welten, die das Horizont der Leser erweitern und und und. Das sind die Bedürfnisse der Leser, unabhängig von Kultur oder Nationalität.

Das unreflektierte Wiederkäuen von Ereignissen oder Meldungen dagegen, die der Leser schon am Tag zuvor durch das Fernsehen erfahren hat, kommen einem Schreiben um des Schreibens willen und nicht der Leser willen gleich.

Kurzum: Investitionen in Infrastruktur, Personal, die Etablierung einer verlässlichen Unternehmenskultur, der Umzug der Redaktion nach Berlin sind vielversprechende Schritte. Gekrönt werden müssten diese Schritte durch inhaltliche Attraktivität.