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Geschichte

TV-Doku zu Antisemitismus: Hetze, Hass, Hamas

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Als der WDR und Arte eine Doku zu Antisemitismus in Europa nicht zeigen wollten, ging ein Raunen durch die deutsche Medienlandschaft. Nun zeigte „Bild.de“ den Film in unfertiger Fassung. Das ist mutig – in erster Linie aber eigennützig.

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Als der WDR und Arte eine Doku zu Antisemitismus in Europa nicht zeigen wollten, ging ein Raunen durch die deutsche Medienlandschaft. Nun zeigte „Bild.de“ den Film in unfertiger Fassung. Das ist mutig – in erster Linie aber eigennützig.

Programmdirektoren stritten sich mit dem Zentralrat der Juden, Medienmacher schrieben bissige Kommentare, Wissenschaftler emotionale Appelle. Selten erregte ein Film, der nie gezeigt wurde, soviel Aufmerksamkeit. Selten wurde eine Dokumentation so kontrovers diskutiert. Die Rede ist von der TV-Doku „Auserwählt und Ausgegrenzt. Der Hass auf Juden in Europa“ die von Dienstag auf Mittwoch für 24 Stunden auf „Bild.de“ zu sehen war.

Dabei fing alles so simpel an: Der TV-Sender „Arte“ wollte einen Film über Antisemitismus in Europa zeigen. Also beauftragte der öffentlich-rechtliche Kulturkanal bereits vor mehr als zwölf Monaten den Produzenten Joachim Schroeder. Er gilt als Experte für die filmische Darstellung von Judenhass und realisierte bereits 2013 einen TV-Film mit dem Titel „Antisemitismus heute – wie judenfeindlich ist Deutschland?“. Die neue Doku wurde von der „Arte“-Programmkonferenz bewilligt und im Dezember 2016 an „Arte“ geliefert. Der Programmdirektor des deutsch-französischen Senders Alain Le Diberder will den Film aber bis heute nicht zeigen.

Inhaltliche Schwächen, handwerkliche Fehler

Le Diberder hat dafür eine einfache Erklärung. Er kritisiert, dass der Film nicht dem genehmigten Projektexposé entsprochen habe. Oder anders ausgedrückt: Die Filmemacher haben nicht das geliefert, was sie versprachen. Das Thema wurde verfehlt. Darauf habe Le Diberder die verantwortliche Redaktion hingewiesen. Dennoch sei der Film in der ursprünglichen Fassung an „Arte“ übergeben worden. Für ihn offenbar der Grund, die Doku aus dem Programm zu streichen.

Kritiker sahen darin indes eine vorgeschobene Begründung und vermuteten politische Beweggründe. Die Annahme lautete: Das Material sei zu brisant und belege den hierzulande und in ganz Europa vorherrschenden Antisemitismus in übermäßig drastischer Weise. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sah durch die verhinderte Ausstrahlung gar den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, „hier für Aufklärung und Entlastung zu sorgen“, gefährdet.

Tatsächlich zeigt die TV-Doku von Schroeder und Sophie Hafner zwar den Judenhass in Europa und im Nahen Osten, verheddert sich dabei allerdings in historischen Abschweifungen und Ungenauigkeiten. Um Missverständnisse zu vermeiden: Die Verbrechen an Juden – sei es im Kontext des Holocausts oder zu jedem anderen Zeitpunkt in der jüngeren und älteren Geschichte – sind schrecklich und in keiner Weise zu rechtfertigen. Die Beweggründe des Senders, die Ausstrahlung zu verhindern, erscheinen angesichts der inhaltlichen Schwächen, handwerklichen Fehler und der redaktionellen Unschärfe allerdings nachvollziehbar.

Doku noch immer nicht fertig

Fünf Gründe, warum die Kritik gerechtfertigt und die Entscheidung Le Diberders richtig ist: Erstens ist der Film nur mäßig fokussiert. Archivbilder und Zeitzeugen erzählen die Geschichte des Nahost-Konflikts statt konkret zum Punkt, also zum Kontext Europa, zu kommen. Dem Thema wird im Film – ebenso wie einer Art Kulturgeschichte des Antisemitismus in der deutschen Literatur – zu viel Raum gegeben. Mehr thematische Tiefe wäre an anderer Stelle sinnvoller.

Zweitens: Was bitteschön haben das Finanzgebaren der Hamas und Spendengelder, die in dunklen Kanälen versickern, mit Antisemitismus zu tun? Der Fakt ist sicherlich interessant und erscheint gut recherchiert, passt aber nicht. Hetze, Hass, Hamas ist zwar ein gelungener Dreiklang, am Ende aber wenig interessant für Zuschauer, die sich für Judenhass in Europa interessieren. Die Hamas und ihre Spender wären indes eine eigene TV-Doku wert.

Drittens ist es zumindest unglücklich die Argumentation des Films auf Palästina, den Iran und den Nahen sowie Mittleren Osten aufzubauen, wenn der Film bereits im Titel den „Hass auf Juden in Europa“ in den Fokus fasst.

Viertens: Warum kommt zu einem der wichtigsten Themen in der Doku, dem jüdischen Nationalismus aka. Zionismus, kein einziger Israeli zu Wort? Das ist zumindest einseitig, gerade weil es auch in Israel selbst durchaus kritische Stimmen gibt, die sich offen gegen den Rechtsaußen-Nationalismus der Regierung von Benjamin Netanjahu stellen.

Der letzte Kritikpunkt: Weil an verschiedenen Stellen die nötigen Untertitel fehlen, sind minutenlange Hasstiraden arabischer Kommentatoren in verwackelten TV-Bilder für den deutschen Otto-Normal-Zuschauer nicht zu verstehen. Das zeigt: Der Film lagerte zwar lange im Giftschrank der Öffentlich-Rechtlichen, ist aber noch immer nicht fertig.

„Bild.de“ als moralische Instanz?

In den sozialen Netzwerken wurde der Film sowie die Veröffentlichung von „Bild.de“ dennoch beklatscht: „Journalismus + Medien sind verpflichtet, auch unbequeme Wahrheiten zu veröffentlichen“, schrieb ein Twitter-Nutzer. Dass Arte und der WDR tatsächlich glaubten, einen Film im Zeitalter der Leaks unter Verschluss halten zu können, offenbart indes ein strategisches Debakel und ist nichts anderes als naiv.

Am Ende geht der Axel-Springer-Verlag als doppelter Gewinn aus der wochenlangen Kontroverse heraus. Neben dem finanziellen Effekt– wegen des Hypes sahen 200.000 Zuschauer die umstrittene Doku – kann sich das mächtige Medienhaus als moralische Instanz inszenieren. „Bild.de“ erscheint auf den ersten Blick mutig, profitiert aber aufgrund des Werbeeffekts insbesondere finanziell. Das ist vor allem eines: nämlich eigennützig.

Ein Gutes hat die Ausstrahlung dennoch: Wie gelungen die Dokumentation tatsächlich ist, können Interessierte selbst entscheiden Sehen Sie selbs:t