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Gesellschaft

Über die Gemeinsamkeiten von Salafisten und Islamkritikern

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Bilder, Klischees, Vorurteile, all die Dinge, die Abbildungen der Wirklichkeit zu sein suggerieren, müssen hinterfragt werden. Heilig ist nicht das Bild, sondern die abstrakte, bildlose Wahrheit. (Foto: ap)

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Über die Gemeinsamkeiten von Salafisten und Islamkritikern
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GASTBEITRAG Ein faszinierendes Element der biblischen „10 Gebote“ ist das heutzutage gern übersehene Gebot: „Du sollst dir kein Bildnis machen, noch irgendein Gleichnis, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, auch nicht von dem, was im Wasser unter der Erde ist.“ (vgl. Exodus 20,4 und Deuteronomium 5,8) Sicherlich liest jeder diese Bibelverse mit seinem eigenen Horizont, mit seiner eigenen Prägung und Bildung. Für unsere Zeit ist darin aber vielleicht auch der interessante Gedanke enthalten, dass man Bilder, Klischees, Vorurteile, all die Dinge, die Abbildungen der Wirklichkeit zu sein suggerieren, nicht schon für Wahrheit halten darf. Dass man sich eher hüten sollte, solche Dinge vor dem abstrakten Verständnis, erst recht vor die persönliche und unvoreingenommene Begegnung zu setzen. „Bilder zu gestalten und ihnen dann den Vorzug zu geben vor dem Eigentlichen“, dies ist wahrscheinlich ein Verhalten, welches die abrahamitischen Religionen seit jeher (erkenntnistheoretisch) an den verschiedenen heidnischen Kulten kritisierten. Heilig ist nicht das Bild, sondern die abstrakte, bildlose Wahrheit.

Eine solche Bilderkritik wäre eine reformerische, ganz und gar „aufklärerische“ Kritik. Und einer solchen, umfassenden Bilderkritik bedürfen wir heute mehr denn je. Nicht die Kritik an profanen Skulpturen, Zeichnungen, Bildern und Fotos, denen heute wegen der enormen Mengen kaum noch etwas „Magisches“ nachempfunden wird, brauchen wir, sondern die Kritik an all den Bildern, die uns auf bestimmte Aspekte fokussieren und dabei unfähig machen, den Überblick zu behalten, zu sehen, was nebenbei passiert. Erst diese fokussierenden Bilder haben also etwas Hypnotisches an sich, vermögen daher, uns irrezuführen.

„Das Christentum hat eine Reformation durchgemacht, der Islam aber nicht“

Seit etwa einem Jahrhundert werden von den Muslimen „Reformen im Islam“ verlangt, vor allem durch verschiedene modernistische Intellektuelle. Dieser Appell lebt bis heute weniger durch seine ideelle Bedeutung als vielmehr durch das, was er nebenbei sagt. Denn die eigentliche Botschaft hinter diesem Satz lautet selbstgefällig: „Das Christentum hat eine Reformation durchgemacht, der Islam aber nicht.“ Diese Aussage übt wiederum vielmehr eine Funktion aus, als wirklich etwas aussagen zu wollen. Das Irreführende an diesen beiden suggestiven Aussagen sind eher die parallel assoziierten Bilder, denen gehuldigt wird. Im Gegensatz zu dem, was man heute mit dem Wort „Reform“ meint, bedeutet dieses Wort eigentlich – wie jeder halbwegs Gebildete weiß – so etwas wie „ein Formen zum Ursprung/Eigentlichen hin“ und nicht ein „sich Abwenden von Religion“, wie man es den Muslimen zu ihrer vermeintlichen Genese weismachen will.

Jede „Reform“, die nicht im Sinne der Wortbedeutung gemeint ist, auch wenn damit vermeintlich etwas „Gutes“ beabsichtigt sein sollte, muss daher vielleicht „Deform“ genannt werden. Tatsächlich war der Wunsch zu den kritisch bereinigten Lehren des Christentums zu gelangen, d. h. die biblischen Lehren Jesu und seiner Apostel so zu verstehen, wie diese sie vielleicht meinten, der Beginn der abendländisch-christlichen Reformation, ihr wichtigster und weitgehend berechtigter geistiger Impuls. Dieser Wunsch war mit selektiver Kritik an Traditionen, Autoritäten, Kirche und Staat verbunden, dabei vornehmlich auf die Bibel zurückgreifend. Aber dieser „Reformationsprozess“ brachte auch einige radikale oder extremistische Bewegungen hervor, sowie noch mehr Leid durch die Hauptströmungen, die sich insbesondere mit den Katholiken bekriegten. Wenn man ehrlich sein wollte, dann müsste man die „Salafisten“ von heute ganz und gar als Teil eines muslimischen Reformationsprozesses ansehen, der schon längst im Gange ist, vergleichbar dem, welchen seit dem 16. Jh. das abendländische Christentum durchgemacht hat. Wir sollten aufpassen, dass es nicht so schlimm wird.

Die Bezeichnung „Salafisten“ ist zu unterscheiden von der Bezeichnung „Salafiten“. Letztere bezieht sich auf jene, die sich in frommer und bescheidener Weise die Altvorderen („Salaf“) zum Lebensvorbild nehmen, während die „Salafisten“ diese Vorbilder nicht zu verinnerlichen vermögen, stattdessen lieber entsprechend ihrer vorgeprägten Bilder imitieren wollen und dies aggressiv und „missionarisch“ propagieren. Die Bilder, an denen sie sich dabei hocharbeiten, haben aber interessanterweise eher etwas von einer Karikatur. Denn es fehlt ihnen an der nötigen Ästhetik, die der Koran von Anfang an lehrte und die sich insbesondere in gutem Benehmen äußerte. Es ist die fehlende geistige Eigenständigkeit der Muslime, die dabei heute zum Tragen kommt.

Die seelische Affinität zwischen den islamophoben Kritikern und den Salafisten

Die oft als „Islamkritik“ verharmloste „Karikatur“ des Islam durch die islamophoben Medien strukturiert scheinbar die Wahrnehmung eines Teils der muslimischen Jugendlichen mit „Identitätsproblemen“ so sehr, dass sie ihre Religion gar nicht anders zu verstehen vermögen, als eben genauso, wie all die „Islamkritiker“ es ihnen vorschreiben. Sie kehren dabei nur die Wertigkeit der Kritik um, den Moment der „Provokation“ (für areligiöse Menschen) in Kauf nehmend, ja sogar oft genießend. Da die traditionellen Gelehrten diesem Bild widersprechen, werden sie nicht als authentisch empfunden und eher missachtet. Die sich dabei zeigende seelische Affinität der beiden Extremgruppen, d. h. der islamophoben Kritiker und muslimischen Imitatoren von Frömmigkeit, beide an historischer oder kultureller Entwurzelung leidend oder diese aus ihrer eigenen Verunsicherung heraus befürchtend, ist erschreckend.

Die Salafisten von heute weisen viele Probleme auf. Ihr Hauptproblem aber ist ihre Oberflächlichkeit, ihr Festklammern an Wörtern und Bildern. Um dies durchhalten zu können, werden oft selbst einfache kritische Reflexionen, sozusagen der ganz normale Verstehensprozess, für unlauter gehalten. Nur jenen Lehren wird vertraut, die aus der eigenen Subkultur, aus dem eigenen sozialen Netzwerk kommen. Dabei wurde inzwischen ein Verhaltenscodex geschaffen, den sich jeder „anziehen“ und dadurch als „gläubig“ gelten kann, wenn er nur will, d. h. ohne wirklich glauben zu müssen. Hauptsache, man hält sich aus irgendwelchen Gründen, z. B. aufgrund der eigenen Herkunft aus einer muslimischen Familie oder aufgrund von ähnlichen Ausgrenzungserfahrungen, für einen Muslim, grenzt sich von den anderen Muslimen ab und richtet sich dann nach den eigenen codierten Verhaltensmustern.

Dieser Umstand erinnert an bestimmte Menschen zu Lebzeiten des Propheten. Es handelte sich dabei um Wüstennomaden (A´rab), die durch das raue Leben in der Wüste und in den abgelegenen Ortschaften geprägt waren, eher Pragmatiker waren als Denker, umso weniger konnten sie wirklich Gläubige sein. Daher sollten sie sich laut Koran auch nicht als Gläubige deklarieren (49:14), denn sie waren nicht gläubig. Nur wenn man ehrlich bleibt, hat man die echte Chance, zum rechten Glauben zu finden. Doch sollten sie deswegen nicht ohne verbindliche Handlungsrichtlinien (inklusive Gesetzen) leben. Sie sollten sich daher an all das halten, was der Koran und der Prophet ihnen gebieten. Solange sie ehrlich und bescheiden bleiben, sollte ihr Handeln nicht an Geltung verlieren. Genau diesem Punkt eifern anscheinend auch die Salafisten von heute nach, als würden sie damit ihre Glaubensschwäche outen wollen. Wer sich nur festklammert an Worten und Bildern, auch wenn diese scheinbar aus den islamischen Quellen hervorgehen, und aus einfachen Verhaltensmustern des Propheten schon verbindliche Gesetze macht, ohne dass dies von den ersten Generationen je intendiert war, wird dadurch nicht schon als gläubig gelten können.

Die europäischen Entwicklungsprozesse der Neuzeit sind bei weitem nicht so positiv, wie sie den Muslimen seit Jahrhunderten gepredigt werden. Jede halbwegs seriöse historische Aufarbeitung, welche die dunklen Seiten nicht aus dem Auge verliert, zeigt ein deutliches, kaum mit irgendeiner anderen Hegemonialkultur der Welt zu vergleichendes Bild. Ob nun die Zeit der Reformation oder der Aufklärung, auch die der Moderne: sie hatten alle ihre furchtbaren und sich dabei global auswirkenden dunklen Seiten, die wir uns auch nicht bei den Muslimen herbeiwünschen sollten. Mit ein Bisschen „Objektivität“ hätte man die Chance, die bisher geläufigen Bilder etwas zurechtzurücken, d. h. auch wenn man weiterhin den Bildern verhaftet bleibt. Wem schadet es wirklich, wenn er sich seine eigenen Irrtümer eingesteht? Wer heute eine vernünftige Aufklärung betreiben will, sollte hier anfangen. Die Welt wird sich jedenfalls nicht am europäischen Wesen genesen, auch Europa nicht. Denn jeder Konstruktion von „europäischem Wesen“ haftet ein Kompromiss des Denkens mit etwas kreativ Eingebildetem an. Eher noch hätten Europa und die Welt (so auch die Muslime) eine Chance, wenn sie eine kritische Aufmerksamkeit gegenüber einflussreichen Bildern pflegen und die Fähigkeit aufweisen würden, vernünftige Entscheidungen zu treffen.