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Politik

Verfassungskommission gescheitert: Erdoğan will Volk über Präsidialsystem abstimmen lassen

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Die Verfassungskommission im türkischen Parlament ist aufgelöst worden, die CHP weigert sich, das parlamentarische System zur Disposition zu stellen. Erdoğan bringt eine Volksbefragung zu dem von ihm favorisierten Präsidialsystem ins Spiel.

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Erdoğan
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Die Verfassungskommission im türkischen Parlament (Türkiye Büyük Millet Meclisi, TBMM) ist aufgelöst worden. Grund waren fundamentale Differenzen zwischen der regierenden AKP und der CHP. Während die AKP ein Präsidialsystem einführen will, weigert sich die größte Oppositionspartei, das parlamentarische System zur Disposition zu stellen. Da man sich in der Frage nicht einigen konnte, verließen die CHP-Vertreter unter Protest den Verhandlungstisch. Daraufhin wurde die Kommission am Mittwoch von Parlamentspräsidenten Ismail Kahraman für aufgelöst erklärt. Sie war erst am 4. Februar gegründet worden.

Hinter der Forderung der AKP steht der Wunsch von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, ein Präsidialsystem mit ihm an der Spitze einzuführen. Er hatte im August 2015 erklärt, das politische System in der Türkei sei de facto bereits geändert und es sei nun an der Zeit, dem durch eine neue Verfassung Rechnung zu tragen. Obwohl die Türkei derzeit formal eine parlamentarische Demokratie ist, hält Erdoğan in offensichtlicher Weise bereits alle Fäden in der Hand.

Die Opposition sieht im Präsidialsystem nach dem Wunsch Erdoğans die Gewaltenteilung zwischen Gesetzgebung, Exekutive und Rechtsprechung nicht gewährleistet und argumentiert, ein neues System gemäß Erdoğans Modell würde de facto eine Diktatur sein.

Unterdessen hat Erdoğan ein Referendum ins Spiel gebracht. In einer Ansprache vor stellvertretenden Gouverneuren und Landräten in seinem Palast sagte er, „Im Rahmen unseres Aufbaus einer neuen Türkei werden wir auch eine neue Verfassung verabschieden. Auch das Präsidialsystem wird inschallah (so Gott will, hoffentlich) auf diese Weise ins Leben gerufen werden. Wenn mein Volk das Präsidialsystem nicht will, dann werden wir auch das akzeptieren. So einfach ist das.“

Erdoğan rief die Abgeordneten – womit er hauptsächlich die Abgeordneten seiner AKP meint – auf, in dieser Angelegenheit einen Entschluss zu fassen und die Sache zum Thema einer Volksbefragung zu machen. Zugleich beschuldigte er die oppositionelle CHP, ohne sie beim Namen zu nennen, nicht konstruktiv mitzuarbeiten und den Prozess zu sabotieren.

Die derzeitige Verfassung stammt aus der Zeit des Militärputsches vom 12. September 1980. Sie wurde von einer Kommission erarbeitet, die von der Militärjunta um General Kenan Evren eingesetzt wurde und weißt nicht wenige demokratische Defizite auf. Dieser Mängel bewusst, ist es seit Jahren Konsens in der türkischen Politik, dass eine neue, durch den Volkswillen legitimierte Verfassung erarbeitet werden muss. Wie die jedoch aussehen soll, darauf konnten sich die türkischen Politiker in den letzten Jahren trotz mehrerer Anläufe nicht einigen.