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Kolumnen

Unsere Demokratie braucht kritische Meinungsbildungsprozesse

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Die Fähigkeit, Tatsachen von gefärbten PR-Behauptungen zu unterscheiden, wird für Journalisten in unserer schnelllebigen Zeit immer schwieriger. Dr. Sabine Schiffer beleuchtet für das DTJ einige Aspekte dieser Problematik. (Foto: dpa)

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Unsere Demokratie braucht kritische Meinungsbildungsprozesse
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Bis zu 60 Prozent unserer täglichen Nachrichten sollen aus Pressemitteilungen stammen. Und je höher angesehen das Unternehmen, die Behörde oder die Stiftung ist, von dem bzw. der sie ausgeht, umso wahrscheinlicher ist der Abdruck oder das Senden der gewünschten Botschaft. Dabei gehen Journalisten, die ihr Handwerk gelernt haben, zwar oft genug mit dem Mindeststandard journalistischen Arbeitens an die Sache heran und holen eine zweite, möglichst gegenteilige Meinung ein. Dennoch sind auch sie schnell gefangen im Agenda Setting der interessengeleiteten Kommunikation. Immer seltener ist es möglich, eigene Themen zu bestimmen, überhaupt darüber nachzudenken, was wichtig und relevant wäre – und von unabhängigen, sprich ungefärbten, Recherchen kann man in einer solchen Situation fast nur noch träumen.
Die Anzeigen- und Medienkrise trägt außerdem noch ihren Teil dazu bei, dass eine fünfte Gewalt Macht über die vierte erhält. Die Folgen sind katastrophal für unsere Demokratie, die auf kritische Meinungsbildungsprozesse angewiesen ist. Statt die kontrollierende Rolle einer vierten Gewalt im Staate zu erfüllen, werden unsere Medien oftmals zum Vehikel, zum Erfüllungsgehilfen der Macht – ob es nun große Konzerne oder unsere Regierungsinstitutionen sind, die den Ton vorgeben. Lobbyismus bedeutet aber immer eine gewisse Form von Konservatismus, weil die Mittel dafür mit einem bestimmten Wirtschaftskonzept geschaffen wurden oder eindeutig politischen Interessen dienen. Und diese Gelder fließen nun in Public Relations zum Erhalt genau dieser Strukturen.

Ist der NSU Wiedergänger der ominösen „Wehrsportgruppe Hoffmann“?

Die Auswirkungen dessen, was ich „Verlautbarungsjournalismus“ nenne, kann man an verschiedenen Beispielen nachvollziehen. Etwa bis heute in weiten Teilen anhand der Berichterstattung über das sog. Zwickauer Terror-Trio: Man übernimmt unkritisch die Begriffe „Zelle“, „Trio“ und auch „NSU“, die allesamt suggerieren, dass eine kleine Gruppe Durchgeknallter alle bis dato ungeklärten Morde und Anschläge in den letzten 10 Jahren in Deutschland verübt habe. Diese These kommt einmal mehr in verdächtiger Weise an stets bevorzugte Einzeltäterthesen heran, die bereits des Öfteren bemüht wurden, wenn es sich um rechtsextreme Straftaten handelte – etwa bei dem Mord an Schlomo Lewin und Frieda Pöschke in Erlangen 1980 (der Rabbiner und seine Lebensgefährtin wurden von einem mutmaßlichen Rechtsextremisten der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ ermordet, der in einem libanesischen Terrorlager Selbstmord begangen haben soll) oder im Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat im selben Jahr. In beiden Fällen mehrten sich bis heute von Jahr zu Jahr die Hinweise darauf, dass Strukturen zumindest eine Mitverantwortung an den Straftaten tragen könnten, die über die als Täter identifizierte Einzelperson hinausgeht.

Statt den Diskurs für die Recherche von Netzwerken bis hinein in die Behörden offen zu halten, gleiten unsere Mainstreammedien – allen Enthüllungen zum Trotz – schnell wieder ab in Richtung eines akzeptierenden Verlautbarens von offensichtlich Unwahrem. Weder wurde bis heute die Ermordung Schlomo Lewins kritisch aufgearbeitet, noch wurden die Hinterleute des Oktoberfestattentats ernsthaft verfolgt. Und vor diesem Hintergrund stellt sich durchaus die Frage, ob die These eines isolierten Bestehens des Terrorzusammenschlusses nicht möglicherweise deshalb so in den Vordergrund gerückt wird, um wiederum allfällige dahinter liegende zu verdecken.

Bei der Energiedebatte ist es nicht viel anders. Vieles an der Berichterstattung namhafter Publikationen ähnelt auffällig den Werbespots, die beispielsweise EON zur Primetime im Fernsehen schaltet. Darin wird den Menschen suggeriert, dass es zwar eine nette Spinnerei sei, auf regenerative Energien zu setzen, es aber Versorgungssicherheit nur mit den großen Konzernen geben könne.

Vielen Medien wird vorgeworfen, unter kritikloser Wiedergabe der Verlautbarungen von Greenpeace- und staatlich finanzierter Forschungseinrichtungen eine Angstdebatte ums Klima zu schüren. Viel mehr Wirkung entfaltet hingegen eine Angstdebatte um Strompreise, deren Steigen entgegen der Faktenlage den dezentralen Energielösungen angelastet wird, von den meisten Medien kritiklos mitgetragen – zur Freude der Konzerne, die Lösungen nach eigener Interessenlage favorisieren.

Studien und Vorträge als Instrumente des Guerilla Marketing?

Es gibt Offshore-Windkraftpläne, die das staatliche Sponsoring einer Beseitigung von Munition aus dem Zweiten Weltkrieg vom Meeresboden erforderlich machen, die bis zu 150.000 Euro täglich kostet. Das mag eine hohe Summe sein, aber die Logik im System ist eine andere: Wer jetzt nicht endlich in dezentrale Lösungen investiert und weiterhin – zum Erhalt der eigenen Macht – auf dem Erhalt atomarer und fossiler Brennstoffe beharrt, der verantwortet doch erst die Verteuerung, weil ja die Preise der alten Energieträger auf Grund ihrer erwarteten Verknappung weiter steigen würden. Aufzuzeigen, dass wir gar keine andere Wahl haben könnten und das EEG nicht für die Strompreiserhöhungen verantwortlich ist, wäre die Aufgabe unserer Medien – dies wird jedoch umso schwieriger, wenn EON & Co. zu den letzten guten Anzeigenkunden gehören.

Wie viele Journalisten sind aber tatsächlich geschult, Public Relations als solche immer zu erkennen? Oftmals kommen Desinformationsbemühungen gar als wissenschaftliche Studien daher. Ein Beispiel hierfür liefert ein Professor Kaminski, der kürzlich wieder im Rahmen der „Next Level Conference“ mediale Aufmerksamkeit erlangte – und der im begründeten Verdacht steht, ein Plagiat abgeliefert zu haben. Man könnte bei solchen Gelegenheiten wenigstens mal die Frage stellen, ob es sich hierbei nicht um eine Form des sog. Guerilla-Marketing handeln könnte, wo Anlässe in Form von Events geschaffen werden, um unterschwellig Medien für die eigene Person oder das eigene Projekt zu interessieren und ein großes Publikum zu erreichen. Im genannten Fall ist die Kooperation des Professors mit Computerspieleherstellern wie Electronic Arts bekannt.

Und so ließe sich jedes Thema auf die tatsächliche Substanz seiner Faktenlage hin genau untersuchen: Die Kriegspropaganda im Nahen Osten, dem zumindest derzeit noch für viele Regionen der Welt zentrale Bedeutung bei der Energieversorgung zukommt, ebenso, wie die Situation der „gesundheitsreformierten“ Rhönkliniken, die nun nicht einmal mehr aus der Senkung der Versorgungsstandards heraus in der Lage sind, genug Geld aus den Kranken heraus zu quetschen, bis hin zum Rücktritt von CIA-Chef General Petraeus, dem man kaum abnehmen mag, dass er in eine Venusfalle gegangen sei. Dabei könnte die Recherche nach seiner Rolle bei der angeblichen Ermordung Bin Ladens und der tatsächlichen Ermordung des US-amerikanischen Botschafters in Libyen, Chris Stevens, zumindest mal für größere Aufmerksamkeit seitens einer gesteigerten Zuhörer-, Zuschauer- oder Leserschaft sorgen. Der Verlautbarungsjournalismus hingegen gräbt sein eigenes Grab – und das vieler anderer.