Gesellschaft
Und plötzlich steht ein Flüchtling vor dir
Millionen von syrischen Flüchtlingen kämpfen ums Überleben. Doch in den Medien hört man oft nur allgemeine Informationen. Ich habe von zwei Einzelschicksalen erfahren, die einem das Herz zerreißen…
Dass das Leid der Flüchtlinge mittlerweile die ganze Welt bewegt, steht außer Frage. Moderatoren wie Claus Kleber oder Anja Reschke, Schauspieler wie Til Schweiger oder Politiker wie Sigmar Gabriel fordern zu mehr Offenheit gegenüber den Flüchtlingen auf. Doch in den Medien erfahren wir meist nur oberflächliche, allgemeine Informationen. Zahlen. Fakten. Kaum liest man von Einzelschicksalen.
Während meines Urlaubs wurde ich mit vielen Geschichten von Flüchtlingen konfrontiert. Neben der Türkei ist der Libanon eines der Länder, das die meisten syrischen Flüchtlinge aufgenommen hat. Überall auf den Straßen laufen bettelnde Syrer herum, andere arbeiten in kleinen Geschäften oder auf dem Markt. Auch Frauen und Kindern bleibt nichts anderes übrig, als zu arbeiten, denn jeder Cent zählt für sie.
Von der Mittelschicht zur Putzfrau
Da wir hier am Meer wohnen und es hier besonders heiß und windig war, musste die Wohnung jeden Tag gründlich geputzt werden. Meine Tante erzählte uns von einer Putzkraft, die für 3 Euro die Stunde arbeite. Es konnte nur eine Syrerin sein. Ich fragte meine Mutter, ob sie diese Frau ernsthaft für diesen Lohn arbeiten lassen wolle. Sie sagte mir, dass sie ihr selbstverständlich mehr Geld zahlen würde.
Die Frau, die zu uns kam, war Mitte 40 und humpelte. Während sie arbeitete, geriet sie schnell außer Puste. Ihr schien es gesundheitlich nicht gut zu gehen. Meine Tante erzählte uns, dass die Frau aus einer wohlhabenden Familie stamme und aufgrund des Krieges fliehen musste. Ihr Sohn und seine Frau hatten es nach Deutschland geschafft, doch sie blieb hier aus uns unbekannten Gründen alleine zurück. Die Frau hieß Um Ahmad. Also „Mutter von Ahmad“. Ein anonymer Name. Wie viele arabische Frauen wohl so hießen? Wahrscheinlich Millionen. Ihr Name passte zu ihrem Schicksal – entfernt und ungreifbar.
„Alles ist besser, als dieses Leben, das ich jetzt führe“
Sie fragte mich, wie es in Deutschland ist. Es ist sehr schön, sagte ich ihr. Sie lächelte verschmitzt, ihr Sohn hatte ihr davon erzählt. Sie schwieg kurz und dann flüsterte sie mir zu, dass sie nun versuchen wolle, illegal nach Deutschland einzureisen. Ich sagte nichts dazu. Was hätte ich auch schon erwidern sollen? Ihr ihre Hoffnung nehmen? Ihr sagen, wie die Flüchtlinge in Deutschland leben? Dass es gefährlich und falsch sei, illegal in ein Land einzureisen? Doch würde ich als Flüchtling nicht auch alles versuchen, um zu überleben? Meine Tante versuchte ihr die Idee auszureden, doch ihre Antwort machte mich noch trauriger. „Alles ist besser, als dieses Leben, das ich jetzt führe.“
Als Um Ahmad alleine im Schlafzimmer stand, rief meine Großmutter meiner Mutter zu, sie solle aufpassen, dass sie nichts klaut. Meine Mutter und ich liefen rot an. Um Ahmad hatte sie gehört und schaute traurig zu Boden, doch erwiderte nichts. Es tat mir leid. Vor einigen Jahren lebte diese Frau genauso wie wir und nun musste sie für fremde Menschen putzen, um zu überleben, doch die Menschen misstrauten ihr. Doch andererseits konnte man es meiner Großmutter nicht übel nehmen. Man hörte täglich Geschichten von kriminellen Syrern. Bevor wir in den Libanon reisten, hatte mich sogar eine Freundin eindrücklich davor gewarnt. „Pass bloß auf und hab nicht zu viel Mitleid mit ihnen, die reißen dir alles aus der Hand.“ Doch das hieß doch nicht, dass alle so waren…
Rosen verkaufen anstatt zur Schule zu gehen
An einem anderen Abend wurde ich mit einem zweiten Einzelschicksal konfrontiert. Wir saßen in einem Café am Strand, als plötzlich ein sechsjähriger Junge zu uns an den Tisch kam. Er verkaufte eingegangene Rosen und Jasmin-Blumen für 1,50€. Die Einheimischen würden ihm das für diesen Preis niemals abkaufen. Meine Tante wollte ihn auch direkt wegschicken. Wie oft wurde sie von solchen Kindern angesprochen? Doch für uns war das etwas Neues und der kleine Junge brach uns das Herz. Meine Schwester, meine Mutter und ich kauften ihm direkt etwas ab. Ich fragte ihn, wie er hieß. Sein Name war Hassan. Meine Mutter fragte ihn, wo seine Eltern seien. Sie würden zu Hause schlafen. Eigentlich sollte Hassan um diese Uhrzeit im Bett liegen. Meine Mutter ärgerte sich darüber. „Warum schicken sie dich arbeiten? Du musst jetzt im Bett liegen. Sag ihnen, dass sie arbeiten sollen. Du bist noch zu klein.“ Er antwortete darauf nichts. Meine Mutter fragte ihn, ob er in die Schule gehen würde. Er schüttelte den Kopf. Nein. Sie wurde traurig. „Geh nach Hause, Hassan und sag deinen Eltern, sie sollen dich zur Schule schicken, hörst du? Pass auf dich auf, es ist schon dunkel.“ Hassan ging. ohne ein Wort zu erwidern. Dann schaute meine Mutter zu uns. „Ich wünschte, ich könnte ihn mitnehmen und großziehen.“
Zwei Geschichten unter Millionen
Es ist etwas anderes, einzelne Geschichten von Flüchtlingen zu hören. Sie sind plötzlich so nah und man hat Teil daran. Doch dies sind nur zwei Geschichten von Millionen. Wer weiß, wie viele Menschen es noch schlimmer getroffen hatte?
Ich wünsche Um Ahmad, dass sie es eines Tages schafft, ihren Sohn wiederzutreffen und zur Ruhe zu kommen kann und dass Hassan eine Zukunft haben wird, von der Kinder in seinem Alter träumen. Dass er zur Schule geht und erfolgreich wird, um dabei zu helfen, sein Land, das im Krieg zerstört wurde, wieder aufzubauen und dass die Rosen, die er uns verkauft hat, seinen eigenen Garten schmücken werden.