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Politik

Verdächtiger: „Bewaffneter Arm von Ergenekon immer noch aktiv“

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Ein Verdächtiger im Zusammenhang mit dem Mord an drei christlichen Missionaren 2007 in Malatya packt vor Gericht über die dahinter stehenden Strukturen aus. Die Bluttat sollte der AKP und der Gülen-Bewegung in die Schuhe geschoben werden. (Foto: rtr)

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Verdächtiger: „Bewaffneter Arm von Ergenekon immer noch aktiv“
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Ein Verdächtiger im Zusammenhang mit dem Massaker im Verlagshaus von Zirve sagte vor dem Gericht in Malatya aus, dass die „Abteilung für Nationale Strategien und Operationen der Türkei“ (TUSHAD), wie sich der bewaffnete Arm des kriminellen Netzwerks „Ergenekon“ nannte, immer noch aktiv wäre und weiterhin Komplotte gegen Nichtmuslime schmieden würde.

İlker Çınar, der als Tatverdächtiger am Mittwoch vor der 3.Strafkammer des Hohen Strafgerichtshofes von Malatya aussagte, erklärte gegenüber dem Gericht, dass TUSHAD, eine klandestine Organisation innerhalb der Türkischen Streitkräfte (TSK), auch hinter den Übergriffen auf nichtmuslimische Minderheiten und Christen stecke und dass es sich bei ihr um den bewaffneten Flügel von „Ergenekon“ handeln würde.

„Ergenekon“ ist ein im Untergrund operierendes, kriminelles Netzwerk, das als Teil des so genannten „tiefen Staates“ in den 90er-Jahren gegründet worden sein soll und im Verdacht steht, ab 2003 Pläne für einen Staatsstreich in der Türkei ausgearbeitet und Teile davon zur Ausführung gebracht zu haben.

Befehle direkt aus dem Generalstab

Als „Massaker (im Verlagshaus) von Zirve“ wurde die brutale Ermordung dreier aus Malatya stammender christlicher Publizisten im Jahre 2007, die landesweit einen Aufschrei der Empörung zur Folge hatte.

Çınar wurde vom Gericht noch einmal vernommen, nachdem er diesem im Rahmen einer Petition mitgeteilt hatte, es gäbe Dinge, die er noch zu erzählen habe.
Er gab an, gegenüber dem früheren Sonderermittler der Staatsanwaltschaft Istanbul, Zekeriya Özon am 24. und 28.Dezember 2010 sowie am 14.März 2011 als geheimer Zeuge mit dem Codenamen „Deniz Uygar“ in dem Fall ausgesagt zu haben. Er sagte, seine Angaben gegenüber der Staatsanwaltschaft hätten zur Enttarnung von TUSHAD geführt und Personen, die er in diesem Zusammenhang belastet hätte, wären in weiterer Folge inhaftiert worden.

Gemäß der Anklage im Zusammenhang mit dem Massaker von Zirve wäre TUSHAD im Jahre 1993 durch den früheren Vier-Sterne-General Hurşit Tolon auf Geheiß der illegalen „Ergenekon“-Organisation ins Leben gerufen worden, als dieser als Generalsekretär im Generalstab diente.

Die 761 Seiten umfassende Anklageschrift nennt 19 Verdächtige und wurde zu einem früheren Zeitpunkt des Jahres 2012 von der 3. Hohen Strafkammer des Gerichts ins Malatya zugelassen. Im Rahmen einer weiteren Anklage befindet sich Tolon ebenfalls unter Verdächtigen. Er gilt auch als Schlüsselverdächtiger im Rahmen der „Ergenekon“-Untersuchung gemeinsam mit dem früheren Regimentskommandanten der Gendarmerie von Malatya, Col. Mehmet Ülger, und Maj. Haydar Yeşil. Nach Überzeugung der Anklagebehörde wurde das Massaker von Zirve durch eine in Malatya tätige Zelle von TUSHAD ausgeführt.

Çınar deutete an, dass TUSHAD sich als klandestine Organisation in den staatlichen Institutionen eingenistet hätte. „Es gibt eine Struktur, die hinter den verwerflichen Attacken gegen Nichtmuslime und Christen stand und es ist nicht der Staat selbst. TUSHAD ist der bewaffnete Arm von Ergenekon.“

Çınar gab außerdem an, dass er dem Kommando der „Weißen Kräfte“, das mit TUSHAD verbunden war, gegen Ende des Jahres 1993 beigetreten war und den Auftrag hatte, missionarischen Aktivitäten nachzugehen.

„Mein zugeteilter Führungsoffizier war Levent Ersöz (einer der Hauptverdächtigen im „Ergenekon“-Fall, Anm. d. Red.). Ich bekam Befehle von dieser Person. Ich habe mich mit Missionaren getroffen und mit ihnen Kontakte gepflegt. Ich bin Muslim. Ich habe nie das Christentum angenommen. Ich habe alles Wissen, das ich gesammelt hatte, über Kuriere, die mich aufgesucht hatten, an TUSHAD weitergegeben“, sagte der Verdächtige.

„War über Angriffspläne informiert, nicht aber über Mordpläne“

Çınar gab dem Gericht gegenüber ebenfalls an, dass er vom Col. a.D. Mehmet Ülger, dem früheren Kommandeur des Provinzgendarmeriekommandos von Malatya, während eines Workshops erfahren habe, dass eine Attacke auf das Zirve-Verlagshaus in Malatya stattfinden solle. Er wolle nur nicht gewusst haben, dass die Verlagsmitarbeiter dabei auch getötet werden sollten.

„Hätte ich gewusst, dass im Zuge dieses Angriffs auch Mord mit im Spiel wäre, hätte ich alles Nötige getan, um das zu verhindern“, fügte er hinzu.

Çınar gab auch an, er wäre im Anschluss an die Morde nach Malatya eingeladen worden. Als er Kritik an der Aktion übte, hätte Ülger ihm gedroht und gesagt: „(Die Morde von) Zirve, Hrant und Santoro waren Operationen. Der Zirve-Zwischenfall wird der AKP und der Gülen-Bewegung mithilfe gefälschter Geheimdienstdokumente angehängt werden.“

Bereits vor dem Massaker von Zirve hatte es tödliche Attacken auf nichtmuslimische Persönlichkeiten gegeben. Im Februar 2006 wurde der katholische Bischof Andrea Santoro in Trabzon ermordet, im Januar 2007 wurde der türkisch-armenische Journalist Hrant Dink umgebracht. Beide Fälle hatten das Land in Schrecken versetzt und eine Debatte über die Sicherheit von Nichtmuslimen in der Türkei ausgelöst.

EŞREF AKGÜN, Malatya