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Gesellschaft

Der türkische Vater und seine krankhafte Liebe zum Sohn

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Die Türkei diskutiert über die Ermordung der Studentin Özgecan Aslan (20) und die Einführund der Todesstrafe. So berechtigt dies auch ist, es geht am eigentlichen Problem vorbei. Diskutiert werden sollte vielmehr die Rolle des Vaters vom Täter.

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MEINUNG Özgecan Aslan, 20 Jahre jung, auf brutalste Weise ermordet.

Der Mord hat in der Türkei eine breite Diskussion entfacht. Auf einmal ist sexuelle Gewalt ein Thema. Prominente berichten, wie auch sie Opfer sexueller Belästigungen wurden. So mancher Politiker fordert die Todesstrafe zurück – wohl um den Zorn des Volkes auf eigene Segel umzuleiten.

Diese Empörung ist berechtigt, geht aber an der Sache vorbei!

Gewiss: Die Diskussion ist notwendig, die Empörung echt, die Widereinführung der Todesstrafe eine lästige Erscheinung, die nach solchen Taten irgendwie dazugehört. Für mich jedoch sind die Hauptakteure dieses Dramas andere, es sind die Väter. Ja, die Väter; sowohl des Täters, als auch des Opfers.

Ein Vater wird mitschuldig

Erinnern wir uns noch mal an den Tathergang: Ahmet Suphi Altindöken, Fahrer des Minibusses, will die junge Studentin vergewaltigen, gerät in einen Streit mit ihr, schlägt sie bewusstlos, ersticht sie. Dann benachrichtigt er auch seinen Vater.

Was macht der Vater? Er hätte die Polizei alarmieren, das Opfer, falls es noch am Leben war, in ein Krankenhaus fahren und den Sohn an die Staatsgewalt ausliefern müssen. Stattdessen macht er mit. Sie versuchen das Opfer zu beseitigen, verbrennen die Leiche.

Der Tod der Studentin ist grausam und tragisch – aber das Verhalten des Vaters verdient besondere Aufmerksamkeit, wenn wir verstehen wollen, was genau am Tattag ablief und welche Lehren wir daraus für die Zukunft ziehen können.

Ein Vater, der nicht empfindet

Ich frage mich:

Warum hat der Vater den Sohn nicht an die Polizei ausgeliefert? Hat er aus Liebe zu seinem Sohn so gehandelt? Kann das Liebe sein, die auf Kosten einer unschuldigen Studentin geht? Hat er keine Tochter? Wenn keine Tochter, eine Mutter hat(te) er gewiss. Wo blieb dann sein Mitgefühl? Hätte er mit dieser Schuld weiterleben können, wären sie nicht gefasst worden?

Dieses Verhalten scheint kein Einzelfall zu sein. Es hat in der Gesellschaft durchaus seine Entsprechung. Insofern muss sich die türkische Gesellschaft sich mit diesem Aspekt auseinandersetzen.

Andere Beispiele für pathologische Sohnes-Liebe

Am 16. Mai 1998 fand in Istanbul ein Verkehrsunfall statt. Die Sängerin Sevim Tanürek wollte gerade eine Ampel bei grün überqueren. Doch sie wurde von einem Auto erfasst, verletzte sich schwer und starb fünf Tage später. Der Unfallverursacher: Ahmet Burak Erdoğan, ältester Sohn des damaligen Istanbuler Oberbürgermeisters Recep Tayyip Erdoğan. Der Sohn soll damals noch keinen Führerschein besessen zu haben.

Doch ein Gericht befand die Sängerin für voll schuldig. Ahmet Burak Erdoğan bekam eine drei monatige Haftstrafe, die in eine Geldstrafe umgewandelt wurde. Der Gerichtsmediziner, der ihm seine Unschuld bescheinigte, wurde später Leiter des türkischen Seefahrtwesens.

Korruptionsskandal mit Beteiligung der Söhne

Auch beim Korruptionsskandal, der Ende 2013 zutage trat, spielen Söhne von prominenten Politikern eine große Rolle.

Wer aber meint, es sind Politiker, die können sich ein solches Verhalten leisten, die Wähler sind anders – der irrt sich. Auch der türkische Wähler ist bereit ein Auge zuzudrücken, sofern er meint, es springt für ihn etwas heraus. Recht und Gerechtigkeit, Gewissen und Moral sind dabei vernachlässigbare Größen. Zumindest für einen Großteil der Wähler.

Wenn man dieses Verhältnis der Väter zu ihren Söhnen als Liebe bezeichnet, dann müsste man es zumindest als eine pathologische Liebe bezeichnen. Eine Liebe, die zu Lasten des Gewissens, der Ethik und der Gesetze geht, ist für mich Egoismus, keine Liebe.

Es gibt aber auch Väter, die Hoffnung machen

Diese Diagnose klingt pessimistisch. Aber es gibt aber auch Grund zur Hoffnung. In der türkischen Gesellschaft gibt es auch andere Väter. Väter wie beispielswiese der der ermordeten Özgecan, Mehmet Aslan.

Wir hätten Verständnis dafür, wenn er in seinem Schmerz das Schlimmste für den Mörder gewünscht hätte. Er aber sagte angesichts der Forderungen nach der Todesstrafe:

„Wir haben keinen anderen Weg als den der Liebe. Unser Land, sogar die ganze Welt braucht Liebe. Diejenigen, die diese schlimme Tat zu verantworten haben, sollen nicht Unrecht erleiden. Sie sollten vor ein Gericht gebracht werden und ihre Strafe absitzen. Allah soll auch zu ihren Vätern und Müttern gnädig sein. Wenn wir Krieg führen, dann werden unsere Egos gewinnen, aber Mütter und Väter verlieren.“