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Gesellschaft

„Uns geht es nicht um Islam, sondern um die Dekonstruktion von Stereotypen“

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Das Institut für Medienverantwortung wird an der muslimischen Basis oft als „Verteidiger des Islams“ im öffentlichen Diskurs wahrgenommen. Ob das so ist und warum erklärt Sabine Schiffer im zweiten Teil des Interviews.

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Auch wenn die Themen, die das IMV in den vergangenen 10 Jahren erforscht hatte mittlerweile Platz in vielen Mainstream-Medien finden, ist dem Institut selbst der Durchbruch nicht gelungen, es muss um seine Existenz bangen. In der muslimischen Basis wird das Institut hingegen nicht selten als „Verteidiger des Islams“ wahrgenommen. Darüber, ob das so ist und über die Zukunft des Instituts spricht Dr. Sabine Schiffer im Zweiten Teil des DTJ-Interviews.

Ihre Arbeit wird von der muslimischen Basis oft als „Verteidigung des Islams“ bewertet. Worum geht es euch Ihnen tatsächlich – um den Islam?

Schiffer: Weniger. Unsere Arbeit har vielmehr mit dem Islambild in den Medien zu tun. Es ist also nicht unser Interesse, für den Islam zu werben, weil wir ein durch und durch laizistisches Institut sind – wir verschicken weder Weihnachtsgrüße noch sonst Feiertagsgrüße, allenfalls einen Neujahrsgruß. Wir sind einem humanitären Menschenbild verpflichtet. Uns geht es darum, diskriminierende Diskurse als solche zu entlarven und für einen fairen Umgang miteinander zu werben. Die Techniken der Analyse und Vermittlung von Stereotypen in der Ukraine-, Griechenland- und Islamberichterstattung sowie im Antisemitismus und anderen Rassismen gleichen sich außerdem an vielen Stellen. Aber gerade bei einem emotional aufgeladenen Thema verstehe ich, dass man das oftmals nicht so abstrakt und exemplarisch – wie es ist – wahrnehmen kann, sondern man meint, wir verteidigen das Thema, das wir lediglich dekonstruieren. Es ist immer wieder interessant, dass mein Kollege Constantin Wagner und ich nach Seminaren zu antimuslimischem Rassismus in den Medien befragt werden, wie wir zum Islam stehen. Bei Stellungnahmen gegen Antisemitismus in den Medien wurden wir noch nie nach unserem Verhältnis zum Judentum befragt.

Was habt ihr falsch gemacht?

Schiffer: Wir waren wohl nicht schrill genug, wobei ich das jetzt nicht wirklich ernst meine. Wir bleiben seriös und konstruktiv im Sinne einer qualitätssteigernden Medienkritik und mit Unterstützung für einen unabhängigen und nachhaltig finanzierten Journalismus. Und natürlich der Wissenschaftlichkeit verpflichtet. Insofern ist es ein Leichtes für Medien, uns und unsere Arbeit auszublenden.

Es sind doch so viele Talkshows und Debattensendungen im Fernsehen, bei denen auch Expertenmeinungen gefragt sind. Bekommen Sie keine Einladungen?

Schiffer: Ich werde nicht selten für diverse Talkshows und medienbezogene Sendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gecastet. Abgesagt wurde einmal sogar ganz explizit mit dem Hinweis auf „zu hohe Professionalität“. Da lässt sich anscheinend andere Medienkritik plakativer und entwertender darstellen. Da eine systematische Medienbildung an Schulen fehlt, durchschauen viele Menschen natürlich nicht diese Mechanismen von Zeigen und Ausblenden und lasten es den Betroffenen oftmals selbst an, dass sie sich öffentlich nicht durchsetzen bzw. einem Framing unterliegen, das sie nicht selbst bestimmen können. Kulminationspunkt der ganzen Verzerrung ist dann Wikipedia.

Wie sieht es in der Wissenschaft aus?

Schiffer: Da sieht das anders aus. In der Wissenschaft kommt es im schlimmsten Fall vor, dass man uns nicht zitiert, weil das Publikationsorgan zu klein ist oder – wie es ein antideutscher Agitator bis zur Perfektion betreibt – mich persönlich diffamiert, um dann meine Forschungsergebnisse unzitiert zu übernehmen, weil man deren Stichhaltigkeit ja nicht leugnen kann. Aber allgemein gilt, dass unsere Arbeit in der Wissenschaft nicht wenig und auch vernünftig rezipiert wird, was sich auch immer wieder in interessierten Praktikumsanfragen von Studierenden von verschiedenen Universitäten niederschlägt – woraus schließlich nicht selten weitere freie Mitarbeiter hervorgehen.

Ihr habt bei der Ausbildung von jungen DTJ-Redakteuren mitgewirkt. Wie war die Zusammenarbeit mit DTJ und was ist Ihre Meinung zu der journalistischen Arbeit des Portals?

Schiffer: Luft nach oben gibt es immer, also Verbesserungspotential – zumal im hektischen Redaktionsalltag ja die Umsetzung von Erlerntem nicht immer unbedingt gelingt. Insgesamt bin ich mit unserem Ausbildungsplan und der Umsetzung zufrieden und habe sehr gerne mit der jungen, engagierten Crew zusammen gearbeitet. Dass eine fortgesetzte Blattkritik für die Festigung von Standards notwendig ist, erleben wir ja immer wieder – auch und gerade, wenn neue Leute in die Redaktion kommen bzw. externe Autoren fürs Blatt schreiben. Eine faktizierende Bezeichnung wie „der NSU“, so als wäre seine Existenz als solches schon geklärt, passiert da schon mal – oder ein selektiv angewendetes Wording, was „Terror“ sei und was nicht. Ich denke, es ist wichtig für ein junges Portal wie DTJ, sich durch Qualitätskontrolle zu unterscheiden und nicht unreflektiert Textbausteine von Nachrichtenagenturen zu transportieren, wie sie weit verbreitet sind. Mal abgesehen von der stets kritischen Quellenprüfung, auch und gerade dann, wenn einem der Inhalt gefällt. Insofern nutze ich die Gelegenheit zu ermutigen, dran zu bleiben, und freue mich immer über Nachfragen und auch die messbaren Erfolge.

Sie sind ja immer wieder zu Vorträgen und Symposien eingeladen. Welche wichtigen oder kuriosen Erfahrungen und Begegnungen haben Sie denn dort gemacht?

Schiffer: Oh ja, da gibt es einiges Interessantes – etwa, wenn man sich selbst beim Schubladendenken ertappt. Ist mir passiert, als eine junge, verschleierte Studentin die Technikprobleme zwischen meinem Laptop und dem Beamer der Universität Hamburg behob. Mein Kollege und ich erleben neuerdings ein Phänomen, das wir der Critical Whiteness zuordnen, bei dem wir uns als nicht selbst Betroffene nicht mehr zum Thema Rassismus äußern sollen und auf Veranstaltungen entweder kritisiert oder sogar wieder ausgeladen werden. Sehr unangenehm ist, wenn Universitätsprofessoren sich auf ein unterirdisches Niveau begeben und in Ermangelung sachlicher Argumente einen unliebsamen Vortrag oder eine unliebsame Referentin mit persönlich werdenden Angriffen überziehen, nachdem sie schon mit Bierflaschen im Auditorium saßen – so kürzlich an der LMU in München geschehen. Einige Studierende entschuldigten sich gar für das Verhalten der Profs.

Und positive Erfahrungen…

Schiffer: Besonders positiv bleiben die vielen Erlebnisse in Erinnerung, wenn Teilnehmende nach einem Vortrag meinen, sie hätten jetzt Methoden und Worte gefunden, wie die Dinge systematisiert und beschrieben werden können, die sie bisher nur subjektiv als nicht korrekt empfanden. Das ist genau unser Anliegen: Materialen zur Prüfung der medialen Oberfläche an die Hand zu geben, als ersten Zugang, und dann ermutigt zu werden Hintergründe zu recherchieren und auszuleuchten, unter stetiger kritischer Prüfung der Quellen sowie der eigenen These.

Wie blicken Sie auf die Zukunft des Instituts?

Schiffer: Wir haben bei unserem 10-jährigen Jubiläum die Frage gestellt, ob es uns weiter geben soll. Einerseits wären wir ja gerne überflüssig, aber so sieht es gerade nicht aus, wo gesicherte Stellen in Journalismus und Bildungsbereich abgebaut werden, was der Qualität in den Medien ja nicht gerade zuarbeitet. Wenn es uns weiter geben soll, dann bräuchten wir aber mehr Unterstützung. Unabhängigkeit hat ihren Preis, sprich man macht sich nicht unbedingt beliebt bei potentiellen Geldgebern für Projekte, und wir möchten da keine Abstriche in Sachen Neutralität machen. Bis auf unsere Verwaltungskraft, die wir auch nicht in Vollzeit beschäftigen können, haben wir alle ein anderes wirtschaftliches Standbein. Die Arbeit im IMV ist mit viel Kraft und Engagement verbunden – ja, manche würden sagen: Selbstausbeutung. Ich weiß nicht, wie lange wir das so weiter leisten können. Und uns beschäftigt die Frage auch grundsätzlich: Wie kann man Nachhaltigkeit und Beständigkeit in der Ausrichtung garantieren? Denn noch einen Verstärker im Mainstream brauchen wir sicher nicht.

Frau Schiffer wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen Ihnen und ihrem Institut viel Erfolg.