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Kolumnen

„Überall auf der Welt kann etwas passieren“

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Ich träume noch immer von einer Symbiose von Abend- und Morgenland, versinnbildlicht im Fries der Kathedrale des sizilianischen Cefalù, das arabische Baumeister mit christlichen und muslimischen Symbolen versehen haben. Vor einem Jahr war ich um diese Zeit in Istanbul, nun habe ich meine nahöstliche Etappenreise mit Aufenthalten in Israel, Jordanien und Ägypten fortgesetzt. Viele Deutsche meiden diese Region, sie halten sie für gefährlich. Meine aus dem Libanon stammende Gastgeberin findet dazu beim Stopp im oberägyptischen Luxor die richtigen Worte: „Überall auf der Welt kann etwas passieren“.

Ich habe drei Länder unter erheblicher Stressbelastung erlebt, Israel mit der täglich vorkommenden Meldung, dass es zu einer Messerattacke irgendwo an der grünen Linie zwischen den Siedlungsgebieten von Palästinensern und Israelis gekommen sei. In Tel Aviv an der Strandpromenade fliegen die Köpfe herum, als auf einem Rettungsfahrzeug das Signalhorn ertönt. Aber in der riesigen Stadtzone am Mittelmeer, die in ihrer Atmosphäre Los Angeles ähnelt, haben die Menschen wegen ihrer persönlichen Sicherheit keine Sorgen. Gleiches gilt auch für das arabische Anhängsel, die Altstadt von Jaffa, in der der Fremde herzlich begrüßt wird. Normalerweise müsste hier jetzt Hauptsaison herrschen, aber viele Israel-Besucher aus der ganzen Welt sind ausgeblieben. Auf der Fahrt zur Allenby-Brücke im Jordantal gerät das Auto, in dem ich quer durch das Land an die Grenze befördert werde, bei der Abfahrt hinunter zum Toten Meer in einen gewaltigen Stau. Die israelische Polizei hat einen Checkpoint errichtet, an dem jedes Fahrzeug minutiös kontrolliert wird. Vor mir wird ein Kleinwagen, in dem Palästinenser sitzen, genauestens untersucht. Die Situation ist angespannt, ich sehe, dass die junge israelische Polizistin, in einer dicken Sicherheitsweste steckend, den Finger am Abzug ihrer Waffe hat. Dann kommt unser Wagen dran, „Deutsche“, sagt der Fahrer, ein kurzer Blick hinein und der Wagen wird durchgewinkt.

Familientreffen im Hotel

Jordanien gehört zu den Staaten, die sich binnen weniger Jahre dramatisch verändert haben. Die Bevölkerung hat sich verdoppelt, zu den Beduinen sind die palästinensischen Flüchtlinge hinzugekommen. Amman, im Zentrum noch immer ein wenig britisch geprägt, ist ein einziges Häusermeer mit 4-5 Millionen Einwohnern, im Hinterland leben zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien. Das Land ächzt unter der Last, aber seine Menschen bleiben freundlich. Im Hotel treffen sich Familien aus aller Welt, weil Mann oder Frau, Sohn oder Tochter, für eine internationale Organisation arbeiten. Auch hier geht es um die Flüchtlinge.

In Ägypten sind die Sorgen noch größer. Als ich Student war und mir einen großen Kunstführer kaufte, kam die geplante Reise an den Nil nicht zustande, weil sie zu teuer war. Ägypten war damals ein Hochpreisland. Dann entdeckte es den Massentourismus, der vor knapp 5 Jahren mit der Revolution zum Erliegen kam. Auch die Reisenden, die für einen Aufenthalt im Winterpalace von Luxor oder dem Old Cataract Hotel in Assuan bereit sind, am Tage das zu bezahlen, was die Pauschalwoche am Roten Meer kostet, kommen nicht mehr. Für den Reisenden hat dies Vorteile, er kann erstmals ohne Massenrummel die großartigen Sehenswürdigkeiten betrachten, die Ägypten zu bieten hat. Aber für die Menschen ist es eine Katastrophe. Sie befürworten die Machtübernahme der Militärs und erzählen, dass die kurze Phase unter Mursi und dem Muslimbrüdern eine einzige Katastrophe für das Land gewesen sei. Die Bundeskanzlerin genießt hier wie in den anderen bereisten Ländern großes Ansehen, die Israelis sind über ihre Flüchtlingspolitik geradezu begeistert, aber die Araber sind skeptisch, fragen sich, wie lange das gut gehen wird und gut gehen kann.

Seit meinem letzten Ägypten-Aufenthalt hat die Bevölkerung um mehrere Millionen Menschen zugenommen, die sich in Kairo, Alexandria und im engen Niltal zusammendrängen. In dieser Region der Welt ist man zeitlebens Pionier oder muss improvisieren, weil der Tag nicht das erhoffte Ergebnis gebracht hat. Das Geld konnte nicht verdient werden, weil der erwartete Gast nicht gekommen ist. Aber man weiß sich zu helfen, der Zusammenhalt der Familie ist im Nahen Osten hoch. Und man teilt und ist sparsam, bis hin zum Küchenpapier, das der Mann im Auto vor mir vorsichtig auseinanderzieht, um die andere Hälfte dem Fahrer zu übergeben. Mit dem Perspektivwechsel im Gepäck kommt man beschenkt und nachdenklich nach Hause. Ich gebe den Traum nicht auf.