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Politik

Über die Politik des Goldenen Käfigs

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Die brachiale, oft mit Gewalt betriebene staatliche Machtpolitik des türkischen Staates ist seit dem Regierungsantritt der AKP einer „sanfteren“ Herrschaftsform gewichen. Doch auch diese sanfte Machtausübung schadet der Türkei auf Dauer.(Foto:rtr)

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Über die Politik des Goldenen Käfigs
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Es ist von größter Wichtigkeit zu erkennen, dass das Ende der militärischen Bevormundung des Landes nicht unbedingt automatisch den Beginn einer Demokratie bedeutet.
Ein autoritäres Regierungssystem kann trotz allem in verschiedensten Formen weitergeführt werden unter der Führung neuer Akteure, sofern sich nicht auch die Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft grundlegend ändert. Im öffentlichen Bewusstsein wird immer noch den Staat als der primäre Akteur betrachtet, von dem das Überleben der Menschen abhängt. Das Gefühl der Unsicherheit ist so stark verbreitet, dass der Staat als Quelle der Rettung und des Wohlbefindens gesehen wird. Solch eine politische Kultur fand ihren Ursprung sicherlich in der modernen türkischen Geschichte und wurde von einem zentralen Fokus darauf geprägt, wie man den Staat retten kann.

Das Ergebnis ist eine Türkei mit einem „Vater Staat“. Was für eine Form würde die Beziehung zwischen dem Staat und der Gesellschaft in solch einem mentalen und kulturellen System einnehmen? Sobald der Staat zu einer väterlichen Position erhöht wird, wird sich zwischen beiden selbstverständlich eine hierarchische Beziehung entwickeln. Der Staat wird die Macht übernehmen, während die Gesellschaft ihren Einfluss und ihre Autonomie verliert.

Als Garant der Wohlfahrt wird immer noch der Staat gesehen

Solange der Staat als allmächtige und transzendentale Instanz gesehen wird, kann die Demokratie nicht gedeihen. Jüngste Erfahrungen aus den letzten Jahren in der Türkei zeigen uns, dass sich an dieser hierarchischen Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft nichts Grundlegendes geändert hat, egal ob der Staat nun von Kemalisten oder von Konservativen regiert wird.Die türkische Kultur war nicht in der Lage, sich von der Staatsherrschaft zu befreien, welche immer noch die zentrale, konstituierende Instanz bildet, einen Selbstzweck unabhängig von der Gesellschaft.

Bei diesem Argument stellt sich natürlich die theoretische Frage, ob sich der Staat dem Einfluss der Gesellschaft verschließt oder nicht. In der Tat sollte eine aufstrebende Demokratie, in der die Parteien um das Mandat durch die Menschen konkurrieren, die Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft zu Gunsten der Letzteren transformieren. Das heißt, von der Gesellschaft wird verlangt, dem Staat Grenzen zu setzen und ihre Charakteristiken zu unterstreichen und nicht umgekehrt.

In einer normalen Demokratie prägt das Soziale das Politische. Dennoch kann man in einem Land wie der Türkei, in dem die Staatstradition und die etatistische Kultur so stark sind und die Gesellschaft diese ungleiche Beziehung verinnerlicht hat, von einem Staat und einer Gesellschaft sprechen, als wären sie getrennte Instanzen, ohne Wechselwirkung. Es ist immer noch mehr als nur eine Beziehung ohne Wechselwirkung, es ist eine hierarchische.

Der mündige Bürger bleibt ein Wunschtraum

Meiner Meinung geht dies mit der distributiven Macht des Staates einher. Mit „distributiver Macht“ beziehe ich mich auf die Fähigkeit des Staates, zu bestrafen und zu belohnen. Mit seinen immer weiter wachsenden Ressourcen und den dadurch bedingten, noch stärkeren Fähigkeiten zur Bestrafung befindet sich der Staat in einer der Gesellschaft überlegenen Position. Er ist sogar in der Lage, mächtige soziale und ökonomische Akteure zu zerstören, hat aber auch die Macht, sie emporzuheben. Wir können immer noch von einem türkischen Staat sprechen, welcher fähig ist, Wohlstand und Status zu verbreiten. Es ist hier nicht nötig, darzulegen, dass in dieser Form der Beziehung die Gesellschaft mit der Unterstützung des Staates ihrer Autonomie beraubt wird.

Kurz gesagt, die kulturelle Abhängigkeit der Gesellschaft zum Staat wurde in den letzten Jahren durch die distributiven Fähigkeiten des Staates verstärkt – insbesondere durch die so genannte „Servicepolitik“ der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) und die in ihrem Rahmen entwickelten Klientelbeziehungen zwischen der Partei und den Wählern. Heute ist der Staat der größte distributive Akteur, von dem sowohl Arme als auch Reiche über staatliche Ausschreibungen Nutzen ziehen können.

Er bietet den Menschen Vorteile und als Gegenleistung erwartet er Loyalität von ihnen. Denjenigen, die diese Loyalität nicht zeigen, werden die Vorteile entzogen. Mit dieser distributiven Macht kooperiert der Staat mit den Menschen und behält die hierarchische Beziehung zwischen dem Staat und der Gesellschaft bei, erstaunlicherweise sogar während der Wahlkämpfe. Es sind nicht nur die Armen, sondern auch die Reichen, die die Gunst des Staates gewinnen müssen. In einem Land, in dem das Wohlbefinden von Armen als auch der Reichen vom Staat abhängt, kann aber keine Demokratie aufgebaut werden. Und dies ist das Problem der türkischen Demokratie.

Autoreninfo: İhsan Dağı ist ein renommierter Politikwissenschaftler und Kolumnist bei der türkischen Tageszeitung „Zaman“.