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Politik

Moskau als Retter unterdrückter Minderheiten?

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Die russische Minderheit auf der Halbinsel Krim wird zum Spielball der Machtpolitik. Doch die russische Regierung sollte bei ihrer aktuellen Krim-Politik das problematische Verhältnis zu den eigenen Minderheiten nicht außer Acht lassen. (Foto: reuters)

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Die russische Regierung sollte bei ihrer aktuellen Krim-Politik das problematische Verhältnis zu den eigenen Minderheiten nicht außer Acht lassen.
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Hintergrund: Während Russland den entmachteten ukrainischen Präsidenten in Sicherheit gebracht hat, nehmen die Spannungen auf der Krim zu. Nachdem in der Ukraine nationalistische Kräfte an Einfluss gewinnen und Russland seine Interessen in der Region zunehmend gefährdet sieht, wird über eine mögliche Abspaltung der mehrheitlich von Russen bewohnten Halbinsel Krim von der Ukraine spekuliert. Durch einen Hilferuf an Russland würde die russische Bevölkerung auf der Krim zum (bereitwilligen) Türöffner für Moskaus strategische Interessen werden.

Doch so real die Anfeindungen gegen die russische Bevölkerung und Russland-Treue Ukrainer ist, so unabsehbar sind die Konsequenzen eines wie auch immer gearteten Eingriffs der russischen Regierung auf der Krim – vor allem für Russland.

Denn nicht nur die Ukraine ist Heimat verschiedener Völker, die sich nach Abspaltung vom Zentralstaat und ausländischer Unterstützung sehnen: Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden zwar viele Staaten der ehemaligen UdSSR unabhängig, doch etliche Völker verblieben (teilweise durch militärischen Druck Moskaus) im russischen Staatsgebilde. In der Russischen Föderation leben neben der russischen Mehrheit zahlreiche Minderheiten, so etwa Turkvölker, kaukasische Völker, Deutsche, Juden und indigene Völker. Die russische Regierung wäre daher gut daran beraten, beim Umgang mit ethnischen Minderheiten in der Ukraine Vorsicht walten zu lassen.

In vielen ehemaligen Sowjetrepubliken existieren bis heute ungelöste Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen und auch auf russischem Territorium birgt gerade die in einigen Regionen repressive Minderheitenpolitik Moskaus Konfliktpotential. Hier ein kurzer Überblick über einige Regionen des russischen Einflussraums, in denen mit Minderheiten verbundene Konflikte existieren.

Zentralasien

Fergana-Tal: Das extrem fruchtbare Gebiet in Zentralasien mit in der Sowjetzeit willkürlich gezogenen Grenzen ist seit langem ein Konfliktherd für Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistan. Im usbekischen Teil schlug das Militär 2005 einen Aufstand nieder, Hunderte Menschen wurden getötet. 2010 forderte ein Konflikt zwischen Kirgisen und Usbeken in Kirgistan 2000 Tote. Im kirgisischen Teil des Fergana-Tals stellen Usbeken die stärkste Bevölkerungsgruppe und fordern Usbekisch als Amtssprache. Kirgistans Führung befürchtet, dass bei einem Entgegenkommen Autonomiewünsche folgen und auch die Tadschiken Rechte einfordern.

Viele Völker in der Region Zentralasien gehören zu den sog. Turkvölkern. Die Region wird daher oft auch als „Turkistan“ bezeichnet. Zwischen der Türkei und den zentralasiatischen Staaten besteht eine historische Verbindung, die nach dem Zerfall der Sowjetunion zunehmend an Bedeutung wiedergewinnt.

Nord- und Süd-Kaukasus

Ein weiterer Unruheherd sind die autonomen Republiken Südrusslands. Besonders in der im Nordkaukasus gelegene autonome Republik Tschetschenien , die nach dem Zerfall der Sowjetunion Schauplatz von zwei Kriegen zwischen Separatisten und russischen Truppen war, kommt es bis heute zu politischer Gewalt. Einige der muslimischen Minderheiten Russlands wurden außerdem in der Vergangenheit teilweise vertrieben, so etwa die Tscherkessen.

Südossetien und Abchasien: 1990 spaltete sich das an Russland grenzende Südossetien faktisch von der Kaukasusrepublik Georgien ab. Auf bewaffnete Auseinandersetzungen folgte 1994 eine brüchige Waffenruhe. Nach dem Einmarsch georgischer Truppen im August 2008 begann eine russische Offensive zum Schutz eigener Bürger. Im Zuge des Krieges verlor Georgien auch endgültig die Kontrolle über die Schwarzmeer-Region Abchasien, die sich ebenfalls zuvor von der Zentralregierung losgesagt hatte. Die Georgier mussten sich zurückziehen, und die weitgehend von Russland abhängigen Gebiete erklärten ihre Souveränität. Moskau erkennt Südossetien und Abchasien als Staaten an, EU und USA betrachten sie als Teile Georgiens.

Berg-Karabach: Der Streit um das ehemals von Aserbaidschan verwaltete Gebiet weitete sich 1992 zu einem Krieg mit Zehntausenden Toten aus. Armenien eroberte Berg-Karabach und weite Teile an der Grenze zum Iran und vertrieb die aserbaidschanische Bevölkerung. Die Region erklärte sich für unabhängig. 1994 wurde ein brüchiger Waffenstillstand vereinbart, doch der Konflikt ist bis heute ungelöst. Armenien will das völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörende Berg-Karabach nicht wieder abtreten und verlässt sich dabei auch auf die Schutzmacht Russland, die dort Stützpunkte unterhält.

Osteuropa:

Transnistrien: Der Landstreifen am Fluss Dnjestr mit mehrheitlich russischer Bevölkerung spaltete sich 1990 von der Republik Moldau ab und erklärte sich für unabhängig – aus Angst vor einem Anschluss der Ex-Sowjetrepublik an Rumänien. In einem Krieg 1992 konnte Moldau das eng mit Russland verbundene Gebiet nicht erobern. Russische Truppen sind bis heute dort stationiert.

Halbinsel Krim: Auf der Halbinsel, gelegen an der Nordküste des Schwarzen Meeres, wo die russische Schwarzmeerflotte liegt, machen die Russen fast 60 Prozent der Bevölkerung aus. Der Rest sind Ukrainer und Krimtataren. Momentan leben 300.000 Krimtataren auf der Halbinsel – ihrer Heimat-, das sind rund 14 Prozent der Bevölkerung. 1944 wurden die Krimtataren nach Zentralasien – unter die Aufsicht der Sowjetunion- deportiert, da man sie der Kollaboration mit Deutschland bezichtigte. Seit den späten 80er Jahren und besonders nach der Unabhängigkeit der Ukraine kehren die Vertriebenen wieder in ihre Heimat zurück. (dtj/dpa)